Mary Elizabeth Braddon - Milly Darrell

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Mary Elizabeth Braddon war eine der populärsten Schriftstellerinnen des viktorianischen England. Sie war das, was man heute eine Bestsellerautorin nennt. Ihre Themen waren vorwiegend Kriminal- und Gespenstergeschichten, auch Gesellschafts- und Abenteuererzählungen entstammten ihrer Feder. Ihre populären Geschichten, deren Sensationseffekte im Rahmen von gut durchdachten Handlungen präsentiert wurden, nötigten auch Schriftstellerkollegen wie William Makepeace Thackeray oder George Bernard Shaw Respekt ab.

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Milly Darrell

Mary Elizabeth Braddon

Inhaltsverzeichnis

Erster Band.

I. Kapitel. Ich beginne das Leben.

II. Kapitel. Ein Besuch bei Milly.

III. Kapitel. Zu Thornleigh.

IV. Kapitel. Mrs. Thatcher.

V. Kapitel. Millys Brief.

VI. Kapitel. Eine neue Bekanntschaft.

VII. Kapitel. Eine kleine Freierei.

VIII. Kapitel. Auf der Wacht.

IX. Kapitel. Angus Egerton ist abgewiesen.

X. Kapitel. Veränderungen zu Thornleigh.

XI. Kapitel. Gefahr.

XII. Kapitel. Geschlagen.

Alt-Rudderford-Hall.

I. Kapitel.

II. Kapitel.

III. Kapitel.

Zweiter Band.

IV. Kapitel.

V. Kapitel.

Der glänzende Fremde.

Die Sünden der Väter.

I.

II.

III.

IV.

Mr. und Mrs. de Fontenoy.

Ein guter Hasser.

Der gefürchtete Gast.

Dritter Band.

Oberst Benyon’s Liebe

I. Kapitel.

II. Kapitel.

III. Kapitel.

IV. Kapitel.

V. Kapitel.

Die Rache des Zoophyten

I. Kapitel.

II. Kapitel.

III. Kapitel.

IV. Kapitel.

Zu Chrighton-Abtei.

Drei Zeiten.

I. Kapitel. Zum Erstenmal.

II. Kapitel. Zum Zweitenmal.

III. Kapitel. Zum Drittenmal.

Am Abgrund.

I. Kapitel.

II. Kapitel.

III. Kapitel.

Impressum

Erster Band.

I. Kapitel.

Ich beginne das Leben.

Ich zählte gerade neunzehn Jahre, als ich meine Laufbahn als Schülerin und Lehrerin zugleich bei Miß Bagshots von Albury Lodge, Yorkshire, begann. Mein Vater war ein Landpfarrer mit einer schmächtigen Frau und vier Kindern, von denen ich das älteste war. Ich hatte von Kindheit an gewußt, daß der Tag kommen werde, wo ich meinen Lebensunterhalt in dem Berufe, der fast allein der Tochter eines armen Gentleman offen steht, erringen müßte. Ich hatte eine gute Erziehung genossen, und die erste Gelegenheit, die sich darbot, mich in der Welt unterzubringen, wurde von meinem armen Vater mit Freude ergriffen. Er verstand sich gerne dazu, die mäßige Entschädigung zu bezahlen, welche Miß Bagshots verlangte, damit ich in den Pflichten einer Gouvernante unterrichtet wurde und meine Lehrfähigkeit an den jüngeren Zöglingen im Erziehungsinstitute zu Albury Lodge erproben könnte.

Wie gut erinnere ich mich noch des Abends, wo ich daselbst anlangt. Es war ein düsterer unfreundlicher Tag zu Ende des Monats Januar, und ein feiner Regen, der, seit ich mein kleines nettes, väterliches Haus in Briarwood verlassen hatte, ohne Unterbrechung andauerte, hatte denselben nach unfreundlicher gemacht. Meine Reise, auf der ich dreimal die Züge wechseln mußte, war ebenso ermüdend als langweilig; aber des ohngeachtet gewährte mir das Bewußtsein, daß ich meiner Bestimmung näher sei, kein Gefühl der Befriedigung. Ich glaube, ich hätte vielmehr gewünscht, daß diese traurige Reise sich ins Unendliche verlängern möchte, wenn ich nur dadurch dem Beginn meines neuen Lebens hätte entgehen können.

Ein rumpelnder alter Omnibus brachte mich von der Eisenbahnstation nach Albury Lodge, nachdem er eine ältliche Dame mit saurem Gesicht an einem Hause vor dem Städtchen und einen kleinen Mann, den ich für einen Geschäftsreisenden hielt, an einem Wirthshause auf dem Markt abgesetzt hatte. Der kleine Ort bot selbst an diesem regnerischen Winterabend ein freundliches und behagliches Aussehen dar, und es fielen mir unter andern zwei schöne alte Kirchen und ein großes modernes Gebäude, das ich für das Rathhaus hielt, angenehm auf.

