„Darüber mach dir keine Sorgen, Mutterchen! Siehst du, als du im Herbst so todkrank dalagst, da habe ich immer zum lieben Gott gebetet, er möge dich nur wieder gesund machen, ich wollte auch nichts, nichts weiter von ihm wünschen. Nun bist du wieder gesund, und ich bin so vergnügt und fröhlich darüber, daß ich gar keine Weihnachtsfreude weiter haben will.“
Es sah auch wirklich so fröhlich aus, das kleine Lenchen, die großen blauen Augen blickten die Mutter so glücklich an, daß diese für eine kurze Zeit ihr Elend vergaß.
„Du bist ein gutes Kind,“ sagte sie gerührt, und streichelte ihr dabei die frischen Wangen und das blonde Haar, „der Himmel wird uns ja einmal wieder bessere Zeiten schicken.“
„Ei, freilich wird er das! Laß mich nur erst größer sein, dann helfe ich dir verdienen, dann sollst du auch alle Tage Fleisch essen und –“
„Frau Braun, Frau Braun!“ tief in diesem Augenblicke draußen eine helle Stimme. „Leuchten Sie doch man ein bißchen, man bricht sich wahrhaftig sonst Hals und Bein auf Ihrer Treppe!“
„Das ist die Köchin von Geheimrats,“ rief Lenchen. Die Mutter griff eilig zur Lampe und leuchtete zur Tür hinaus.
„Gott sei Dank, daß ich nicht alle Tage solche Hühnerstiegen raufklettern muß,“ sagte die Köchin, indem sie ganz erschöpft auf einen Stuhl niedersank. „Warum ziehen Sie auch so hoch ins Himmelreich, Frau Braun? Man steigt sich ja die Schwindsucht an den Hals.“
„Ich kann nicht viel Miete zahlen, und hier oben ist es billig, Karoline,“ erwiderte Frau Braun bescheiden.
„Na, es war nicht böse gemeint, Sie wissen ja schon, ich bin ein bißchen rasch mit meinem Mundwerk. Also warum ich komme, will ich Ihnen sagen, bald hätte ich's wahrhaftig vergessen. Unser Herr Geheimrat will selbst auf den Weihnachtsmarkt gehen und den Christbaum einkaufen, und es soll jemand mit ihm gehen, der den Baum nach Hause trägt. Da dachte ich denn, Lenchen verdiene sich wohl gern ein paar Groschen. Kannst du's wohl machen?“ wandte sie sich fragend an das Kind.
Lenchen strahlte vor Freude, eilig nahm sie ein Tuch um die Schulter, und wenn die Mutter ihr nicht noch eine alte rote Kapuze auf den Kopf gesetzt hätte, sie wäre ohne irgend etwas Warmes davongelaufen. Sie fröre ja gar nicht, sagte sie.
„Na, nun komm man, Mädchen,“ sagte Karoline und freute sich über das flinke, kleine Ding, „der Herr Geheimrat wartet schon.“
Frau Braun leuchtete wieder mit der Lampe hinaus, und Lenchen rief ihr im Fortgehen vergnügt hinauf: „Siehst du, Mütterchen, nun verdienen wir wieder Geld!“
Der Herr Rat stand auch richtig schon bereit. In seinen warmen Pelz gehüllt, konnte kein Lüftchen seinen dürren Körper berühren. Den Pelzkragen hatte er in die Höhe geschlagen, so daß Lenchen kaum seine Nasenspitze erkennen konnte, die aber flößte ihr schon einen so hohen Respekt ein, daß sie ihr ›Guten Abend‹ ganz schüchtern und kaum hörbar hervorbrachte.
Der Herr Rat achtete auch gar nicht auf ihren Gruß, sondern bedeutete ihr ganz kurz, daß sie ihm folgen möge.
Unverdrossen folgte das Kind dem Herrn und machte noch einmal den weiten Weg, den es erst vor einer Stunde zurückgelegt hatte. Kälte und Frost empfand es nicht, was konnten sie ihm auch tun bei der Glückseligkeit, die die Kleine im Herzen trug.
Geld verdienen! Wißt ihr wohl, meine kleinen Leserinnen, was das bedeutet? Nein, ihr habt keinen Begriff davon. Ihr habt eure Sparbüchse, und da hinein wird euch von den Eltern und Verwandten manch blankes Markstück getan. Ihr habt gar keine Mühe davon, darum fehlt euch aber auch die Freude daran. Seht einmal Lenchen an, wie glücklich sie die paar Groschen machen, die sie vielleicht erhalten wird!
