Ich halte den Schlüssel ungläubig hoch. Als Schlüsselanhänger baumelt einer dieser fünfzackigen Sterne daran. Meine Tante hat mir ein Auto geschenkt! Ich kann es kaum glauben. Wieso schenkt sie mir ein Auto, dreitausend Euro und eine Kreditkarte? Warum? Und wo hat sie das viele Geld her?
Wieder nehme ich mein Handy und wähle ihre Nummer, doch erneut antwortet niemand. Zu gerne würde ich mit ihr reden, ich habe tausend Fragen, die ich ihr stellen möchte. Wo ist sie nur und was ist ihr geschehen?
Nach und nach lege ich alle Sachen, die sie mir hinterlegt hat, zusammen und verstaue sie in einer alten Plastiktüte, die ich in meiner Manteltasche gefunden habe. Das Buch ist zu groß, deswegen klemme ich es mir unter den Arm, als ich mich zum Gehen aufmache. Vorsichtshalber ziehe ich die Trennwand zu und lasse das geheime Büro, mit all seinen Symbolen und Masken, dahinter verschwinden. Ich lösche alle Lichter und schließe von außen die Tür zum Reisebüro zu. Der Autoschlüssel klimpert in meiner Hand, als ich zum Parkplatz hinter das Gebäude laufe. Drei Autos stehen dort im Halbdunkel, nur das entfernte Licht einer Straßenlaterne leuchtet mir sanft den Weg. Ein Bulli, ein Kleinwagen und ein ziemlich cooler, rabenschwarzer Sportwagen. Als ich auf dem Nummernschild meine neuen Initialen lese, quieke ich vor Aufregung. Ich drücke den Knopf auf dem Schlüssel und der 6er BMW zwinkert mir blinkend zu. Ein Freudenschrei löst sich in meiner Kehle und ich renne auf mein neues Auto zu. Ehrfürchtig steige ich ein, lege meine Sachen auf den Beifahrersitz und nehme den Neuwagengeruch wahr, während ich zärtlich über das lederbezogene Lenkrad streichle. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und starte den Motor. Der Wagen schnurrt wie eine Katze. Als ich Gas gebe, um vom Parkplatz zu fahren, faucht mein Kätzchen und buckelt. Ich bin einen klapprigen Kleinwagen mit wenig PS gewohnt, ich werde mich wohl erst einfahren müssen. Mein schwarzer Panther und ich verlassen ruckelnd und fauchend das Gelände und fahren zurück nach Hause.
Nachdem ich die halbe Nacht in dem verrückten Buch gelesen habe, für das Elvira Jahre gebraucht haben muss, um es zu verfassen, fahre ich am nächsten Morgen zur Polizei. Ich möchte Elvira als vermisst melden. Nun, da ich gelesen habe, womit Elvira sich wirklich beruflich beschäftigt hat -nämlich mit übernatürlichen Dingen wie Geister, Dämonen, Hexenpriester und Teufelsaustreiber- mache ich mir noch mehr Sorgen um meine Tante. Entweder ist sie geistesgestört, oder sie glaubt all das wirklich und ist vielleicht irgendeinem Satanskult in die Falle gegangen. Egal was es ist, Elvira braucht Hilfe!
Ich sage dem Beamten vorne am Schalter, dass ich eine Vermisstenmeldung aufgeben möchte. Ohne den Blick auch nur einmal von seinem Computerbildschirm zu heben, schickt er mich in das Büro seines Kollegen.
„Den Gang runter, dritte Tür rechts“, nuschelt er und steckt sich die stumpfe Seite eines Bleistiftes zwischen die Lippen.
Ich folge seiner Wegbeschreibung und klopfe an die Tür. Von innen höre ich eine gelangweilte Stimme. „Ja, bitte.“
Eine billige Parfumwolke kommt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein breitschultriger Mann, Mitte dreißig, mit kurzen, braunen Haaren. Ein Dreitagebart sprießt auf seinem Kinn und er trägt eine schwarze Hornbrille auf der Nase, über die hinweg er mich fragend ansieht. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
Ich schlucke hörbar, schließe die Tür hinter mir und trete vor seinen Schreibtisch.
„Bitte, setzten Sie sich doch“, sagt er und deutet mit der Hand auf einen Stuhl.
Ich nehme Platz und lege meine Handtasche auf den Schoß. „Ich möchte meine Tante Elvira Schneider als vermisst melden, bitte“, sage ich und merke plötzlich, wie nervös ich bin.
