Erneut stellte ich mich an. Diesmal am Boardingschalter. Hier rückte die Schlange deutlich schneller weiter. Die benötigten Unterlagen zeigte ich vor, welche der junge Mann in Uniform einscannte und freundlich meinte: „Guten Flug.“ Ich bedankte mich höflichst, verließ das Terminal über den Flugsteig und betrat die Gangway, welche deutlich zu kühl klimatisiert war. Zum Glück trug ich meine Jacke bei mir und zog sie schnell an.
Voller Vorfreude lief ich die Fluggastbrücke entlang. Ein Blick nach draußen wurde leider allen Passagieren verwehrt, da diese eine der geschlossenen Variante war, also ohne Fenster. Der Vorteil daran, alle Flugreisenden mussten nach dem Verlauf des Boarding nicht mehr das Flugfeld betreten und gelangten direkt in die Maschine. Gerade bei schlechtem Wetter optimal, wie ich finde.
Nun kam ich mich vor, als würde ich als Winzling durch eine Wasserrutsche gehen, nur ohne Wasser und ohne zu rutschen und dass die Wände eckig waren statt rund. Am Ende der Rutsche plumpste ich auch nicht in das kühle Nass, sondern wurde von zwei freundlich lächelnden Stewardessen begrüßt. Wie im jetzigen Moment, als ich den Flieger betrat. Eine der beiden Flugbegleiterinnen reichte einen Korb mit Bonbons. Natürlich griff ich zu, ich wollte schließlich nicht unhöflich sein. Außerdem erfüllte das süße Naschwerk einen nützlichen Zweck. Irgendwie musste ich den Druckunterschied auf meine Ohren beim Start und der Landung ausgleichen. Warum die eigenen Bonbons dafür verschwenden, wenn mir hier welche so freundlich angeboten worden und dann auch noch gratis? Zugreifen, hieß meine Devise. Mitnehmen, was ich bekommen und tragen kann!
Auf der Suche nach meinen Sitzplatz lief ich den schmalen Gang entlang und kämpfte mich mit Lesen oberhalb der Sitze einundzwanzig A, einundzwanzig B, einundzwanzig C, zweiundzwanzig A und so weiter durch die Reihen. Gefunden. Den Fensterplatz konnte ich als den Meinen bezeichnen. Ja gut, wenn man von den abgenutzten und abgewetzten Sitzbezügen absieht, die einst bestimmt in einem kräftigem Grün leuchteten, nun aber mit einem graubraunen Film überzogen waren, war der Platz ganz annehmbar.
Jetzt nur noch schnell den Rucksack und die Jacke über den Sitzen verstauen, Platz nehmen und die Maschine mustern. So ähnlich, wie es vorhin die anderen Passagiere in der Warteschlange bei mir angewandt hatten, so war nun der Flieger an der Reihe. Meine eigene Qualitätskontrolle. Ich saß gut, der Sitz war widererwartend bequem. Eine gute Aussicht wurde mir geboten. Genau auf die Tragfläche. Zu meiner Erleichterung sah ich keinen Rost und die Fenster, die waren zwar dreckig, aber hoffentlich dicht.
Ich will nicht sagen, dass ich Flugangst habe; Respekt trifft es eher. Etwas mulmig wurde es mir schon immer bei dem Gedanken, mich in fremde Hände zu geben und dann auch noch ohne festen Boden unter den Füßen. In schwindelerregender Höhe. Daher vertraute ich auch bislang immer nur Maschinen von großen und namhaften Fluggesellschaften und dennoch beunruhigt mich jede Luftturbulenz während des Fluges. Da kann schon mal Angstschweiß aus mir herausbrechen oder sich meine Fingernägel im Sitzbezug einspießen. Man weiß ja nie. Da hat es immer den Vorteil, wenn die Polster schon so abgewetzt sind, wie in dieser Maschine. Da fallen die „Einkrallspuren“ gar nicht weiter auf und ich hatte die Gewissheit, dass das Flugzeug schon einige Flüge verzeichnen konnte. Anscheinend sicher.
Direkt neben mir saß ein jüngerer Mann. Ich konnte schon immer das Alter von Anderen schwer schätzen, aber ich würde behaupten, er war so alt wie ich. Am Gang nahm ein Mann Platz. Meiner Schätzung nach mittleren Alters. Mir wurde jetzt schon bewusst, dass es für ihn kein angenehmer Flug werden würde. Er war sehr korpulent und passte gerade so in den Sitz hinein. Zudem saß er dort, wo andere Passagiere sich zu ihren Sitzplätzen oder zu der Bordtoilette durchdrängelten und dann noch das ständige Hin und Her der Stewardessen. Der Mann hatte wirklich Pech und tat mir irgendwie jetzt schon leid.
An der Stelle wurde mir eins deutlich: Ich war nicht die Einzige, die ohne Partner oder Kind reiste. Rein diese Tatsache, dass die beiden Männer neben mir jeweils unabhängig voneinander, ohne dass sie sich kannten und somit ebenfalls alleine flogen, beruhigte mich. Wir waren bestimmt nicht die Einzigen in dem Flieger, denen es so erging. Als mir dies bewusst wurde, musste ich etwas schmunzeln, denn mir schoss ein ulkiger und sarkastischer Gedanke durch den Kopf: Über uns fehlte nur noch ein Schild mit folgender Aufschrift: „Sitzreihe der Alleinreisenden. Anglotzen erlaubt, füttern verboten!“ oder so ähnlich.
