Auch wenn sie sich betont fröhlich gab und versuchte, die Männer mit ihrer guten Laune anzustecken, war die Stimmung am Lagerfeuer eher angespannt. Von der lustigen Ausgelassenheit, die beim Spielen mit den Kindern geherrscht hatte, war bei Deisenhofers Arbeitern nun nichts mehr zu spüren. Jeder von ihnen bemühte sich, Luisa in ein Gespräch zu verwickeln, wurde aber früher oder später vom anderen unterbrochen.
Ich glaub es kaum!, dachte Arthurs Vater. Die Beiden versuchen anscheinend, sich bei Luisa einzuschmeicheln und sich dabei untereinander auszustechen! Allerdings, wie mir scheint, nicht zum ersten Mal! Und Luisa, dieses kleine Biest, scheint das auch noch in vollen Zügen zu genieβen! Jedenfalls kichert sie heute herum, wie ein Backfisch. Der Wein tut das Seinige dazu.
Auch wenn er jetzt so tat, als ginge ihn die kleine gesellschaftliche Runde nichts an, beobachtete und interpretierte Arthurs Vater mit lauernder Achtsamkeit alles, was die fremden Männer taten oder sagen mochten. Denn nicht einmal ansatzweise konnte er verstehen, was da wirklich zur Sprache gebracht wurde. Zu häufig glitten die Arbeiter, und damit auch Luisa, ins Guaraní ab, die eigentliche Muttersprache der meisten Paraguayer. Und sosehr er auch versuchte sich selbst einzureden, dass es ihm einerlei sei, worüber die untereinander offensichtlich befreundeten Arbeiter mit Luisa reden könnten, konnte er sich nicht dazu entschließen, die Runde einfach zu verlassen und ins Bett zu gehen. Luisas häufiges Kichern in leicht überhöhter Tonlage wirkte einerseits abstoßend auf ihn, andererseits hätte er nicht abstreiten können, dass es ihn auch irgendwie faszinierte. Er tat also, als sei er angestrengt mit dem Lagerfeuer beschäftigt, stocherte in der Glut herum, schob die brennenden Holzscheite immer wieder zurecht und beobachtete aus den Augenwinkeln die sich anbahnende Rivalität der beiden Arbeiter. Miguel bemühte sich gerade deutlich darum, irgendetwas Originelles zu erzählen und Luisas Aufmerksamkeit zu fesseln, irgendwann schien sein Tonfall immer persönlicher zu werden, schließlich redete er regelrecht schmeichelnd auf sie ein, bis Luisa anfing schelmisch zu kichern, dann laut zu lachen. Da mischte sich Adalberto in das Gespräch, das eigentlich ein Monolog gewesen war und redete seinerseits über irgendetwas Witziges, über das Luisa lachen konnte, um dann wiederum in einen schmeichelnden Tonfall überzugehen. Immer wieder versuchte einer von beiden, Luisas Aufmerksamkeit ganz für sich zu gewinnen.
Arthurs Vater verstand nichts von der Unterhaltung, aber das war auch nicht notwendig. So viel war offensichtlich: im Alltag und bei der Arbeit waren die Männer Kollegen. Jetzt, am Lagerfeuer und in Gegenwart einer schönen Frau waren sie nur Rivalen. Je später der Abend und je höher der Alkoholgehalt im Blut der Besucher, desto deutlicher die Bereitschaft zum Wettstreit. Mochten sie ansonsten auch gute Kameraden, fast Freunde sein.
Arthur behauptet an dieser Stelle, dass allen Latinos eine gewisse Rivalität untereinander „angeboren“ sei. Selbst wenn sie sich als Freunde bezeichnen, käme in Gegenwart einer mehr oder minder schönen Frau immer so etwas wie eine „Hahnenkampf-Mentalität“ zutage.