Der Polizist wird es auch bemerkt haben, so wie meine Stimme gezittert hat. Er lächelt mich mitfühlend an, öffnet ein Programm an seinem Computer und lässt sich meine Personalien zeigen. Dann stellt er mir ein Dutzend Fragen, tippt auf der Tastatur herum und bittet mich um ein aktuelles Foto meiner Tante. Ich gebe mir Mühe, alles so korrekt wie möglich zu beantworten. Von dem geheimen Büro und dem Buch sage ich natürlich nichts.
„Elvira Schneider, S-C-H-N-E-I-D-E und R, richtig?“, fragt er nun schon zum zweiten Mal.
„Ja, das sagte ich doch bereits.“
Der Polizist schüttelt sanft mit dem Kopf, seine Augen huschen wild über den Bildschirm. In seinem Blick meine ich Verwirrung und Ratlosigkeit zu sehen.
„Was ist denn?“, hake ich ungeduldig nach und versenke angespannt meine Fingernägel im Leder meiner Tasche.
Er räuspert sich. „Es tut mir leid, aber eine Elvira Schneider habe ich hier nicht im System“, sagt er schließlich und kratzt sich am Kinn.
„Wie bitte?“, hake ich verdutzt nach und lehne mich vor. Ich versuche auf seinen Bildschirm zu sehen, doch er dreht ihn von mir weg und blickt mich über seine Brille hinweg tadelnd an.
„Ihre Tante ist nicht im System. Die Frau, die sie als vermisst melden möchten, ist nicht gemeldet“, versucht er sanft zu erklären.
Ich gebe seltsame, protestierende Laute von mir und fahre nervös durch meine Haare. „Aber... Das ist nicht möglich! Natürlich ist sie hier gemeldet. Sie hat das Reisebüro drei Straßen von hier entfernt!“, erkläre ich aufgebracht.
Er schüttelt sachte mit dem Kopf, blickt erneut auf den Bildschirm und wieder zu mir. Dann nimmt er die Brille ab, stützt sich auf seine Unterarme und sieht mich eindringlich an. „In unseren Daten ist keine Elvira Schneider gemeldet, auf die Ihre Beschreibung passt. Aber wenn Sie möchten, kann ich meine Leute auf den Fall ansetzen.“
„Natürlich möchte ich das! Deswegen bin ich ja hier!“, rufe ich ihm aufgebracht ins Gesicht, als die Tür hinter mir mit Schwung geöffnet wird.
Ich zucke zusammen, als sie gegen die Wand prallt und drehe mich um. Zwei Männer in grauen Anzügen kommen auf mich zu, beide mit Glatze und rahmenlosen Brillen auf der Nase. Ich sehe verdutzt zu dem Polizisten, der jedoch nur gelangweilt auf seinen Bildschirm starrt. Einer der Männer umfasst meinen Oberarm und zieht mich hoch, nicht gewaltsam, aber doch energisch und fordernd.
„Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern, Sie hören dann von uns“, sagt er monoton und führt mich aus dem Büro.
Ich will mich zu ihm umdrehen, doch hinter mir steht der andere Glatzkopf und blockiert die Sicht.
„Hallo? Was soll das? Hey!“, protestiere ich lautstark und versuche mich aus dem Griff des Anzugträgers zu befreien, schaffe es aber nicht.
Sie führen mich den Flur entlang, vorbei an dem bleistiftkauenden Beamten, der so tut, als würde er uns nicht bemerken, und hinaus auf den Parkplatz. Ich zapple und wehre mich heftig. Ich schreie sogar, doch niemand reagiert. Vor meinem Auto bleiben wir stehen. Der schmalere der beiden Glatzköpfe stellt sich vor mich, während der andere immer noch mühelos meinen Oberarm in seinen riesigen Händen hält. Ich ziehe und zerre, doch er kommt noch nicht einmal ins Wanken. Der schmale Glatzkopf sieht mich an, blickt mir direkt in die Augen, und ich beginne mich augenblicklich zu entspannen. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich lasse ich meine Abwehrhaltung fallen und konzentriere mich ganz auf ihn.
„Es ist alles in Ordnung. Wir werden Ihre Tante suchen, Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie fahren jetzt nach Hause und vergessen, dass Sie hier waren. Die Sache ist für Sie abgeschlossen. Verlassen Sie jetzt das Gelände“, säuselt er und ein Gefühl von Frieden überkommt mich.
Ich nicke und lächle ihn an. Der Griff um meinen Oberarm löst sich. Ich steige in mein Auto und fahre davon.
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