»Morgen hast Du ja Geburtstag«, sagte Ina. »Ist zwar blöd, dass Du ihn im Krankenbett verbringen musst, aber ich denke, Besuch wirst Du trotzdem bekommen.«
»Ach, Geburtstage sind mir nicht mehr so wichtig. Ist ja dann mein 34-ter. Also nichts Besonderes mehr«, erwiderte ich.
Ina blieb eine ganze Zeit an meinem Bett und ich schlief immer wieder kurz ein.»Morgen komme ich wieder«, sagte sie, »schlaf Dich aus.«
Ich bekam vom Rest des Tages kaum etwas mit. Erst gegen Abend wurde ich wieder wach. Die Schwester kam mit den Thrombosespritzen. Von den Dingern würde ich die nächste Zeit mehr als genug bekommen.
»Ich hab soviel geschlafen. Hoffentlich liege ich nicht die ganze Nacht wach«, sagte ich zu ihr. Doch die Nacht verlief normal.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Die Stationsschwester kam an mein Bett. »Jetzt werden wir Sie ersteinmal waschen und hübsch machen. Sie sollen doch gut aussehen, wenn Ihr Besuch kommt«, scherzte sie.
Ich konnte absolut nichts alleine machen, noch nicht einmal meine Zähne putzen. Ich lag flach auf dem Rücken. Mich nur einen Zentimeter aufzurichten war schier unmöglich. Und obwohl ich Hunger hatte, war es äußerst schwierig mein Frühstück einzunehmen. Die Schwestern schmierten mir ein Brötchen und meinen Kaffee trank ich aus einer Schnabeltasse.
»Morgen wird es besser. Dann zeigen wir Ihnen wie Sie aufstehen können.«
»Morgen aufstehen? Das wird nix«, sagte ich ungläubig.
»Doch«, sagte die Schwester lachend, »das wird was. Sie können ja nicht ewig hier rumliegen und sich von uns betütern lassen.«
Am Nachmittag gab sich der Geburtstagsbesuch die Klinke in die Hand. Ina war die Erste. Sie hatte eine Torte und Kaffee dabei. Auch Mutti hatte sie aus ihrer Wohnung abgeholt und mitgebracht. Dann erschienen meine Schwiegereltern und auch Axel mit Anja.
Und obwohl ich flach im Bett lag, wurde es ein schöner Nachmittag. Ina hatte sogar den Kopfteil meines Bettes etwas erhöhen können. Mir ging es schon richtig gut.
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In der Nacht wachte ich auf. Ich hatte urplötzlich starke Schmerzen. Anfangs dachte ich, sie würden von der OP herrühren. Die Schmerzen verlagerten sich bis unter die Arme.
»Das sind festgesetzte Blähungen. Manchmal haben Patienten das nach einem operativen Eingriff. Das hat mit der Vollnarkose zu tun. Die natürlichen Bewegungen des Darms setzen dann aus«, meinte die Nachtschwester und gab mir ein Mittel dagegen. »Legen Sie sich auf die linke Seite, das entlastet.«
Doch wie sollte das gehen?
Die Schwester half, und drehte mich leicht auf die Seite. Ich hatte das Gefühl, als würde ich in der Mitte durchzubrechen. Es war so, als wenn der Schnitt am Rücken auseinanderreißen würde.
Aber die Bauchschmerzen wurden nun leicht weniger und ich schlief etwas.
Am Morgen waren sie jedoch wieder so stark, dass ich keinen Bedarf auf das Frühstück hatte. Meiner Bitte, mir einen Einlauf zu verpassen, kam man nicht nach. Ich bekam nur wieder dieses bescheuerte Mittel, das den Stuhlgang aufweichen sollte, aber keine Wirkung zeigte. Und mir ging es jetzt richtig schlecht! Dabei hatte ich damit gerechnet, dass es an diesem Morgen allmählich aufwärts mit mir gehen würde. Gestern Nachmittag war ich noch guter Dinge.
Die Krankengymnastin kam und sollte mir helfen mich aufzurichten. Zuerst ganz langsam im Bett auf die linke Körperseite rollen. Dann das linke Bein aus dem Bett und den Oberkörper mit Hilfe eines Griffs, der über meinem Bett baumelte, langsam in Sitzhaltung - dann aufstehen. Wenn ich das schaffen würde, könnte ich bald alleine auf die Toilette gehen.