„Ist es nicht so“, frage ich ihn herausfordernd, „dass dieses Balzgehabe bei allen Männern zu finden ist? Haben wir dann nicht alle das Bedürfnis, den Frauen angenehm aufzufallen? Ich glaube kaum, dass die Latinos da eine Ausnahme sind.“
„Ausnahme ist das falsche Wort. Wir haben sicherlich die gleichen biologischen Voraussetzungen... aber ich glaube, dass die unterschiedliche Lebensweise, die unterschiedlichen Kulturen sich auch in der Veranlagung niedergeschlagen haben.“
„Quatsch!“, rufe ich. „Es mag zwar richtig sein, dass man den Männern des Südens eine ausgeprägtere Heiβblütigkeit nachsagt, als uns Männern aus dem ’kalten Norden‘, aber das ist doch letztendlich eine Frage der Erziehung!“
„Bist du da wirklich sicher?“
„Ja natürlich! Ein Weißhäutiger aus dem hohen Norden kann genauso den Kopf verlieren, wie ein Südländer, wenn er verliebt ist. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Wer kennt das nicht? Nicht unsere hellere Hautfarbe macht uns ‘kalt’, sondern die antrainierte Beherrschung unserer Gefühle! Schon unseren Kindern bringen wir schlieβlich bei: halte deine Gefühle zurück, brülle deine Wut nicht unkontrolliert heraus, schreie nicht drauflos, wenn dir etwas nicht passt, weine nicht in der Öffentlichkeit, sobald du ein gewisses Alter erreicht hast, aber singe auch nicht lauthals, nur weil du grad’ fröhlich bist und so weiter! Und dieses Abgewöhnen von unkontrolliertem Verhalten geht schlicht und einfach mit der allgemeinen Bildung Hand in Hand! Mit Herkunft oder Hautfarbe hat das absolut nichts zu tun!“
„Ich wäre da nicht so sicher. Kann es nicht auch sein, dass sich das ständige Niederkämpfen von leidenschaftlichen Gefühlen auf unsere gesamte Veranlagung auswirkt? Es heiβt schlieβlich nicht umsonst, dass ein blasser Nordländer auch in seinen Gefühlen irgendwie ‘blasser’ ist, als beispielsweise der ‘heiβblütige’ Spanier oder Italiener, oder eben ‘ Latino ’!“
„Wenn du dir jetzt die Frage stellst, ob sich Verhaltensweisen, die über Generationen hinweg an- oder abtrainiert werden, irgendwann im genetischen Material festsetzen, muss ich passen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall glaube ich, dass unsere Vorfahren, die wilden Germanen, hübsch dieselben genetischen Veranlagungen hatten wie wir.“
Wie immer scheint Arthur meine Argumente einfach zu ignorieren, wenn ihm kein passendes Gegenargument auf meine Aussagen einfällt. Er denkt nach und schweigt.
Die beiden Don Juans, Miguel und Adalberto, waren natürlich nicht zum ersten Mal bei Luisa im Hinterhaus. Möglicherweise war es dem einen oder anderen zuvor schon einmal gelungen, ihr näher zu kommen. Heute, als sie ins Hinterhaus gekommen waren, hatten sie zunächst einmal geglaubt, dass sie bei Luisa ohnehin keine Chancen mehr hätten. Denn der blauäugige Alemán , der neuerdings hier wohnte, musste ja die besseren Chancen bei einer Frau haben. Schlieβlich war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass alle Frauen eingewanderte Extranjeros bevorzugten. Die eigenen Landsleute konnten da versuchen, was sie wollten.
Allerdings standen Miguel und Adalberto vor einem Rätsel. Es hatte den Anschein, als habe dieser großgewachsene Deutsche mit den blauen Augen nichts bei Luisa erreicht – aus welchem Grund auch immer. Er schien auch gar keine Ansprüche an die Frau zu stellen, obwohl sie immerhin seit einigen Wochen mit ihm unter einem Dach lebte.
Caramba!, dachte Luisa. Der Einzige, der mich kaum beachtet, ist mal wieder mein Rubio, mein Blondschopf!
Sie hielt ihr Gesicht Adalberto zugewandt, lächelte zuckersüß und nickte ab und zu mit dem Kopf. Dass sie nicht wirklich hörte, was er sagte, schien er nicht zu bemerken. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit Arthurs Vater.
Hat er denn keine Augen im Kopf, oder will er wirklich nicht sehen, dass ich eigentlich schon ganz gerne mit ihm... Seit fast drei Wochen lebt er jetzt hier bei uns. Er schläft sogar im selben Raum wie ich! Und noch kein einziges Mal hat er auch nur den kleinsten Versuch gemacht, mich anzufassen. Das ist doch nicht normal! Oder... vielleicht – um Himmels Willen! – könnte es sein, dass er am Ende nur zu schüchtern ist? Habe ich vielleicht nur nicht darauf geachtet, wenn er versteckte Andeutungen gemacht hat?
Welche Signale hatte sie übersehen? Da fiel ihr ein: gestern erst war es wieder sehr spät geworden... sie hatten mühsam versucht, am Lagerfeuer über Deisenhofer und dessen Arbeit zu reden... irgendwann war Arthurs Vater aufgestanden und hatte mit auffallend freundlichem Lachen gesagt, dass er lieber schlafen gehen sollte... und sie erinnerte sich: er hatte angedeutet, dass ihm kalt geworden war, indem er seine Arme um die eigenen Schultern legte. Hatte er damit am Ende andeuten wollen, dass er nicht allein schlafen wollte?
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