EEG
Ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann darüber hinaus andere Anfallsgeschehen (zum Beispiel Epilepsien) ausschließen. Dies kann besonders dann wichtig sein, wenn der Bewusstseinszustand des Patienten schwankt oder der Bewusstseinsgrad abnimmt.
EKG
Manchmal ist ein 24-Stunden-Echokardiogramm (EKG) („Holter-Überwachung“) erforderlich, um Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) auszuschließen, die ebenfalls für ähnliche Symptome verantwortlich sein könnten.
Blutwerte
Die Bestimmung verschiedener Blutwerte kann Hinweise auf Entzündungen oder andere Krankheiten geben.
Bei vielen Migränepatienten wird im Zuge dieser Standard-Blutuntersuchungen in Notfallambulanzen ein Magnesiummangel festgestellt, der jedoch nicht als Ursache für die Anfälle gesehen werden kann. Der Versuch einiger Notfallmediziner, mit Gabe eines Magnesiumpräparates den Anfall zu „therapieren“ bleibt in diesen Fällen naturgemäß ursächlich erfolglos. Besserungen des Zustands nach Gabe einer Magnesiumbrausetablette sind in diesen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit zufällig, da ein Migräneanfall mit Hirnstammaura ohnehin meist innerhalb eines Zeitfensters von etwa 60 Minuten abklingt. Statistiker sprechen in solchen Fällen von Korrelation (= zufälliger Zusammenhang von Erscheinungen). Es kann hieraus keine kausale (also ursächlich begründende) Beziehung zwischen der Magnesiumeinnahme und dem Rückgang der Hirnstammaura-Symptomatik abgeleitet werden.
Dennoch kann die Gabe/Einnahme von Magnesium als Migräneprophylaxe und Unterstützung der Akuttherapie zu Beginn eines Anfalls sinnvoll sein (siehe Kapitel 8 Therapie und 9 Selbsthilfe).
3.3 Abgrenzung / Differenzialdiagnosen
Unter Differentialdiagnosen verstehen Mediziner Krankheiten, die ähnliche Symptome bzw. Symptomkomplexe aufweisen. Diese Krankheiten müssen bei einer korrekten Diagnosestellung (neben der ursprünglichen Verdachtsdiagnose) in Betracht gezogen worden sein. Ziel der Differentialdiagnostik ist es, Erkrankungen mit ähnlichem Erscheinungsbild voneinander abzugrenzen („Ausschluss-Diagnostik“), um letztlich sicher zu sein, mit welcher zugrundeliegenden Erkrankung man es tatsächlich zu tun hat. Nur so ist eine fachgerechte Therapie möglich.
3.3.1 andere Migräneformen
Die Abgrenzung der Migräne mit Hirnstammaura zu anderen Migräneformen gestaltet sich oftmals schwierig. So gibt es vor allem große Ähnlichkeiten der Symptome mit der in bisherigen Klassifizierungssystemen noch beschriebenen Migräne vestibularis bzw. vestibulären Migräne und der (familiären) hemiplegischen Migräne. Hinzu kommen Uneinigkeiten der Fachmediziner aufgrund der nicht abschließend geklärten Ursachen und leider auch die generelle Unkenntnis vieler Fachärzte, die dafür sorgen, dass nicht immer „saubere“ Diagnosen gestellt werden.
3.3.1.1 vestibuläre Migräne
Die unterschiedlichen Klassifikationssysteme und ihre Fassungen verkomplizieren eine genaue Beschreibung der verschiedenen Migränearten. Dies gilt vor allem für die Beschreibung der vestibulären Migräne im Unterschied zu bzw. Zusammenspiel mit der Migräne mit Hirnstammaura.
Manche Autoren sehen die Basilarismigräne bzw. Migräne mit Hirnstammaura seit langem als besondere Form der vestibulären Migräne. Diese wird auch als Migräne mit vestibulärer Aura, migranöser Schwindel, vertiginöse Migräne, migräne-assoziierter Schwindel, episodische Schwindelattacken bei Migräne (Engl.: vestibular migraine, migrainous vertigo, migraine with vestibular aura) bezeichnet.
