»Die Veränderung seiner Umstände hat den Menschen nicht umgeändert,« antwortete er in zornigem Tone. »Nichts Gutes kann von einer solchen Heirath kommen.«
»Sie haben kein Recht, das zu sagen, Mr. Stormont.«
»Ich habe das Recht, das mir meine Ueberzeugung verleiht. Eine glückliche Heirath! Nein es wird keine glückliche Heirath sein, Sie können sich davon überzeugt halten.«
Er sagte dies mit einem rachbegiertgen Blick, der mich überraschte, obschon ich wußte, daß er gegen Millys Bräutigam nicht besonders freundlich gesinnt sein konnte. Die Worte mochten wenig zu bedeuten haben; mir aber kamen sie wie eine Drohung vor.
Der Sommer in diesem Jahre war herrlich und wir brachten den größten Theil unserer Zeit im Freien zu, indem wir zu Fuß und zu Wagen Ausflüge machten, oder im Garten saßen, oft bis spät in die Nacht. Es war ein Wetter, in dem es eine Art Verrath gegen die Natur gewesen, sich länger als nöthig, im Zimmer aufzuhalten.
Wir unternehmen oft lange Spaziergänge im Cumber-Holz, die damit endigten, daß wir in dem kleinen Studierzimmer der Priorei unsern Thee einnehmen — eine schlichte, einfache Bewirthung, welche Milly ungemein liebte. Sie kam mir bei diesen Anlässen wie ein glückliches Kind vor, das sich darin gefällt, die Hausfrau zu spielen.
Augusta Darrell war fast immer in unserer Gesellschaft. Ihr Benehmen zu dieser Zeit setzte mich vielfach in Erstaunen und Verwirrung. Es schien jetzt ganz so zu sein, wie man es von einer guten Stiefmutter erwarten kann. Ihre frühere gleichgültige Miene war ganz verschwunden; sie war herzlicher und nahm einen größeren Antheil an Millys Wohlergehen, als ich dies früher für möglich gehalten hatte. Das Mädchen war ganz gerührt von dieser Veränderung in ihrem Benehmen und erwiederte dieses ungewohnte warme Entgegenkommen mit arglosem Vertrauen.
Ich meines Theils erinnerte mich an Alles, was ich gesehen und geargwöhnt hatte und ich konnte mich deshalb nicht dazu verstehen, in Millys Stiefmutter mein volles Vertrauen zu setzen. Eine dunkle unbestimmte Besorgniß, der ich mich nicht zu enthalten vermochte, beunruhigte mich.
Wie ich bereits gesagt, war sie immer in unserer Gesellschaft, alle unsere einfachen Vergnügungen mit einem Anschein von mädchenhafter Fröhlichkeit mit uns theilend. Ich bemerkte, daß ihre Toilette bei solchen Anlässen stets von ausgesuchter Eleganz war und daß sie keine jener Künste vernachlässigte, die ihre Reize erhöhen konnten; aber sie versuchte niemals Mr. Egertons Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen und sie ließ niemals seine Stellung als Millys Verlobter außer Acht.
Lange Zeit wurde ich durch ihr Benehmen getäuscht — fast überzeugt, daß wenn sie jemals Angus Egerton geliebt hätte, diese Leidenschaft in ihrem Herzen erstorben sein müßte. Aber es kam ein Tag, wo ein Blick von ihr den wahren Stand der Sache verrieth und mir deutlich genug zeigte, daß diese ganze neuerwachte Zuneigung für Milly sowohl als die liebenswürdige Theilnahme für ihr Glück nichts weiter als eine gut einstudierte Rolle sei. Es war nur ein Blick — ein ernster, verzweifelnder, leidenschaftlicher Blick — der mir dies sagte, aber es war ein Blick, der das Geheimniß eines Lebens verrieth. Von diesem Augenblicke an traute ich Augusta Darrell nicht mehr.
Mit dem Eintritt des Herbsts änderte sich das Wetter und es begann die unangenehme regnerische Jahreszeit. Die Aenderung der Witterung brachte uns Sorgen und Mißgeschick. In der Umgegend von Thornleigh herrschten fieberhafte Krankheiten und Milly wurde ebenfalls davon befallen. Sie hatte ihre Besuche bei den Armen selbst während ihres Brautstands nicht eingestellt und es ist kein Zweifel, daß sie bei einer dieser Gelegenheiten vom Fieber angesteckt wurde.
Ihre Krankheit erweckte indeß keine Besorgniß; auch hielt man sie nur unter gewissen Umständen für ansteckend. Mr. Hale, der Arzt von Thornleigh, nahm die Sache sehr leicht und versicherte uns, daß Milly in einer Woche wieder vollkommen gesund sein werde. Mittlerweile aber hütete mein liebes Mädchen das Zimmer und ich pflegte sie mit Beihilfe ihrer ergebenen kleinen Zofe.
