Mrs. Darrell war bei dieser Unterredung zugegen und ich war sehr überrascht, daß sie in der Frage über die Pflege der Kranken meine Partie nahm, da es doch sonst ihre Gewohnheit war, mir in allen Dingen entgegenzutreten. Heute zeigte sie sich ganz besonders zuvorkommend gegen mich.
Eine weitere Woche verging und es war keine Aenderung zum Bessern, aber auch keine wahrnehmbare Verschlechterung eingetreten. Die Kranke war nur ein wenig schwächer und litt an Gemüthsverstimmung, gegen die alle meine Bemühungen vergebens blieben.
Angus Egerton kam während dieser Woche täglich zweimal, aber er sah Mrs. Darrell nur sehr selten. Ich glaube, daß er sie nach der oben beschriebenen peinlichen Szene sorgfältig vermied. Er fragte stets nach mir, um die gewünschten Aufschlüsse über das Befinden seiner Verlobten zu erhalten.
So gingen die Tage in jener langsamen traurigen Weise hin, in der die Zeit vergeht, wenn Diejenigen, die wir lieben, krank sind, und es schien in der Todtenstille des Krankenzimmers, als ob alle Dinge des Lebens zum Stillstand gekommen wären.
Ich sah während dieses Zeitraums nicht viel von Mrs. Darrell. Sie kam zwei- oder dreimal des Tags an Milly’s Thüre, um sich mit allen Zeichen der Liebe und Theilnahme nach ihrem Befinden zu erkundigen; aber während des übrigen Theils des Tags blieb sie in ihren eigenen Zimmern. Ich bemerkte, daß sie um diese Zeit ein bleiches verstörtes Aussehen hatte, wie eine Person, die lange Zeit ohne Schlaf gewesen; doch dies konnte mich nach jener Szene mit Mr. Egerton nicht überraschen.
Indeß dehnte sich die Dauer der Krankheit über alle Erwartung aus und im Verlaufe der Zeit fühlte ich, daß meine Kräfte nachließen und daß wir schließlich doch genöthigt sein dürften, eine gelernte Wärterin anzunehmen. Ich hatte, seit dem ersten Beginn von Milly’s Krankheit, sehr wenig geschlafen und die Wirkungen dieser verlängerten Schlaflosigkeit begannen sich jetzt geltend zu machen; aber ich kämpfte entschlossen gegen die Ermüdung und mit Hilfe unzähliger Tassen starken Thees gelang mir das auch.
Mit dem Beistand von Milly’s Kammerjungfer, Susan Dodd, die ihrer Gebieterin sehr zugethan war, versah ich alle Dienste des Krankenzimmers.
Die Arzneien, der Wein, die Suppen, die Gelees und alle Dinge, die für die Kranke nothwendig waren, wurden in dem Ankleidezimmer aufbewahrt, das durch eine Thür mit dem Schlafzimmer und durch eine zweite mit dem Gang in Verbindung stand.
Das Krankenzimmer, das sehr groß und lustig war, wurde dadurch von allen fremden Gegenständen frei gehalten und Susan und ich waren immer darauf bedacht, ihm ein frisches heiteres Aussehen zu geben. Zu diesem Zweck pflegte ich auch jeden Morgen aus dem Garten ein kleines Bouquet für das Tischchen am Bett zu holen. Schon seit geraumer Zeit hatte ich Peter, den Enkel der Mrs. Thatcher vermißt. Ich fragte einen der Leute, was aus ihm geworden sei, und erhielt zur Antwort, daß er das Fieber bekommen habe und im Hause seiner Großmutter krank darniederliege. Ich erwähnte dies gegen Mrs. Darrell und bat sie um die Erlaubniß, ihm einige passende Speisen und etwas Wein senden zu dürfen, was sie auch zugestand.
Nach Verlauf einer Woche stattete der Arzt aus Manchester einen zweiten Besuch ab und bei dieser Gelegenheit sprach er sich über den Fall nicht so bestimmt aus. Er sagte, er glaube nicht, daß für jetzt Gefahr vorhanden sei, da er aber die Kranke schwächer fand, war er keineswegs zufrieden. Er ließ die Arznei wechseln, schärfte wiederholt sorgfältige Pflege und Ruhe ein und trug dem Dr. Hale auf, es ihm sofort durch den Telegraphen zu melden, wenn eine Verschlimmerung eintreten sollte.
Ich war diesmal in Folge seines Benehmens sehr niedergeschlagen und kehrte in das Zimmer meines theuren Mädchens mit schwerem Herzen zurück.
Ich hatte die Gewohnheit, des Nachmittags, so gut es anging, einige Stunden zu schlafen, um so im Stande zu sein, die ganze Nacht zu wachen. Während ich auf diese Weise abwesend war, versah Susan Dodd meine Stelle am Bette der Kranken. Des Nachts ließ ich dagegen das Mädchen schlafen, damit es am Tage frisch und munter wäre. Ich fühlte, daß die Nachtwache wichtiger sei und wollte sie deshalb keiner andern Person anvertrauen.
