Jani und Lotte hatte ich gesagt, dass ich am heutigen Abend nicht da sei. Obwohl es nichts
ausgemacht hätte, widerstrebte es mir, das nicht einzuhalten. Ich entschloss mich für einen
Kinofilm. Worum es dabei ging, kann ich beim bestem Willen nicht mehr sagen. Das Gute
daran war, dass mir eine Kinogesellschaft Beistand gewährte in dieser trostlosen Situation.
MEINE ENTSCHEIDUNG
Als ich Sonntagmorgen in der Badewanne lag, beschloss ich, dass ich Montag noch bleibe.
Kopenhagen würde ich zwei Tage später verlassen. Jani und Lotta flogen ins Ausland zum
Baden und Entspannen am Meer, sie machten in Spanien Urlaub. Ich müsste mir ein Hotel
suchen für die nächste Zeit. In Wahrheit wusste ich selbst nicht genau, wie dies weiterging.
Der Umtauschkurs der dänischen Kronen zu den englischen Pfund war teuer, die Hotels in
Kopenhagen auch. Ich verschwieg es Lotta und Jani, obwohl sie es verstanden hätten, aber
Glaube hinderte mich daran. Ich hatte Vertrauen zu ihnen und Bedenken ihres zu verlieren,
wenn sie meinen verlängerten Aufenthalt in Kopenhagen erfuhren und es nicht verstanden,
warum ich ihn geheim gehalten hatte. Kopenhagen wäre die letzte Stadt gewesen, in der es
verwunderlich wäre, wenn man einfach sagte, dass man sich in ein Mädchen verliebt hätte.
Dass man sich zu ihm hingezogen fühlt und nicht, weil man ihm Schuhe neu gekauft hätte.
Unser Ausflug war vorgestern. Meine Entscheidung entsprang aus reiner Phantasie heraus.
Nachdem ich Lotta und Jani zum Flughafen gefahren, ihnen gewinkt hatte, suchte ich nach
einem soliden Hotel. Ich stornierte meinen Flug, der eine Stunde später wäre, aß zu Mittag
und fuhr zurück nach Kopenhagen zum Krone-Hotel, in dem ich ein kleines Zimmer buchte.
„Spreche ich mit Elisa?“ „Oh, David, Sie sind nicht schon im Flugzeug nach London?“ Ich
wunderte mich über ihre aufgeschlossene Haltung, die keinerlei Teilnahmslosigkeit zeigte.
„Nein,- äh, ich habe hier noch Geschäftliches zu erledigen, ich bleibe noch kurze Zeit hier.
Wie geht es Ihrem Fuß?“ „Meinem Fuß? Oh, meinen Fuß hatte ich schon ganz vergessen,-
dem geht es gut.“ „Schön, Elisa, können Sie heute Abend mit mir essen gehen?“ „Nein, es
geht leider nicht heute Abend. Es tut mir leid, David. Doch bitte bedrängen Sie mich nicht.“
„Und morgen Abend, geht es morgen?“ Pause - „Moment, lassen Sie mich nachdenken. Ja,
morgen müsste es sich einrichten lassen. Ich denke schon, am besten, ich rufe nochmals an
im Krone-Hotel. Heute Abend melde ich mich zwischen sieben und acht Uhr abends. Aber
jetzt muss ich unser Telefonat beenden. Hier ist jede Menge los. Ich muss an meine Arbeit.“
„Gut, dann warte ich. Ich nehme den Hörer ab, bevor Sie zum zweiten Mal klingeln, Elisa.“
„David?“ „Ja? Machen Sie sich keine Bedenken. Ich glaube schon, dass das klappen wird.
Also dann, auf Wiedersehen, für heute Abend auf Wiederhören, ich freue mich schon sehr.“
Dreißig Stunden, die ich ohne sie durchhalten musste. Dreißig Stunden, in denen ich lieber
als Siebenschläfer überwintert hätte, als Motte im Schrank und als Raupe bis zu der letzten
Entpuppung, meiner endgültigen Entfaltung, die mich als Schmetterling davon fliegen ließ.
Dreißig Stunden, die ich gern als geschnürtes Paket in den See geworfen hätte. Ohne Elisa,
meinen Neuwagen und ohne positive Gesellschaft hatte ich keine Lust, irgendetwas zu tun.
