Ich hatte eine Gelegenheit, sie zu stützen, nachdem sie sich den zweiten Schuh ausgezogen
hatte und auf Perlonstrümpfen weiterlief. „Oh, die Pfuscher!“ schimpfte sie, als sie den Absatz
in der Hand hielt, der von ihrem Schuh abgebrochen war, der Schuh sah billig und brüchig aus.
„Ich werde mich beschweren gehen.“ Dann hakte sie bei mir ein und ging leichtfüßig den Weg
an meiner Seite, ohne zu klagen, wehleidig zu wimmern. Dort war am Schlossgraben ein See
mit Schwänen. Kurzweilig stoppte sie mich, um ihnen nachzusehen und atmete tief. Ich meine,
dass Passanten auf der anderen Seite nicht merkten, dass sie auf Strümpfen war. Eine Straße
führte in hundert Metern zu meinem Auto auf einem Kiesweg. Ich hielt ihr die Tür auf, während
sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Jetzt haben Sie die schöne Aufgabe, mir diese Steine
von den Füßen abzulesen, David“, sagte sie und hielt mir ihr bestrumpftes Bein hoch entgegen.
Als ich es tat und ihren Fuß unter dem zerrissenen Strumpf untersuchte, zuckte sie zum ersten
Mal zusammen, dass sie quiekte: „Hu, das kitzelt.“ Dabei zog sie schnell ihr Bein an sich, dass
ich es fast ins Gesicht bekommen hätte. „Oh, dies tut mir leid, David! Kommen Sie, ich mache
es wieder gut.“ Sie strich mit ihrem Fuß über meine Wange, wobei ihr Perlonstrumpf knisterte.
Es war zwar kein Drei-Tage-Bart, doch hätte ich mich trotzdem vorher rasieren sollen. Bei der
Untersuchung des zweiten Fußes stellte ich eine tiefe, blutige Wunde fest. „Tut das nicht weh?“
„Nein.“ Sie schenkte dem keine Bedeutung, machte sich nicht einmal die Mühe, sie überhaupt
anzusehen. „Die Wunde muss gesäubert werden.“ Kein Wasser weit und breit, der Kanister in
dem Kofferraum war leer, den ich vergessen hatte zu füllen, weil ich hier in einer Fremde war.
„Finger anlecken!“ Ich zögerte. „Na los!“ So reinigte ich die blutende Wunde mit Spucke, wie
sie es sich im Sinne des umsorgt Werdens gern gefallen ließ, als hätte sie dies zuvor nie erlebt.
Ich fuhr danach in die Apotheke, um Verbandszeug zu kaufen. Sie amüsierte sich fast darüber.
„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, David!-Aber das wäre nicht wirklich nötig gewesen.
Trotzdem ist es ein wunderbares Gefühl, wenn sich einer sehr um einen kümmert und bemüht.“
Ich wollte sie erst einmal nach Hause fahren, bevor wir neue Unternehmungen starteten, doch
lehnte sie es strikt ab. „Wir können nach Kopenhagen fahren zu einem Schuhgeschäft, in dem
ich mir neue Schuhe kaufe. Dann kann ich von da aus nach Hause gehen. „Elisa, ich fahre Sie
dann nach Hause.“ „Nein, es ist nicht nötig, ich komme allein nach Hause.“ Sie schüttelte den
Kopf. Ich war verwundert. „Ja, soll ich Sie dann später abholen?“ „Heute Abend geht das nicht.“
„Sie meinen, Sie können heute Abend nicht mit mir essen gehen?“ „Ich denke, nein, es geht
nicht, so schön das hier wäre.“ Ich lenkte den Wagen rechts ein. „Und morgen vielleicht zum
Abendessen?“ „Morgen? Nein, morgen habe ich außerhalb von Kopenhagen zu tun, es geht
morgen nicht, so leid mir dies tut, wie schade!“ Sie lächelte, und ich schwieg. „Ich meine, ich
muss am Montag wieder abreisen!“ „Ich weiß, es geht jedoch wirklich nicht, heute Abend und
morgen, wenn das bestimmt wunderschön gewesen wäre.“ Ich war sehr verwundert,- dachte,
so ein Mädchen muss viele Verehrer haben. Ich wusste schon gar nicht mehr, warum ich das
machte. Ich war in dem Thema kein Profi. Wie es aussieht, will sie mich nicht wiedersehen.
Verdammt,- wenn ich das überhaupt beurteilen kann, hörte sich ihre Absage nicht glücklich
an. Heute morgen war sie noch übermütig und aufgekratzt, nun klang sie niedergeschlagen.
Es blieb nicht mehr viel Zeit. Das war das Dumme. Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte.
