»Erst in etwa vier Wochen werden Sie lernen müssen, ganz vorsichtig zu sitzen«, hatte Doktor Sievers gesagt. »Bis dahin dürfen Sie nur Sachen mit »L« machen - Laufen und Liegen.«
Ich lehnte an der Säule, den Blick geradeaus, und kramte in der Tasche meines Bademantels. Dann zündete ich mir meine erste Zigarette seit Tagen an. Ich nahm drei oder vier tiefe Züge.
Urplötzlich wurde mir schlecht. Kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Ich legte die angerauchte Zigarette in den nächsten Aschenbecher, ohne sie auszudrücken. Mir war übel - und ich wollte schnell in mein Bett zurück. Doch schnell ging nunmal überhaupt nicht!
Mit einer Hand an der Flurwand bewegte ich mich in Richtung Krankenzimmer. »Hoffentlich fall ich nicht um!«
Ich spürte, wie mir der Schweiß aus den Achseln trat und von der Stirn lief. Wahrscheinlich sah ich in diesem Moment aus wie der »Tod auf Latschen«.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lag ich wieder in meinem Bett und mir war immer noch speiübel. Ich schloss die Augen. Nur jetzt nicht übergeben!
Ganz allmählich wich die Übelkeit und ich versuchte zu schlafen. Es mochten ein oder zwei Stunden vergangen sein, als ich wieder erwachte. »Nie wieder werde ich rauchen«, sagte ich mir.
Am Nachmittag besuchte mich Ina. Neben den Mahlzeiten war ihr Besuch für mich immer das Highlight des Tages. Aber es war für sie ein langer Weg, den sie täglich auf sich nahm. Eine Stunde Fahrt hin und eine Stunde wieder zurück. Und das in ihrem Zustand!
»Du musst mich nicht jeden Tag besuchen«, hatte ich zu ihr gesagt. Aber Ina lies sich nicht davon abbringen.
Ihr Bauch war nicht mehr zu übersehen, aber ihr ging’s immer noch gut. Sie war nun bereits im 6. Monat schwanger. Und wenn sie bei mir auf der Bettkante saß und wir redeten, legte ich meine Hand auf ihre Kugel. »Hat das Kind sich denn jetzt gedreht?«, fragte ich besorgt.
Ina verneinte. »Das wird mal ein sturer Bock sein. Genau wie der Vater!«
Kurz vorm Abendbrot verabschiedete ich sie. »Ich bring Dich bis zum Fahrstuhl. Das schaffe ich jetzt schon«, sagte ich ganz stolz. Die Geschichte mit der Zigarette hatte ich ihr aber verheimlicht, weil sie mir erst am Tag zuvor gesagt hatte, dass ich die Möglichkeit nutzen sollte, um endlich mit dem Rauchen aufzuhören. »Das werde ich nicht schaffen«, hatte ich ihr geantwortet.
Schon mehrmals hatte ich in den vergangenen Jahren den Versuch unternommen, Nichtraucher zu werden - immer ohne Erfolg. Zwei, vielleicht auch drei Wochen hielt ich den Entzug durch - um am Ende doch wieder anzufangen. Und während der nikotinfreien Zeit war ich immer unausstehlich gewesen.
Nach dem Abschied am Fahrstuhl ging ich wieder langsam auf die Station. Ich kam an der Raucherecke vorbei. Heute Morgen war mir noch sauschlecht gewesen.
»Ich könnte es doch nochmal probieren - nur einen Zug!«
Ich stand wieder an der Säule und meine Zigarette glimmte. Vorsichtig zog ich den Rauch ein. Ein zweiter Zug - nichts passierte. Kein Schwindelgefühl, keine Übelkeit.
Als ich die Zigarette zur Hälfte geraucht hatte, drückte ich sie vorsichtshalber dann doch aus und ging auf mein Zimmer. Mir ging’s gut.
Von da an war ich wieder mehrmals am Tage zum Rauchen unterwegs. Und ich wurde auch immer beweglicher.
»Die Raucher sind immer die Ersten, die wieder auf die Beine kommen. Es ist nicht zu fassen«, sagte die Stationsschwester, wenn ich ihr über den Weg lief.
Nach vier Wochen war ich endlich wieder zuhause. Aber meiner Arbeit in der Firma konnte ich noch immer nicht nachgehen. Sechs weitere Wochen wurde ich anschließend krankgeschrieben.