Mr. Egerton kam täglich, gewöhnlich zweimal des Tags, um sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen. Er blieb gewöhnlich eine halbe Stunde oder länger da, um sich mit Mrs. Darrell oder mir zu besprechen. Diese Krankheit ging ihm sehr nahe und er konnte die Wiederherstellung seiner Verlobten kaum erwarten. Es war ihm nicht gestattet, sie zu besuchen, da vollkommene Ruhe die Haupterforderniß für ihre Genesung war.
Die Woche war fast vorüber und Milly bedeutend besser, Sie konnte jetzt täglich einige Stunden das Bett verlassen und der Arzt versprach Mr. Egerton, daß sie zu Anfang der nächsten Woche in das Wohnzimmer hinuntergehen dürfe. Das Wetter war diese ganze Zeit über ohne Unterbrechung regnerisch gewesen. Endlich aber kam ein schöner Abend und ich ging hinunter auf die Terrasse, um mir nach der langen Gefangenschaft einige Bewegung zu machen. Es war zwischen sechs und sieben Uhr; Milly schlief und es war nicht wahrscheinlich, daß man meiner in der nächsten halben Stunde bedürfen werde.
Es herrschte bereits Dämmerung, als ich ins Freie trat und Alles war ungewöhnlich ruhig, kein Blättchen regte sich in der stillen Luft. Trotz der späten Stunde war der Abend mild und warm. Ich schritt etwa zehn Minuten lang auf der Terrasse an der westlichen Seite auf und ab und ging dann nach der andern Seite, wo sich die Fenster des Besuchs und Wohnzimmers befanden. Ehe ich das erste dieser Fenster ganz erreichte, traf ein so eigenthümlicher Ton mein Ohr, daß ich unwillkürlich stehen blieb, um zu horchen. Während des ganzen Vorgangs, der jetzt folgte, hatte ich keine Zeit zu erwägen, ob ich Recht oder Unrecht thue, wenn ich, was ich vernahm, anhörte; aber ich glaube, daß ich, wenn ich auch hinlängliche Muße zum Nachdenken gehabt hätte, zu dem- selben Entschluß gekommen wäre — ich würde gehorcht haben. Was ich hörte war von solcher Wichtigkeit für das Mädchen, das ich liebte, daß die Freundschaft für sie jede andere Rücksicht überwog.
Der eigenthümliche Ton, der mich in der Nähe des offenen Fensters zum Stehenbleiben veranlaßte, war das heftige Schluchzen eines Weibes — ein solches stürmisches Weinen, wie man es nicht leicht im Leben hört. Ich wenigstens hatte früher nie etwas Aehnliches vernommen.
Angus Egertons wohltönende Stimme unterbrach fast ärgerlich dieses leidenschaftliche Schluchzen.
»Augusta, dies ist die äußerste Thorheit.«
Das Schluchzen dauerte noch einige Secunden fort, dann hörte ich sie sagen:
»O Angus, ist es so leicht für Dich, die Vergangenheit zu vergessen?«
»Sie war längst vergessen,« antwortete er, »von uns Beiden sollte ich glauben. Als meine Mutter Dich bestach, Ilfracomba zu verlassen, hast Du meine Liebe und mein Glück für den elenden Preis verkauft, den sie zu bezahlen vermochte. Ich war ein schwacher Thor in jenen Tagen und nahm mir die Sache, Gott weiß es, bitter genug zu Herzen; aber die Lection war nützlich und sie erfüllte ihren Zweck. Ich habe mir seit jenem Tage niemals getraut, wieder ein Weib zu lieben, bis ich das reine junge Wesen fand, das meine Frau werden soll. Ihre Treue steht über allem Zweifel. Sie wird ihre Erstgeburt nicht für ein Linsengericht verkaufen.«
»Das Linsengericht war nicht für mich, Angus. Es war der Handel meines Vaters, nicht der meinige. Man hatte mir gesagt, daß Du nichts mehr von mir wissen wolltest, daß Du niemals daran gedacht habest, mich zu heirathen. Ja, Angus, Deine Mutter hat mir das mit ihren eigenen Lippen gesagt — hat mir gesagt, daß sie sich ins Mittel lege, um euch vor Elend und Schande zu retten. Und dann brachte man mich eiligst in ein wohlfeiles französisches Erziehungsinstitut, um dort zu lernen, für mich selbst zu sorgen. Ein paar Jahre Unterricht war der Preis, den ich für mein gebrochenes Herz erhielt. Das nannte Deine Mutter eine Dame aus mir machen. Ich glaube, ich würde in diesen beiden Jahren wahnsinnig geworden sein, wenn meine leidenschaftliche Liebe zur Musik nicht gewesen wäre. Dieser gab ich mich mit ganzer Seele hin, und man sagte mir, ich habe in zwei Jahren mehr gelernt, als andere Mädchen in sechs. Ich hatte nichts Anderes, um dafür zu leben.«
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