»Drei Jahre,« sagte ich ihr, »und dann wird mich Miß Bagshot irgendwo als Gouvernante unterbringen.«
»Sie werden also stets eine Gouvernante bleiben?«
»Ich vermuthe es.« Das Wort »stets« verursachte mir einen kleinen scharfen Schmerz, fast wie eine Wunde. Ja, ich glaubte es selbst, daß ich es stets bleiben würde. Ich war weder hübsch, noch sonst anziehend. Konnte ich demnach etwas Anderes erwarten?
»Ich bin genöthigt, etwas für meinen Unterhalt zu thun,« sagte ich, »mein Vater ist sehr arm. Ich hoffe, später im Stande zu sein, ihm ein wenig beizustehen.«
»Und mein Vater ist so lächerlich reich. Er ist ein großer Eisenwerkbesitzer und hat Werften und Waarenhäuser und Gott weiß was sonst noch zu North Shields. Wie hart erscheint es!«
»Was erscheint hart?« fragte ich zerstreut.
»Daß das Geld so ungleich vertheilt ist. Ich glaube, ich würde mir nichts daraus machen, eine Gouvernante zu werden. Man würde auf diese Weise das Leben kennen lernen. Man muß allerlei Abenteuer erleben, wenn man so unter Fremde kommt.«
Ich betrachtete sie, wie sie mich anlächelte, mit einem Lächeln, das ihrem Gesichte einen unbeschreiblichen Reiz verlieh und ich dachte mir, daß es für sie in der That keine so dunkle Lebensstellung gäbe, wo ihr nicht irgend ein Triumph, irgend ein Erfolg zu Theil werden würde. Sie schien ein Wesen, dazu geboren, den gewöhnlichsten Dingen einen Reiz zu verleihen, ein Wesen, das überall nur Bewunderung und Zuneigung ernten sollte.
»Sie eine Gouvernante!« sagte ich ein wenig verächtlich. »Sie sind nicht von dem Thone, aus dem man Gouvernanten macht«
»Warum nicht?«
»Sie sind viel zu schön und zu bezaubernd.«
»O Mary Crofton, Mary Crofton — darf ich Sie Mary nennen? da wir doch Freundinnen sein werden — wenn Sie damit beginnen, mir auf diese Weise zu schmeicheln, wie soll ich Ihnen vertrauen und mich auf Sie stützen? Ich bedarf Jemand mit einem stärkeren Geist, als mein eigener ist, um mich auf den rechten Weg zu leiten, denn ich bin, wie ich glaube, das schwächste und eitelste Geschöpf in der Welt. Papa hat mich so verzogen.«
»Wenn Sie stets so sind, wie diesen Abend, so hat das Verziehen keinen großen Schaden angerichtet,« sagte ich.
»Ich bin immer freundlich genug, so lange ich meinen eigenen Willen habe. Und nun erzählen Sie mir Alles über Ihre Heimat.«
Ich gab ihr einen treuen Bericht über meine Brüder und meine Schwester und machte ihr eine kurze Beschreibung von unserm kleinen altmodischen Hause mit seinen weißen gestrichenen Wänden, seinen vielen Giebeln und seltsamen Gitterfenstern. Ich erzählte ihr, wie glücklich und zufrieden wir stets zu Hause mit einander gewesen waren und wie schwer mir die Trennung von denjenigen, die ich liebte, geworden war und Milly Darrell hörte mir mit unverstellter Theilnahme zu.
Schon am nächsten Morgen begann mein neues Leben mit vollem Ernste. Miß Susan Bagshot gestattete mir nicht, meine Zeit bis zur Ankunft meiner Zöglinge müßig hinzubringen. Sie gab mir einen Stoß von Aufgaben zur Durchsicht und trug mir die Vollendung einer schwierigen Nadelarbeit auf. Ich fand in der That, daß ich an dieser, in der Liebe schiffbrüchigen Dame eine scharfe Zuchtmeisterin besaß.
»Mädchen Ihres Alters sind so unverbesserlich träge,« sagte sie, »daß Sie in Albury Lodge keine Zeit zum Müßiggang haben werden. Um dreiviertel auf Sechs läutet die Glocke zum ersten mal und um Viertel auf Sieben erwarte ich Sie im Schulzimmer zu sehen. Sie werden von da an bis um acht Uhr, wo wir frühstücken, die Clavierübungen der jüngeren Zöglinge überwachen. Von neun bis zwölf Uhr werden Sie in der zweiten Abtheilung der zweiten Klasse den Unterricht im Englischen übernehmen. Nach dem Mittagessen bis vier Uhr werden Sie diesen Unterricht fortsetzen, und von vier bis fünf die Klasse für Nadelarbeit beaufsichtigen. Ihre Abende werden — mit Ausnahme der sorgfältigen Durchsicht und Verbesserung aller schriftlichen Aufgaben des Tags — Ihnen angehöre. Ich hoffe, daß Sie eine aufrichtige Neigung für Ihren Beruf haben, Miß Crofton.«
Ich sagte, ich hoffe meine Beschäftigung mehr und mehr lieb zu gewinnen, je mehr ich damit vertraut würde.
