1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Es war mittlerweile so warm geworden, dass wir uns einen hölzernen Bollerwagen zugelegt hatten und unserem Bastian nur einen leichten Strampler anzogen. Er lag dann auf weichen Kissen in diesem Holzwagen und wir deckten ihn noch nicht einmal zu - so heizte die Sonne die Luft auf.
Bastian war vielleicht gerade sieben Wochen alt, als wir uns mit ihm und dem Bollerwagen durch die Menschenmassen der Kieler Woche zwängten - einem jährlich stattfindendem Volksfest in unserer Landeshauptstadt.
Natürlich sahen wir zu, dass etwa alle zwei Stunden Grünanlagen in der Nähe waren. Denn Bastian hatte noch immer sein exaktes Timing zur Mutterbrust. Dann suchten wir ein ruhiges Plätzchen, Ina stillte ihn, und ich schirmte beide vor den Blicken der Öffentlichkeit ab.
Die Zeit verging und Bastian wuchs. Irgendwann war Schluss mit der Mutterbrust und er wurde an Milchfläschchen gewöhnt. Nun konnte er auch in meinem Arm trinken. Wenn er die Flasche leergenuckelt hatte, war er jedesmal fix und fertig. Sein kleines rundes Gesicht war gerötet und er spielte sich am Ohr. Das war immer das Zeichen von Müdigkeit.
Ein richtiger Wonneproppen war er geworden. Natürlich konnte er jetzt schon mit seinen kleinen Händen greifen und gab mittlerweile auch schon richtige Laute von sich. Die ganze Zeit plapperte er vor sich hin. Ich liebte diese Laute und es war eine Freude ihm dabei zuzusehen, wie er sich entwickelte.
Bekannterweise haben Säuglinge ja dauernd die Windeln voll. Der »Senf« in seinen Pampers roch zwar, aber von Stinken konnte noch nicht so richtig die Rede sein. Das änderte sich aber schlagartig, als er Nahrung aus diesen Gläsern zugefüttert bekam, welche die Firma HIPP herstellte. Dort war ja bereits alles drin, was er später in fester Form zu sich nehmen würde - Karotten, Erbsen und Kartoffelbrei.
Wenn Ina, oder auch ich, ihn wickelte, sagte sie manchmal: »Bastian, Du stinkst wie ein Iltis!«
Doch Bastian interessierte das nicht die Bohne.
»Wenn er sprechen könnte«, sagte ich lachend zu Ina, »würde er sicher sagen: Da scheiß ich drauf!«
Er lag rücklings auf seiner Kommode, griff zu dem Spielzeug, welches über ihm baumelte, und plapperte vor sich hin. Anscheinend bekam er garnicht mit, wie seine Mutter ihm die Kacke von seinem kleinen Babyarsch entfernte.
Die Wiege brauchten wir nun nicht mehr. Nach den ersten Wochen schlief Bastian jetzt im Kinderzimmer. Wenn Ina ihn abends in sein Bettchen brachte, kam es mittlerweile vor, dass Bastian noch putzmunter war. Dann war meine Aufgabe, ihn irgendwie in den Schlaf zu bekommen. Ich sang ihm dann etwas vor, oder alberte mit ihm an seinem Bettchen herum und machte mich zum Affen. Bastian schien das zu gefallen und er wurde erst recht munter. Manchesmal war er schon richtig anstrengend. Aber eingeschlafen ist er irgendwann doch noch.
Als ich - es mag bereits Ende des Jahres gewesen sein - eines Abends nach Hause kam, empfing mich Ina lachend an der Tür.
»Guck Dir das mal an!« Sie zog mich hastig in die Küche.
Bastian saß in seinem Hochstuhl - dieses Teil, in das man die Knirpse steckt, wenn sie gelernt haben alleine zu sitzen.
Ein Bild für die Götter! Irgendetwas Braunes, Matschiges in der Hand, das ganze Gesicht verschmiert, strahlte er über alle Backen!
»Sein erster Keks!«, lachte Ina glücklich.
Wieder hatte Bastian einen großen Sprung in seiner Entwicklung getan. Er war ein prächtiges Bürschlein, kerngesund und immer vergnügt. Seit Mitte November hatte Ina ihren Mutterschutz beendet, und ging wieder zum Arbeiten ins Krankenhaus. Am Tage hatten wir unsere Nachbarin, Janke Clausen, als Tagesmutter engagiert. Und abends, wenn Ina Spät- oder Nachtdienst hatte, war ich mit Bastian allein.