Vielleicht musste sie die kranke Mutter pflegen oder den invaliden Vater versorgen, wovon
ich nichts wusste. Ach,- viel wahrscheinlicher war es, dass sie sich mit ihrem festen Freund
traf. Sie hatte Spaß gehabt an dem Ausflug und gerne mit mir geflirtet,- doch war vergeben!
Es könnte mir egal sein, schließlich wollte ich mit ihr nicht ins Bett. Ich war sehr enttäuscht,
was mich selbst am meisten wunderte, nur zu gern hätte ich sie noch einmal wiedergesehen.
Als wir Kopenhagen erreicht hatten, schlug ich ihr zwei Schuhgeschäfte vor und bat sie, ihr
ein Paar neue Schuhe kaufen zu dürfen. „Nein,- dies ist sehr freundlich von Ihnen. Ich weiß
genau, wohin ich will. Dort setzen Sie mich bitte ab, und ich sage Ihnen „Auf Wiedersehen!“
Würden Sie bitte an der nächsten Ampel links abbiegen, weiter geradeaus.“ Sie hatte wenig
Spielraum, dachte ich mir. Ohne Schuhe konnte sie nicht nach Hause laufen und auch nicht
den Immer-Bus nehmen. Sie musste sich von mir chauffieren lassen und dirigierte mich ins
aufregend öde Einkaufs-Center, das unheimlich überladen war mit billigen Ramsch-Sachen.
Auf einer Schaufensterscheibe stand in Leuchtziffern: „Heute 30% Rabatt auf alles Weiße!“
Ich stieg aus, als sie meinte: „Lachen Sie nicht, David, ich habe hier schon schön Tragbares
ergattert, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.“ Sie lächelte mich verlegen an, wie
es mir schien. „Ich lache gar nicht. Solch Center ist bestimmt eine gute Quelle und hat auch
Schuhgeschäfte, insbesondere für jene, die Ihnen abgebrochen sind.“ Dies war ganz ätzend.
Ich schämte mich ein wenig. „Das war die Enttäuschung und Wut, weil Sie so gefallen sind.
Ich fand die Schuhe hübsch. Ich war war nur denen böse, die Sie hereingelegt haben, das
ist alles.“ „Ich werde mich beschweren gehen.“ „Dafür fehlt jetzt Zeit. Außerdem hat dieser
Laden dicht.“ „Ich habe da schon viele schöne Sachen gekauft“, sagte sie entschuldigend.
Erst einmal war Elisa mit ihrem Latein am Ende. Als wir wieder in mein Auto stiegen, kam
es zu einer kurzen, unbeabsichtigten Berührung. „Ich bin auf eine Idee gekommen, Hippie!
Ich gehe barfuß nach Hause, ganz modern!“ sagte sie fröhlich. Ich war nah am Verzweifeln.
Zuerst dachte ich, ich höre nicht richtig.- „Elisa, mit der offenen Schnittwunde auf dreckigen
Bürgersteigen, nur ein Pflaster! Machen Sie bitte keine weiteren Einwände, wenn ich Ihnen
neue Schuhe kaufen möchte.“ Sie zögerte einen kleinen Moment, dann gab sie nach. „Es ist
reizend von Ihnen, David. Das ist wirklich äußerst nett von Ihnen.“ Dann fuhr ich sie zu Illum,
einem bekannten Schuhgeschäft in Kopenhagen, in dem Sie gewiss zwei Dutzende Schuhe
ausprobierte zum sichtbaren Verdruss einer schwer beladenen Verkäuferin. Sie lief stets im
Wandspiegel auf und ab, mit Entzücken über die Eleganz ihrer Füße, die sie zur Schau trug.
Nach einer Stunde entschied sie sich endlich für die hochhackigen, marineblauen Sandalen,
die ich mit Kredit-Karte bezahlte. Darin durfte ich sie bis zur Immer-Bushaltestelle begleiten.
Inzwischen wusste ich, dass es sinnlos war, sie umzustimmen. Sie wirkte traurig in Bedacht
auf Körperhaltung und Selbstkontrolle. Ihre Stimme bebte, als sie in Trivialitäten schwatzte,
mit der Selbstsicherheit, die ihr anscheinend nie abhanden kam, wie ich feststellen konnte.
Sie war betrübt. Ich hatte keine Lust zu Smalltalk. Ich sagte ihr traurig, wie sehr ich erhoffe,
dass wir uns wiedersehen, wenn ich nächstes Mal in Kopenhagen bin, ich wünschte es mir.
Ich dankte ihr für ihre Briefe und drehte mich kurz um zum Winken.- Dann fuhr der Bus los.
Ich sah ihm nicht nach, sondern verschwand wie rasch aus der Affäre in einer Seitenstraße.
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