Wir kehrten der Stadt wieder den Rücken, ehe wir zu Albury Lodge gelangten. Es war ein großes, viereckiges, aus rothen Ziegelsteinen erbautes Haus an der Landstraße, von der es durch hohe Mauern abgesperrt wurde. Das große gußeiserne Thor auf der Vorderseite war mit Brettern verschlagen und als Eingang diente eine kleine Nebenpforte, durch die man auf einen gepflasterten Weg gelangte, der zu einer kleinen Thüre an der Seite des Hauses führte. Der Omnibuskutscher setzte mich an dieser Pforte mit allen meinen weltlichen Habseligkeiten ab, welche zu dieser Zeit meines Lebens aus zwei sehr kleinen Koffern und einem lackierten Toilettenkästchen bestand, das alle meine theuersten Schätze enthielt.

Ich wurde von einer sehr übellaunig aussehenden Hausmagd mit einer puritanischen Haube und einer fleckenlosen weißen Schürze eingelassen. Ich bildete mir ein, daß sie etwas verächtlich auf meine Koffer blickte, die wahrscheinlich für ihre eigene Garderobe zu klein gewesen wären.

»O, Sie sind wahrscheinlich die Gouvernante-Schülerin?« sagte sie. »Sie sind schon zeitig diesen Nachmittag erwartet worden. Miß Bagshot und Miß Susan sind ausgegangen zum Thee; aber ich kann Ihnen ihre Schlafstelle zeigen, wenn Sie mit mir gehen wollen. Glauben Sie, daß Sie einen Ihrer Koffer tragen können, wenn ich den andern nehme?

Ich glaubte ich könnte es und so schleppten die Hausmagd und ich dieselben nach der kleinen Thüre an der Seite des Wohngebäudes und von dort eine Hintertreppe hinauf bis in das oberste Stockwerk, wo mich die Dienerin in ein langes kahles Gemach mit zehn kleinen Betten führte. Das öde Aussehen der Schlafsäle in den gewöhnlichen Erziehungsinstituten war mir nichts Neues, aber dieser kam mir ganz besonders traurig vor.

Eine Gasflamme brannte an dem einen Ende des Gemachs in der Nähe einer Thüre, die zu einem Waschzimmer führte, das indeß so klein war, daß es nur für einen einzigen Waschtisch Raum hatte, in dem aber zehn junge Mädchen ihre täglichen Waschungen vornehmen mußten. Hier wusch ich mein Gesicht und meine Hände in eisig kaltem Wasser und ordnete mein Haar, so gut ich es ohne die Hilfe eines Spiegels, eines Luxusgegenstands, für den in Albury Lodge keine Vorsorge getroffen war, zu thun vermochte. Während ich auf diese Weise meine kurze Toilette machte, sah mir die Dienerin zu, indem sie darauf wartete, mich nach dem Schulzimmer zu führen. Vor Frost zitternd folgte ich ihr in ein großes leeres Gemach im ersten Stock. Die Ferien waren noch nicht ganz vorüber und von den Zöglingen war noch keine zurückgekehrt. Eine fast peinliche Sauberkeit und Nacktheit herrschte überall in diesem Gemach und ich konnte mich des Gedankens nicht enthalten, daß ein Saal in einem Arbeitshause mindestens ebenso freundlich aussehen würde. Selbst das Feuer in dem hochvergitterten Kamin schien anders zu brennen als andere Feuer dieser Art. Es wurde dies, wie ich später erfuhr, durch reichliche Beimischung von Coks bewirkt. Ein langsamer Rauch stieg aus der trägen Masse auf, die nur selten durch eine schwache gelbliche Flamme belebt wurde. Ein einziges Gaslicht erhellte spärlich dieses lange düstere Gemach, in dem sich außer mir und meiner Führerin kein menschliches Wesen befand.

»Ich werde-Ihnen gleich etwas zum Abendessen bringen, Miß,« sagte die Hausmagd und entfernte sich, ehe ich um jenes weibliche Lieblingsgetränk, um eine Tasse Thee, eine schüchterne Bitte vorbringen konnte.

Ich hatte nicht erwartet, am ersten Abend meiner Ankunft mich ganz allein zu finden und ein Gefühl hoffnungsloser Verlassenheit überkam mich, als ich mich an dem einen Ende eines langen grünen Wachstuch überzogenen Tisches niedersetzte und den Kopf auf meine übereinander gefaltete Arme legte. Dies war allerdings sehr schwach und töricht von mir, ein schlimmer Anfang meines neuen Lebens; aber ich bin ganz unfähig, gegen dieses Gefühl äußersten Elends anzukämpfen. Ich dachte an Alle, die ich zu Hause zurückgelassen hatte. Ich dachte, wie mein Leben beschaffen sein würde, wenn mein Vater ein wenig besser daran wäre und dann brach ich in Weinen aus, als ob mir das Herz brechen wollte.

Plötzlich fühlte ich mitten in diesem törichten Ausbruch eine leichte Hand auf meiner Schulter und, als ich aufblickte, sah ich ein Gesicht über mich gebeugt, ein Gesicht voll von Theilnahme und Mitleid.

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