Unglücklicher Weise kam es sehr oft vor, daß ich, wenn ich des Nachmittags in mein Zimmer ging, um mich niederzulegen, nicht im Stande war, einzuschlafen. Die Hälfte der Zeit lag ich gewöhnlich wachend da, an mein liebes Mädchen denkend und für ihre Wiedergenesung betend. An dem Nachmittage, welcher dem zweiten Besuche des Manchester Arztes folgte, begab ich mich, wie gewöhnlich, nach meinem Zimmer, hatte aber weniger als jemals Neigung zum Schlafen. Zum erstenmal seit dem Beginn des Fiebers fühlte ich eine schreckliche Furcht, daß der Ausgang verhängnißvoll sein könnte. Ich lag, mich von einer Seite auf die andere wälzend, ruhelos da und suchte mich, über jedes Wort und jede Miene des Arztes nachdenkend, zu überreden, daß keine wirkliche Gefahr vorhanden sei.
Auf diese Weise war ich mehr als eine Stunde wach gewesen, als ich die Thüre von Milly’s Ankleidezimmer, die sich ganz nahe an der meinigen befand, leise zumachen hörte. In der Meinung, daß man meiner bedürfe, sprang ich augenblicklich auf und eilte aus den Gang hinaus. Aber anstatt. wie ich erwartet hatte, Susan Dodd zu finden, sah ich, daß mir Mrs. Darrell gegenüberstand.
Sie erschrak ein wenig, als sie mich bemerkte. Sie hatte die Hand noch auf dem Drücker der Thüre des Ankleidezimmers, mich mit dem sonderbarsten Ausdruck, den ich jemals in einem menschlichen Gesichte gesehen habe, anblickend. Furcht, Trotz, Haß — was war es?«
»Ich glaubte, Sie schliefen,« sagte sie.
»Ich habe diesen Nachmittag nicht einschlafen können.«
»Sie sind eine schlechte Wärterin, Miß Crofton, wenn Sie nicht nach Belieben schlafen können,« sagte sie. »Nach der Art, wie Sie aus dem Zimmer gestürzt sind, fürchte ich, daß Sie auch aufgeregt sind.«
»Ich hörte diese Thüre schließen und glaubte, Susan käme, um mich zu rufen.«
»Ich war innen, um zu sehen, wie es der Kranken geht — das ist Alles.«
Sie ging an mir vorüber und nach ihren eigenen Gemächern, welche auf der andern Seite des Hauses lagen. Ich fühlte, daß jetzt jeder weitere Versuch zu schlafen, nutzlos sein würde und kehrte in Millys Zimmer zurück, die, wie mir Susan sagte, sehr ruhig geschlafen hatte.
»Sie haben wahrscheinlich der Mrs. Darrell, als sie so eben hier war, um sich zu erkundigen, gesagt, daß Alles gut gehe?« fragte ich.
»Mrs. Darrell war nicht da, seit Sie sich schlafen gelegt haben, Miß» antwortete das Mädchen, über meine Frage verwundert.
»Wie, Susan, Mrs. Darrell war ja so eben erst in dem Ankleidezimmer. Ich hörte sie herauskommen und ging hinaus, um zu sehen, wer da wäre. Ist sie nicht hereingekommen, um sich nach Miß Darrell zu erkundigen?«
»Nein, Miß.«
»Dann hat sie wahrscheinlich nur hereingeblickt und gesehen, daß Miß Darrell eingeschlafen war.«
»Ich kann nicht einsehen, wie sie diese Thüre öffnen konnte, ohne daß ich es hörte. Ich weiß bestimmt, daß sie fest geschlossen war.«
Sie war geschlossen worden, als ich durch das Ankleidezimmer hinausging. So geringfügig dieser Vorfall an sich war, so erregte er doch mein Nachdenken. Ich wußte, daß Augusta Darrell ihre Stieftochter haßte und der Gedanke, daß diese geheime Feindin um das Krankenzimmer herumschlich, war mir nicht ganz gleichgültig. Auch der Ausdruck, den ich in ihrem Gesicht gesehen, machte mich nachdenklich. Daß sie mich haßte, wußte ich; aber es lag neben der Abneigung auch Furcht in ihrem Blick und ich konnte mir, keinen Grund denken, weshalb sie eine so unbedeutende Person wie ich fürchten sollte.
Der übrige Theil dieses Abends und der Nacht verging ohne ein bemerkenswerthes Ereigniß. Ich ließ die Thüre zwischen dem Schlaf- und Ankleidezimmer die ganze Nacht über weit offen, entschlossen, daß Augusta Darrell nicht ohne mein Wissen in dieses Zimmer kommen sollte; aber die Nacht verging, ohne daß wir etwas von ihr zu sehen bekamen.
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