»Ich schaff das nicht«, sagte ich ängstlich. Doch die junge Frau bestand darauf und half mir, indem sie meinen Oberkörper stützte.
Irgendwann hatte ich es dann doch geschafft. Aber mit dem Gefühl, als würde ich in der Mitte durchknicken. Erschwerend waren zudem diese irren Bauchschmerzen.
Als ich das erste Mal aufrecht neben meinem Bett stand, wurde mir schwarz vor Augen. Mein Kreislauf brach regelrecht zusammen.
Langsam half mir die Krankengymnastin mich wieder hinzulegen.
»Das ist normal nach so einer Operation«, bemerkte sie. »Ich komme morgen früh wieder. Dann wird es schon bessergehen.«
Als Ina mich am Nachmittag besuchte, klagte ich ihr mein Leid - worauf sie in das Stationszimmer ging und mit dem Arzt sprach. Sie war verärgert und verlangte, dass man mir sofort ein Klistier verabreichen solle. Klistier ist der medizinische Ausdruck für einen Einlauf.
Wenig später kam der Pfleger, etwas genervt durch Inas Auftritt im Stationszimmer, mit einer Schüssel und einem Schlauch.
»Ich werde Ihnen jetzt den Einlauf verpassen. Klemmen Sie anschließend die Pobacken zusammen, solange es geht. Können Sie zur Not alleine auf den Toilettenstuhl? Ich stelle ihn direkt neben Ihr Bett.«
Und dann führte er den Schlauch ein. Ein merkwürdiges Gefühl, als die etwas kühle Lösung in meine Gedärme floss. Aber ich war froh. Jetzt wurde endlich etwas gegen meine irren Bauchschmerzen unternommen. In mir gluckerte und rumorte es.
Nicht lange und ich merkte, wie sich etwas tat. Ina half mir schnell auf den »Kack-Stuhl« - und dann ging die Post ab!
Hier breche ich jetzt eine genauere Beschreibung ab. Es war schon schlimm genug, was mein Zimmernachbar aushalten musste. Und was das Krankenpflegepersonal anschließend zu tun hatte, um die Sauerei zu beseitigen. Aber in solchen Momenten hat man absolut kein Schamgefühl.
Ich fühlte mich wie neugeboren! Und ich war Ina unendlich dankbar dafür, dass sie sich so resolut beim Personal und dem Arzt durchgesetzt hatte.
Die Schmerzen waren fast ganz verflogen. Und von nun an ging es endlich rapide aufwärts mit mir. Noch am Abend rief ich eine Schwester und übte mit ihr das seitliche Aufstehen. Richtig verbissen war ich nun bei der Sache. Und es klappte ganz allmählich immer besser.
Voller Stolz zeigte ich am nächsten Morgen der Krankengymnastin meine Fortschritte. Wir gingen sogar schon ein paar Schritte auf dem Flur. Zwar hielt sie mich fest und stützte mich, aber es sollte den Tag darauf schon weitaus besser gehen. Ich ging so kerzengerade, wie noch nie zuvor.
»Wenn Du die Treppe hochgehen willst, zieh den Besenstil aus dem Arsch. Sonst kommst Du nicht hoch«, lästerte mein Bettnachbar und lachte.
Drei Tage nach der Operation versuchte ich, so oft wie möglich aufzustehen. Ich wollte unbedingt wieder beweglich sein - und ich wollte Rauchen!
Ich steckte die Schachtel Zigaretten, die in meinem Nachtisch lag und ein Feuerzeug ein. Mit langsamen, kurzen und äußerst vorsichtigen Schritten verließ ich das Zimmer und begab mich Richtung Raucherecke. Weit war sie ja nicht entfernt. Im Lendenbereich war ich allerdings immer noch wackelig. Als wenn dort keine Muskulatur mehr vorhanden war. Aber ich schaffte es!
Eine der tragenden Rundsäulen war frei.
Ich glaube, nie zuvor hatte ich mich dermaßen aufrecht und gerade gehalten. Es ging auch garnicht anders. Der Spalt in der Wirbelsäule, in dem die kaputte Bandscheibe nun fehlte, wurde durch das Wundfleisch ausgefüllt. Und wenn dort neuerlicher Druck entstand, würden die Nerven wieder gequetscht werden. Dann wäre alles umsonst gewesen. Das war auch der Grund, weshalb ich auf keinen Fall sitzen durfte.
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