Auch nicht auf Zerstreuung, ich konnte nicht den ganzen Tag durch viele Geschäfte laufen
oder mir Filme ansehen, die mich nicht interessierten. Gewiss hätte ich die dreißig Stunden
sinnvoll nutzen und mir Fachbücher ansehen können, die ich vor meiner Reise ins Gepäck
gesteckt hatte: Über königliche Porzellan-Manufaktur der Dänen und Engländer, Meißener
Porzellan-Malerei, die KPM in Berlin. Nein, das Fatale war, dass ich mich nicht einmal an
meinem beruflichen Interesse erfreuen konnte. Ein Dauerzustand durfte es nicht werden in
Anbetracht meiner Selbständigkeit. Im frühen Zustand bereitete mir das noch keine Sorgen.
Konnte ich überhaupt etwas tun, dann fiel mir genau das ein, was ich mit ihr gemacht hatte.
Ich fuhr nochmals zum See, ließ mir frischen Wind um die Nase wehen und ging spazieren.
Wie ein Eremit saß ich an einer ruhigen Stelle des Seeufers und versuchte meine Gedanken
zu sammeln. Auf einem langen Grashalm neben mir ließ sich ein gelber Zitronenfalter nieder,
der mich auf die richtige Idee brachte. „Oh, schau‘ nur, was für ein bildschöner Schmetterling!
Wie nennt man ihn auf englisch? Sie sind ein Mann, der immer etwas ganz Bestimmtes vorhat
und alles plant.“ Genauso war es. Bald würde ich im asiatischen Imbiss zu Mittag essen gehen.
Dieser schüchterne Einzelgänger, der keine Liebeserfahrung hat, war dem brillant schillernden
Schmetterling ins Netz gegangen? Nein, hinterher gesprungen auf einer Frühlingswiese bunter
Blumen, wie er sich von einer Blüte zur anderen schwang. Wenn dies Herr Larson auch nicht so
erkannt hatte, war das Mädchen eine phantastische Schönheit, was andere Männer auch sahen.
Meine Vermutung, dass sie haben konnte, wen sie wollte, war einfach klar. Dass ausgerechnet
ich, jener unerfahrene Liebhaber und geschäftstüchtige Junggeselle von ihr auserwählt werden
würde, war unwahrscheinlich. War ich wirklich verliebt? Wie konnte ich in ein mir völlig fremdes
Mädchen, von dem ich nichts wusste, das ich vor einer Woche zum ersten Male gesehen hatte,
verliebt sein? Ich war hier Ausländer und kannte mich in vielen Dingen nicht aus. Dies konnte
ein Reiz für sie sein. Vielleicht spielte sie einfach nur mit meiner Unwissenheit in jenem Land,
das sie kannte in all seinen Gebräuchen, aber ich nicht. Vielleicht machte das ihre Vorliebe für
mich aus? Die anderen könnte sie jederzeit haben. Doch nur einmal angenommen, ich war nun
wirklich verliebt, machte ich eine Narrenkappe aus mir, könnte man diesen Fortgang als reinste
Selbstquälerei bezeichnen. Was hatte ich bei Herrn Larson gesagt? Selbst, wenn ich mich zum
größten Narren Dänemarks machen würde, müsste ich unbedingt dieses Mädchen wiedersehen.
Doch wozu? Ich war kein Schmetterling-Experte .Warum hier bleiben und sich selbst weh tun?
Wäre es nicht besser, nach dem morgigen Treffen Kopenhagen zu verlassen und nach England
abzureisen? Noch bevor sie sagen konnte: „Lieber David, das war alles wunderschön! Sie sind
ein wahrhaftiger Gentleman. So schrecklich leid es mir auch tut, muss ich Ihnen sagen, dass es
kein weiteres Treffen mehr geben darf. Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche Ihnen alles
Gute!“ Sie konnte bestimmt sein, das hatte sie bereits gezeigt. Dann wäre es zu spät für mich in
der Entscheidung, die ich nun treffen sollte. Ich warf Stöckchen ins Wasser, die kein Hündchen
zurück holte. Ich trat gegen gefällte Baumstämme, was ich bei lebenden Bäumen nicht gemacht
hätte. Da wurde es mir bewusst. Wir hatten auch manches gemeinsam, unsere Liebe zur Natur.
Als ich so nach 16 Uhr zurückfuhr, kam ich unerwartet in dichten Berufsverkehr mit zusätzlicher
Schwierigkeit,- auf der Gegenfahrbahn links zu lenken. Rechtsverkehr war für mich ungewohnt.
Das ließ mich eine Nebenstraße verpassen, in die ich einbiegen musste. Ich lenkte nach rechts
und machte die Dreipunkt-Wendung. An der nächsten Kreuzung nahm ich die erste Ausfahrt in
die Parkstraße. Es war der Park in der Nähe des Hotels, als ich plötzlich zwei junge Frauen auf
einer Bank nebeneinander sitzen sah, nur kurz, schon war ich dran vorbei. Eine der Frauen war
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