Bei den Mahlzeiten saß ich nun ganz vorsichtig auf dem vorderen Drittel des Stuhls. Es stellte jedoch mittlerweile kein großes Problem mehr dar. Reine Gewohnheitssache. Und Autofahren war natürlich auch tabu. Doch es ging mir so gut wie schon lange nicht mehr. Absolut keine Schmerzen. Und Ina hatte vorsorglich neue Matratzen gekauft.
Ihre Babykugel hatte nun auch schon enorme Ausmaße angenommen. Zwar fielen ihr jetzt manche Tätigkeiten schwerer, aber ihr ging es ansonsten blendend. Demnächst sollte sie auch in den Mutterschutz gehen.
Das einzige Problemchen war, dass das Baby immer noch verkehrt herum lag. Manchmal, wenn Sie beim Frauenarzt war, stellte er fest, dass das Kind sich in die richtige Lage gedreht hatte. Nach einigen Tagen war es jedoch wieder in der Steißlage. Ihr schien es aber offensichtlich nichts mehr auszumachen. Sie war agil wie immer.
Wenn sie mit dem Hund unterwegs war, nahm sie oft noch das Fahrrad. Eine Nachbarin sagte immer besorgt: »Ina, Du solltest in Deinem Zustand nicht mehr Fahrrad fahren.«
Ina jedoch kümmerte sich nicht darum. Aber beim nächsten Arzttermin fragte sie dann doch nach, bis zu welchem Zeitpunkt sie denn noch radeln dürfte. Der Arzt schmunzelte und sagte: »Wenn sich die Nabelschnur in die Speichen wickelt, sollten Sie damit aufhören.«
Wie gesagt, Ina steckte die Beschwerlichkeiten der Schwangerschaft gut weg. Ihre Hosen hatte sie im Bauchbereich erweitert, indem sie Teile herausschnitt und größere Stoffdreiecke einnähte. Neue BHs hatte sie sich zulegen müssen, denn auch die Brüste hatten an Größe zugenommen.
»Kein schlechter Nebeneffekt.« Ich lachte und Ina tippte sich an die Stirn: »Männer!!«
Einige Wochen waren wir gemeinsam regelmäßig zur Schwangerschaftsgymnastik gegangen. Ich hatte das Wickeln gelernt und was man sonst noch als werdender Vater beherrschen sollte. Auf den Knien, wie andere junge Väter auch, war ich hinter meiner Frau gesessen. Hatte sie gestützt und gesagt: »Pressen Ina, schön pressen. Ruhig atmen!»
Eigentlich waren diese Abende recht lustig gewesen. Und manchmal lachten unsere Frauen darüber, wie schusselig wir Männer uns manchmal anstellten.
Das Kinderzimmer, gegenüber von unserem Schlafzimmer, war auch fertig. Aber noch mussten wir uns in Geduld üben. Doch im Großen und Ganzen fühlten wir uns fit für die Elternschaft.
Der April beglückte uns nun bereits mit ein paar sonnigen Tagen. Lange konnte es jetzt nicht mehr dauern.
Der Mai kam und wir warteten. Doch unser Familienzuwachs ließ sich Zeit. Nun war Ina bereits über den errechneten Geburtstermin hinaus. Das Baby boxte in kürzeren Abständen, lag jedoch noch immer verkehrt. »Langsam glaub ich nicht mehr daran, dass es sich noch drehen wird«, sagte Ina etwas enttäuscht.
Dann, mitten in der Nacht weckte Ina mich plötzlich. »Bodo, ich glaub es geht los! Mein Bettlaken ist nass!«
Im selben Moment war ich hellwach! Ich sprang aus dem Bett. Völlig planlos. Sollte ich zuerst in meine Jeans schlüpfen? Nein, vielleicht zuerst Inas bereits gepackte Reisetasche holen. Oder doch zuerst schnell im Krankenhaus anrufen? In meinem Kopf herrschte Chaos pur!
»Was soll ich nur zuerst machen?« Ich sah Ina fragend an.
»Am Besten ganz ruhig bleiben«, sagte Ina völlig cool und entspannt, während sie sich anzog. »Das Baby kommt nie sofort. Du hast also genug Zeit.« Trotzdem war ich völlig flatterig.
Ganz behutsam half ich Ina ins Auto und fuhr los. Es war mitten in der Nacht - dunkel und die Straßen menschenleer. Niemand war unterwegs zu sehen. Rendsburg schlief.
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