»Reden wir jetzt nicht weiter von ihnen. Ich wünschte vielmehr Alles zu erfahren, was Dir über meine Stiefmutter bekannt ist.«
»Das ist sehr wenig von Belang. Ich kann Dir nichts weiter sagen, als daß sie die Tochter eines Gentleman, sehr gebildet, ohne Geld und vierundzwanzig Jahre alt ist. Sie reiste als Gesellschafterin mit einer ältlichen Dame, als sie Dein Vater in einer Gemäldegalerie zu Florenz traf. Er kannte, wie ich glaube, die alte Dame und durch sie machte er die Bekanntschaft der jüngeren.«
»Nur vierundzwanzig! Nur vier Jahre älter als ich!«
»Nicht wahr, sehr jung? Aber wenn ein Mann im Alter Deines Vaters eine zweite Ehe eingeht, so nimmt er gewöhnlich eine junge Frau. Dies ist natürlich ganz eine vollkommene Liebesheirath.«
»Ja« ganz eine Liebesheirath,« wiederholte Milly mit einem Seufzer.
Ich wußte, daß sie sich bei dem Gedanken, wie sehr sie und ihr Vater früher einander Alles in der Welt gewesen, eines schmerzlichen Gefühls von Eifersucht nicht erwehren konnte. Sie hatte mir ja so oft von ihrem glücklichen zusammenleben, von dem vollkommenen Vertrauen, das zwischen ihnen bestand, erzählt.
Julian Stormont blieb ohngefähr noch eine halbe Stunde da und plauderte mit ihr und gelegentlich auch ein wenig — sehr wenig mit mir und dann entfernte er sich. Milly sagte mir, er sei die rechte Hand seines Onkels im Geschäfte und nach dem Wenigen, was ich von ihm gesehen, konnte ich mir denken, daß er in jeder Lebenssphäre eine hervorragende Rolle spielen würde.
»Papa hegt eine sehr hohe Meinung von ihm,« sagte sie, als wir, nachdem er uns verlassen, über ihn mit einander sprachen.
»Und Du hast ihn wahrscheinlich sehr lieb?«
»O ja, ich habe ihn mein ganzes Leben hindurch gekannt und wir sind fast wie Bruder und Schwester. Nur ist Julian eine jener gedankenvollen und zurückhaltenden Persönlichkeiten, mit denen man nicht so schnell vertraut wird.«
III. Kapitel.
Zu Thornleigh.
Die gewöhnlichen Sommerferien begannen endlich und Mr. Darrell kam in eigener Person, um seine Tochter abzuholen, zu ihrer großen Freude. Sie sollte, wenn sie es nicht selbst wünschte, nicht mehr in das Institut zurückkehren, sagte er. Ihre neue Mama wünsche lebhaft, sie bei sich zu haben und sie könne Lehrer in Thornleigh erhalten, wenn ihre Erziehung nicht bereits vollendet sei.
Ihre Augen waren voll Thränen, als sie kam, um mir dies zu sagen und mich ins Besuchszimmer zu führen, wo sie mich ihrem Vater vorstellen wollte — eine Vorstellung, auf der sie trotz meiner Bitten bestand, denn ich war in dieser Zeit meines Lebens äußerst schüchtern und fürchtete die Begegnung mit einem Fremden.
Mr. Darrell empfing mich sehr freundlich. Er war ein schöner, schlanker Mann, der eine große Aehnlichkeit mit der Photographie in Millys Zimmer hatte und ich entdeckte auch den harten Zug um seinen Mund, den ich auf beiden Portraits bemerkt hatte. Er schien eine große Zuneigung zu seiner Tochter zu hegen und ich habe nie ein schöneres Bild gesehen, als sie darstellte, wenn sie an seiner Seite stand und mit liebenden Blicken ihrer dunkelbraunen Augen zu ihm emporsah.
Er fragte mich, wo ich meine Ferien zuzubringen gedachte und als er hörte, daß ich in Albury Lodge bleiben würde, fragte er mich, ob ich nicht für die Sommervacanz mit Milly nach Thornleigh kommen wolle. Das liebe Kind klatschte vor Freude in die Hände, als es diesen Antrag hörte und rief:
»O ja, Mary« nicht wahr, Du gehst mit uns? Du lieber guter Papa, das sieht Dir ganz gleich; Du erräthst immer, was man wünscht. Es gibt nichts in der Welt, was mir lieber wäre, als Mary zu Thornleigh bei mir zu haben.«
»So haben Sie also nur so schnell als möglich einen Koffer zu packen und mit uns abzureisen, Miß Crofton,« sagte Mr. Darrell; »der Zug geht in anderthalb Stunden ab und ich kann Ihnen deshalb nur eine Stunde Zeit geben.«
Ich dankte ihm, so gut ich konnte — wahrscheinlich linkisch genug — für seine Güte und eilte fort, um Miß Bagshots Erlaubniß einzuholen Sie ertheilte mir dieselbe bereitwillig genug trotz der Einwendungen, welche Miß Susan dagegen erhob und ich hatte nichts weiter zu thun, als meine wenigen Kleider zu packen, wobei ich mich der Besorgniß nicht erwehren kannte, ob ihre Einfachheit auch zu den — Herrlichkeiten von Thornleigh passen werde. Meine Vorbereitungen waren bald beendigt und ich eilte voll Aufregung und sehr glücklich, mit Hut und Shawl hinunter ins Besuchszimmer, um mich meiner Freundin anzuschließen.