Ich fütterte ihn, wechselte seine Windeln, spielte mit ihm und brachte Sohnemann ins Bett. Dadurch entstand eine noch festere Bindung zwischen Basti und mir.
Wenn er endlich schlief, war ich aber auch ziemlich abgeschlafft. Meistens saß ich dann im Wohnzimmer vor der Glotze. Und nicht selten schlief ich nach einer Stunde vor dem Fernseher ein.
Wie war das noch? »Vater werden ist nicht schwer - Vater sein dagegen sehr.«
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Am Abend des 9. November 1989 - Ina hatte Nachtwache - saß ich wieder vor dem Fernseher. Bastian schlief in seinem Bettchen und ich schaute mir einen Krimi an. Der Film war gerade angefangen, als am unteren Bildschirmrand eine Laufschrift erschien:
»Eilmeldung! Grenze zur DDR geöffnet. Minister Schabowski erklärt Reisefreiheit für die Bürger der DDR!«
Ich war völlig irritiert und las nochmals. Tatsächlich, das stand da wirklich! Ich schaltete zwischen den Programmen hin und her - überall die gleiche Meldung. Auf einem Sender war das Programm sogar unterbrochen worden. Ich sah Bilder von jubelnden Menschen, die auf der Berliner Mauer tanzten und deutsche Flaggen schwenkten. Trabbis überquerten die Zonengrenze und DDR-Grenzbeamte winkten sie einfach durch. In Berlin spielte alles verrückt. Nicht zu fassen!!
Dann ein Ausschnitt aus dem DDR-Parlament - der Volkskammer. Günther Schabowski, damals Mitglied des Zentralkomitees der SED, saß vor mehreren Pressemikrofonen und gab eine Erklärung ab. Ich konnte es kaum glauben, aber es schien wahr zu sein. »Das ist das Ende der DDR«, sagte ich zu mir. Das Unmögliche war möglich geworden!
Ich nahm unser Telefon und wählte die Nummer der Station auf der Ina arbeitete. Ina meldete sich direkt. »Ina, die Grenzen zur DDR sind offen! Schalte mal das Fernsehgerät ein!«, erzählte ich aufgeregt. »Ich weiß«, antwortete Ina, »hier herrscht auch totale Aufregung!«
In den kommenden Wochen war ganz Deutschland im Freudentaumel. Jeden Tag gingen neue Meldungen durch die Medien. Auch Ina und ich freuten uns über die kommende Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten.
Zwei Wochenenden später luden wir den Kinderwagen, den Hund und Bastian in unser Auto, und fuhren zusammen über die geöffnete Zonengrenze in die DDR. Es war ein merkwürdiges und mulmiges Gefühl, als wir an den Wachtürmen vorbeifuhren.
Obwohl bereits November, war es ein sonniger Tag. Die Welt schien verändert.
Wir besichtigten das Schweriner Schloss und gingen, den Kinderwagen mit Bastian vor uns herschiebend, durch den Schlosspark spazieren. Es herrschte Volksfeststimmung und eine Menge provisorischer Imbissbuden und Bierstände waren aufgestellt worden. Der Übergang zur freien Marktwirtschaft wurde von den DDR-Bürgern geprobt und stand nun am Anfang.
An einer Fischbude machten wir halt und genehmigten uns eine Portion.
Als ich mir den ersten Bissen Bratfisch mit einer Gabel vom Pappteller in den Mund schob, rebellierten meine Zahnplomben. Die Gabeln waren im DDR-Retro-Style, aus Aluminium!! Auch Ina hatte das zu spät bemerkt und verzog das Gesicht.
Ja, so war das in den ersten Wochen nach der Grenzöffnung. Aber bereits ein Jahr später hatte sich vieles am westlichen Vorbild orientiert.
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Wieder war ein Jahr vergangen und ein neues begann. Wir hatten den Eindruck, dass auf einmal alles rasend schnell ging, seit unser Bastian das Licht der Welt erblickt hatte.
1990 wurde ein relativ ruhiges Jahr. Mit einer unrühmlichen Ausnahme. Nora gaben wir an eine Familie in einem nahegelegenen Dorf ab. Andauernd hatte Basti Hundehaare im Mund und an seinen besabberten Händen, wenn er über den Fußboden krabbelte. Ich hatte darauf bestanden, obwohl es mir nicht leichtfiel, mich von ihr zu trennen. Ina gab zwar nach, war aber todtraurig. Sie weinte bittere Tränen, als ich Nora wegbrachte. In dem Moment habe ich mich sehr schlecht gefühlt und mich plagten lange schlimme Schuldgefühle.
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