Auf einmal ertönte ein leises Summen, das immer lauter wurde. Das Licht im Flugzeug erlosch und über den Sitzen blinkten die kleinen Lämpchen mit dem Symbol zum Anschnallen auf. Ein kurzer Ruck und die Maschine setzte sich rückwärts in Bewegung. Die Lampen gingen wieder an und zwei Stewardessen traten in den Gang. Eine mittig und die Andere vorne, wo vorhin noch die Bonbonausgabe stattfand. Sie begannen das obligatorische „Was ist zu tun im Notfall“ - Programm durchzuführen. Anschließend ertönte die Stimme des Piloten, der uns allen einen guten Flug wünschte. Was soll ich sagen, dies lag nun wirklich allein in seinen Händen und an seinem Können. Eher sollten wir Passagiere ihm die Wünsche aussprechen! Immerhin klang er selbstbewusst, sprach deutsch und hatte so einen beruhigenden Klang in seiner Stimme. Ich kann mir glatt vorstellen, dass bei Bewerbungsgesprächen die zukünftigen Piloten einen Text laut und deutlich vorlesen müssen, um die jeweiligen Stimmfarben heraus zu hören. Je beruhigender und optimistischer, umso größer die Chance, den Job zu bekommen. Zumindest würde ich es so machen. Nichts ist alarmierender, als wenn ich ängstlich in einem Flugzeug sitze, meine Fingernägel sich bereits im Sitz festkrallen und dann noch eine zittrige, unsichere Stimme erklingt, die unsicher einen guten Flug wünscht. Das ist nicht gerade vertrauenserweckend. Für niemanden!
Vertieft in meine Hirngespinste bemerkte ich nicht, dass das Flugzeug bereits auf die Startbahn gerollt war. Erst als die Maschine kurz stehen blieb, blickte ich auf und aus dem Fenster hinaus. Leider konnte ich nur eine endlose dunkelgraue Startbahn und ganz viel Grün erspähen. Ein kurzer Ruck, dann setzte sich der Koloss erneut in Bewegung. Nun ging es los. Der Flieger wurde immer schneller und schneller. Es drückte mich in das Polster der Lehne. Meine Hände umklammerten ganz fest die Schnalle des Gurtes und dann spürte ich, wie das Flugzeug vom Boden abhob. Die Landschaft neigte sich am Horizont schräg zum Flugzeug und wurde immer kleiner und kleiner. Eifrig lutschte ich das Bonbon, um den Druck in meinen Ohren zu minimieren. Das Fahrwerk klappte ein und die Maschine stieg immer höher. Mit erreichten Höhenmetern erloschen die Anschnallzeichen. Geschafft. Der Vogel verließ erfolgreich sein Nest und flatterte davon!
Ich löste meinen Gurt und konnte mich entspannt zurücklehnen. Die kleinen Bildschirme, die über uns in der Gepäckablage eingelassen waren, klappten aus und ich schaute die bevorstehende Flugroute detailliert an und verfolgte diese akribisch. Merkwürdig, wenn man das kleine Flugobjekt auf der Landkarte sieht, wie langsam es sich fortbewegt; wie lange sollte denn der Flug dauern? Gemäß der Darstellung tippte ich auf mindestens noch sieben Stunden, wenn nicht länger. Dass mich mein optisches Auge hier trübte, muss ich nicht explizit erwähnen.
Nachdem sich das Flugzeug auf seiner Route und der benötigten Flughöhe befand, kamen die Flugbegleiterinnen bereits kurze Zeit später mit dem Getränkewagen durch. Eine von vorne, Eine von hinten, so dass sie sich in der Mitte trafen. Doch so einfach, wie sich das die Stewardessen vorstellten, gestaltete es sich nicht. Nicht auf diesem Flug. Der etwas füllige Mann in meiner Sitzreihe, am Gang platziert, stellte für die beiden eine Herausforderung dar. Auf den schon eng bemessenen Raum quetschen sich die Bedienungen mit ihren Wagen durch und nun kam ihre Getränkeausgabe zum Stocken. Der adipöse Mann, ich nenne ihn der Einfachheit halber Hans, bemerkte die Misere und lehnte sich zu dem jüngeren Mann neben mir. Dieser wiederum, ich gebe ihm den Namen Robert, folgte Hans und lehnte sich aus Platzgründen zu mir. Und was war mit mir? Ich wurde an mein Fenster gepresst und war froh, dass sich dieses nicht öffnen ließ. Dennoch fühlte ich mich wie eine Ölsardine. Wäre die Innenwand des Flugzeuges aus leichtem, biegsamem Material gewesen, hätte ich mich mit meiner Silhouette für immer darin verewigt. Kuschelalarm! Zum Glück trug Robert ausreichend Parfüm, anstatt eines penetranten Schweißgeruchs. Nicht auszudenken, wie es ihm ginge mit Hans an seiner Seite beziehungsweise auf seiner Seite.
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