Als Symptome der vestibulären Migräne gelten in weiten Teilen der aktuellen Fachliteratur:
• Drehschwindel, aber auch Bewegungsgefühl (Schwanken, Kippen)
• Gang- oder Standunsicherheit
• Dauer zwischen 30 Sekunden und Stunden, selten mehrere Tage
• Schwindel tritt häufig isoliert als einziges Symptom auf
• Auftreten meist ohne begleitende oder nachfolgende Kopfschmerzen
• Zunahme des Schwindels bei Änderung der Körperlage möglich
• Begleitend Gangunsicherheit, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen möglich
• Licht- oder Geräuschempfindlichkeit begleitend möglich
• Schwindelattacken können gelegentlich mehrfach pro Tag auftreten
• Visuell-induzierter Schwindel (Betrachtung sich bewegender Objekte)
• Kopfbewegungsinduzierter Vertigo
• Gelegentlich Sehstörung in Form eines verschwommenen Sehens
• Bei begleitendem Kopfschmerz, kann Schwindel Migräne vorausgehen, überlappend auftreten oder nachfolgen
• Gelegentlich nur leichter Kopfdruck
Extra angeführt wird ein Nystagmus, bzw. eine sakkadierte, das heißt ruckartige, nicht-fließende Blickfolge als Hirnstammsymptom der vestibulären Migräne (vgl. Neurologienetz.de).
Die Ähnlichkeit der Symptome zur Migräne mit Hirnstammaura liegt auf der Hand.
Laut Barany Society (International Society for Neuro-otology) gelten aktuell als Diagnosekriterien für die vestibuläre Migräne:
A) Mindestens 5 Attacken mit vestibulären Symptomen von milder bis schwerer Intensität mit einer Dauer zwischen 5 Minuten und 72 Stunden
B) Positive Anamnese für Migräne mit oder ohne Aura
C) Ein oder mehr Migränesymptome bei 50% der Schwindelepisoden
• Kopfschmerz mit mindestens 2 Charakteristika:
• einseitiges Auftreten
• pulsierender Charakter
• mittlere bis schwere Schmerzintensität
• Licht- und/oder Geräuschempfindlichkeit (Photophobie oder Phonophobie)
• visuelle Aura
D) Symptomatik nicht besser durch andere Erkrankungen erklärbar. (Barany Society 2012)
Die Bárány Society erarbeitet (wie die International Headache Society (IHS)) seit 2009 Kriterien zur Klassifikation von vestibulären Symptomen und Erkrankungen. Benannt ist sie nach dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Robert Bárány, der für seine Untersuchungen über die Funktion des Vestibularapparates 1914 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt.
In dem in Deutschland bis Ende 2021 geltenden Klassifikationskatalog der Krankheiten (ICD-10-GM 2020) wird die vestibuläre Migräne (ebenso wie die Basilarismigräne) noch als Unterform der Migräne mit Aura unter der Kodierung G43.1 geführt.
Die neueste Klassifikation der Kopfschmerzen der IHS (ICDH-3) erfasst die vestibuläre Migräne jedoch nicht mehr als Migräneaura, sondern erläutert im Anhang der Klassifikation das Auftreten und die Schwindel-Symptomatik als Episodische Störung, die potenziell mit einer Migräne einhergeht.
Laut IHS/ ICDH-3 können Episoden einer vestibulären Migräne nicht als Migräneauren betrachtet werden, weil man beobachtet hat, dass nur wenige Patienten mit einer vestibulären Migräne (Kodierung A1.6.6) die Schwindel-Symptome innerhalb des zeitlichen Rahmens von 5 bis 60 Minuten, wie es bei der Migräne mit Aura für ein Aurasymptom definiert ist, erleben. Bei noch weniger Patienten tritt der Schwindel unmittelbar vor Einsetzen der Kopfschmerzen auf (wie für eine „typische Aura mit Kopfschmerz“ üblich).
Von mehr als 60 Prozent der Patienten mit einer Migräne mit Hirnstammaura wird Schwindel als Symptom geschildert. Die ICHD-3 verlangt für diese Diagnose zusätzlich zu visuellen, sensiblen oder dysphasischen Aurasymptomen – also Seh-, Wahrnehmungs- und Sprechstörungen - mindestens zwei Hirnstammsymptome. Weniger als 10 Prozent der Patienten mit einer vestibulären Migräne erfüllen diese Kriterien. Deshalb sind vestibuläre Migräne und Migräne mit Hirnstammaura nicht gleichbedeutend. Allerdings gibt es einzelne Patienten, die die diagnostischen Kriterien für beide Erkrankungen erfüllen (vgl. IHS / ICHD-3).
3.3.1.2 (familiäre) hemiplegische Migräne
Besonders die (familiäre) hemiplegische Migräne (FHM) lässt sich in der Praxis manchmal schwer von der Migräne mit Hirnstammaura abgrenzen.
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