Miß Susan schüttelte bedenklich den Kopf.
»Wenn Sie keine wahre Neigung für Ihren Beruf haben, so werden Sie niemals etwas Tüchtiges darin leisten.« sagte sie feierlich.
Ich gestehe offen, daß ich diese Neigung, von der sie sprach, niemals in mir fühlte. Ich bestrebte mich, meine Pflicht zu thun und unterzog mich der schweren Aufgabe, wie ich hoffe, mit Geduld und Heiterkeit. Aber die trockene Einförmigkeit dieses Berufs hatte nichts Angenehmes für mich und ich konnte nicht begreifen, wie Miß Susan — wie es offenbar der Fall war — in der Ausübung ihrer Autorität über diese unglücklichen Schülerinnen ein Vergnügen finden konnte.
II. Kapitel.
Ein Besuch bei Milly.
Es kam nicht oft vor, daß ich einen freien Nachmittag für mich hatte, denn Miß Susan Bagshot schien sich ein Vergnügen daraus zu machen, auch an den sogenannten Spieltagen immer etwas für mich zu thun zu finden; so oft ich aber bei diesen Gelegenheiten über meine Zeit verfügen konnte, brachte ich dieselbe in der Gesellschaft von Milly Darrell zu, in der ich vollkommen glücklich war. Ich hatte sie nach und nach so lieb gewonnen, wie ich Niemanden, der nicht von meinem eigenen Fleisch und Blut war, lieben zu können vermeint hatte und, indem ich sie so liebte, erwiderte ich nur die Zuneigung, die sie selbst für mich fühlte.
Ich bin überzeugt, daß es hauptsächlich meine Freundlosigkeit und meine untergeordnete Stellung in dieser Schule waren, welche mir das edelmüthige Herz dieses Mädchens zugewandt hatten und ich würde in der That ganz ohne Gefühl gewesen sein, wenn ich nicht dadurch gerührt worden wäre. Sie wurde mir denn auch sehr bald unaussprechlich theuer. Sie war von meinem eigenen Alter, fähig mit jedem meiner Gedanken und Ansichten zu sympathisieren, das aufrichtigste und offenherzigste Geschöpf, vielleicht ein wenig stolz auf ihre Schönheit, wenn sie von denjenigen, die sie liebte, gepriesen wurde, aber niemals stolz auf ihren Reichthum und niemals hochmüthig gegen diejenigen, deren Gaben geringer waren als die ihrigen.
Ich pflegte an diesen seltenen und glücklichen Nachmittagen in ihrem Zimmer meine Briefe nach Hause zu schreiben, während sie an einer Staffelei in der Nähe des Fensters malte. Das Zimmer war klein, aber besser möbliert als die gewöhnlichen Gemächer im Hause und mit allerlei hübschen Dingen ausgestattet — mit schöngebundenen Büchern, Gemälden und Nippsachen — welche Miß Darrell vom Hause mitgebracht hatte. Ueber dem Kamin hing eine große Photographie von ihrem Vater und über ihrem Bette ein etwas mehr geschmeicheltes Porträt desselben in Wasserfarben, von Milly selbst gemalt. Es war ein ausdrucksvolles und sehr hübsches Gesicht; aber mir kamen die Züge, selbst in Millys Porträt etwas hart und kalt vor.
Sie malte gut und besaß eine wahre Liebe für die Kunst. Ihre Studien zu Albury Lodge waren von ziemlich flüchtiger Beschaffenheit, indem sie keiner Klasse angehörte, obschon sie Unterricht von einem halben Dutzend Lehrern erhielt — im Deutschen, Italienischen, Zeichnen und in der Musik, aber sie war eine sehr vortheilhafte Pensionärin. Sie that so ziemlich, was ihr beliebte und ich glaube, daß Miß Bagshot eine wahre Zuneigung für sie hegte.
Ihr Vater reiste um diese Zeit in Italien und schrieb nur selten an sie, was ihr, wie ich wußte, häufig Kummer machte, aber sie schüttelte denselben in der heitern hoffnungsvollen Weise, die ihr eigen war, stets wieder ab, indem sie die Verzögerung seiner Briefe immer wieder zu entschuldigen suchte. Sie liebte ihn auf‘s innigste und die Trennung von ihm war ihr sehr schmerzlich; aber die Aerzte hatten ihm Ruhe, Luft und Ortsveränderung empfohlen und der Gedanke, daß er ihren Rath befolgte, tröstete sie.
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