Allerhand Pläne ziehen ihr durch den Kopf, was sie dafür kaufen will, um der Mutter eine Freude zu machen. Karlchen sollte nicht leer ausgehen, und nun überlegte sie, was sie am liebsten ihm kaufe. Ein Pferdchen wünschte er sich sehr, aber er möchte auch gern ein Schäfchen haben. „Vielleicht kann ich ihm beides kaufen,“ dachte sie und ließ den Blick musternd über die ausgestellten Spielsachen einer Groschenbude gleiten.
In ihren Betrachtungen wurde Lenchen unterbrochen, als der Herr Rat plötzlich bei einer alten Frau stehen blieb, die Tannenbäume feilbot. Die Kleine trat ihnen bescheiden näher und wartete, bis der Herr ihr einen mächtigen großen Baum reichte.
„Wirst du ihn auch tragen können?“ fragte er. „Am Ende ist er dir doch zu schwer.“
„O, bitte, nein, er ist mir gar nicht zu schwer!“ rief Lenchen und griff eiligst nach der Tanne. Sie hatte Angst, daß ihr der geträumte Verdienst entgehen könne. „Ich bin stark,“ fuhr sie vergnügt fort und hob den Baum ziemlich leicht empor, „ich muß auch der Mutter schon tüchtig helfen, und als sie krank war, habe ich die ganze Wirtschaft allein besorgen müssen.“
Ohne ein Wort auf das Geplauder zu erwidern, zog der Geheimrat seinen Geldbeutel aus der Tasche und gab der Kleinen dreißig Pfennig. Was ging den vornehmen Herrn die Krankheit der Mutter an, solche Redensarten beachtete er nicht weiter. Hatte er doch die Erfahrung gemacht, daß arme Leute stets Krankheit vorschützen, wenn sie betteln gehen, wahrscheinlich glaubte das Kind, mehr Geld durch seine Worte für den Weg zu erzielen.
Die Verkäuferin lud Lenchen die Tanne auf, und da sie selbst arm war, hatte sie auch ein Herz für die Armen. Das hübsche offene Gesicht des Kindes gefiel ihr, sie sah ihm gleich an, daß es die Wahrheit sprach.
„Du bist ein gutes Kind,“ sagte sie und klopfte ihm die Wangen. „Bleib nur so brav, dann wirst du vorwärts kommen. Du hast wohl einen weiten Weg?“ fragte sie noch, und als Lenchen die Straße genannt hatte, nahm sie eiligst den Kaffeetopf von den Kohlen und schenkte eine Tasse ein.
„Du lieber Gott, das ist ein weiter Weg,“ sagte sie mitleidig, „der Baum ist nicht leicht, dir werden die Hände erfrieren. Da trink erst den Kaffee, er wird dich erwärmen.“
Lenchen nahm dankend die Tasse in Empfang, und als sie ausgetrunken hatte, machte sie sich vergnügt auf den Heimweg.
Sie nahm sich vor, recht, recht schnell zur Mutter zu eilen, so schnell als sie nur mit dem schweren Baume fortkommen konnte.
Manchmal mußte sie ihn niedersetzen, um auszuruhen, dann sah sie natürlich rechts und links zu den Buden hinüber, es machte ihr gar zu großes Vergnügen, die schönen Sachen betrachten zu können.
„Stück für Stück nur zehn Pfennig, meine Herrschaften! Alles, alles, was Sie sehen, nur zehn Pfennig! Kaufen Sie, kaufen Sie, ehe es zu spät ist!“ tönte es an ihr Ohr, als sie eben vor einer Bude vorübergehen wollte.
Sie setzte den Baum nieder, um sich zu erholen, eigentlich aber um einen Augenblick zuzusehen, wie der Mann Stück für Stück in die Höhe hielt, um es den Herumstehenden zu zeigen. Zögernd trat Lenchen näher, sie hätte so gerne etwas für Karl gekauft, sie wagte nur nicht, darum zu handeln. So gern hätte sie das kleine hölzerne Pferdchen gehabt, aber sie hatte keinen Mut, den Verkäufer darum anzugehen. Wie sie, noch alles betrachtend und zweifelnd, dastand, trat eine dicke Frau mit einem Körbchen am Arme dicht vor die Bude hin und drängte Lenchen mit ihrer großen Tanne zur Seite.
„Was stehst du da und gaffst?“ fuhr sie das Kind an, „mach Platz, du kaufst doch nichts!“ Und nun fing sie an, ein Stück nach dem andern auszusuchen. Schachteln mit Kochgeschirr von Blech, eine kleine Schäferei mit Häuschen, kleinen grünen Bäumen, Schäfer, Schafen und Hunden – jedes Stück für zehn Pfennig, Kaffeetassen für Puppen, – ach, und noch viele andere Herrlichkeiten wählte die Frau aus.
Wie staunte Lenchen alles an, wie wünschte sie nur die Hälfte davon zu besitzen.
Die Frau war nun zu Ende mit ihrem Einkauf, und der Kaufmann rechnete mit ihr zusammen.
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