Miß Bagshot befand sich dort, von ihrer Zuneigung zu ihrer lieben jungen Freundin und von dem Bedauern, sie zu verlieren, sprechend. Als Mr. Darrell fand, daß ich bereit war, schnitt er diese Klagen kurz ab und wir fuhren in dem Wagen, in dem er gekommen war, nach der Station.
Ich sah diesmal den kleinen Platz mit ganz andern Augen an, als sechs Monate zuvor, wo ich an dem düsteren Januarabend daselbst angelangt war.
Die Aussicht auf eine fünfwöchentliche Erlösung von der einförmigen Thätigkeit zu Albury Lodge machte mich nahezu ganz glücklich. Da ich wegen meiner Armuth meine eigene Heimath nicht zu besuchen vermochte, so konnte mir gewiß nichts Angenehmeres widerfahren, als diese Einladung nach Thornleigh.
Während der ganzen Reise war Mr. Darrell alle Aufmerksamkeit und Güte. Er sprach viel von seiner Frau, indem er besonders ihre Bildung und Liebenswürdigkeit hervorhob und seiner Tochter bei jeder Gelegenheit die Versicherung gab, daß sie ihre neue Mutter liebgewinnen werde.
»Ich gestehe, Milly,« sagte er im Laufe dieser Gespräche, »ich war in dieser Sache etwas verzag und hatte nicht den Muth, Dir etwas davon zu sagen, bis sie geschehen war und dann hielt ich es für das Beste, die Mittheilung durch Julian machen zu lassen.«
»Du hättest mir mehr Vertrauen schenken sollen, Papa,« sagte Milly zärtlich und ich begriff, welche vollkommene Selbstverleugnung in dem glücklichen Lächeln lag, mit dem sie ihm ihre Hand gab.
»Und Du bist nicht ungehalten auf mich, mein Herzenskind?« fragte er.
»Ungehalten auf Dich« Papa? als ob ich ein Recht dazu hätte. Wenn Du mich nur ein wenig lieben willst, wie früher, so werde ich vollständig glücklich sein.«
»Ich werde Dich niemals weniger lieben, Milly.«
Die Reise dauerte nicht sehr lang und die Gegend, durch die wir fuhren, bot an dem heitern Juniabend einen lieblichen Anblick dar. Als wir nach etwa 30 Meilen von unserer Bestimmung entfernt waren, wechselte die Landschaft. Das fruchtbare Ackerland und die grünen wogenden Saaten machten einem offenen Moor Platz und ich fühlte aus der Ferne den frischen Hauch des Oceans. Dieses ausgedehnte wellige Moorland war mir neu und ich dachte es liege eine wilde Art von Schönheit in seiner Einsamkeit. Was Milly betraf, so blickte sie mit Entzücken auf das Moor und strengte ihre Augen an, um den ersten Blick aus die Hügel von Thornleigh zu erhaschen — die Hügel, von denen sie mir so oft gesprochen hatte.
Die Station, wo wir anhalten mußten, lag zehn Meilen von Mr. Darrells Haus und ein offener Wagen mit zwei Pferden wartete draußen auf uns. Wir fuhren auf einer Straße, die über das Moor führte, bis wir an ein Dorf von zerstreuten Häusern mit einer schönen alten Kirche gelangten. Wir fuhren, an den Thoren von zwei oder drei größeren Häuser, welche halb verborgen in Gärten lagen, vorüber und bogen dann in einen Weg ein, der einen Hügel hinauf führte, auf dessen Spitze wir an ein paar schöne eiserne Thore kamen, die mit Wappen verziert und auf beiden Seiten von massiven, mit Epheu überwachsenen, steinernen Pfeilern getragen wurden.
Ein alter Mann trat aus einem hübschen ländlichen Häuschen und öffnete die Thore. Wir fuhren hieran durch eine Allee von einiger Ausdehnung, welche in grader Linie nach der Vorderseite des Wohnhauses führte, dessen Anblick mich entzückte. Es war sehr alt, massiv gebaut und hatte, wie ich dachte, ganz ein adeliges Aussehen. Auf drei Seiten befand sich eine breite Terrasse mit steinernem Geländer und an jeder Ecke führte eine große steinerne Treppe zu einer zweiten Terrasse herunter, mit schönen frischen Grasböschungen, die sich mit dem Rasen des Gartens verschmolzen. In Folge seiner hohen Lage gewährte das Haus eine herrliche Aussicht auf die See.
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