Als wir gemütlich im Wohnzimmer zusammensaßen und erzählten, dass Ina schwanger sei, war die Freude natürlich groß. Schwiegermutter bemerkte jedoch: »So etwas hatten wir uns schon gedacht.« Und Mutti sagte freudig bewegt: »Wenn Dein Vater das noch erleben könnte.«
Das war auch mein Gedanke als Ina mir mitgeteilt hatte, dass ich selbst Vater werden würde. Und es schmerzte. In solchen Momenten fehlte Vati mir sehr.
Am liebsten hätten wir es der ganzen Welt mitgeteilt. Auch unsere Freunde und Bekannten erfuhren natürlich sehr schnell von unserem Glück. Als ich Axel in seiner Wohnung informierte, sagte er mit breitem Grinsen: »Da hast Du ja Glück gehabt, dass Du mal gerade so an der »Ochsen-Hochzeit« vorbeigeschlittert bist.«
Die Ochsen-Hochzeit ist der 5. Hochzeitstag. Jedoch nur, wenn man an dem Tage noch kinderlos war. Dann hängten die Freunde einen Kranz mit der Zahl 5 an die Tür und als Dekoration dienten hohle Hühnereier, manchmal sogar einen Rinderkopf.
Nächstes Jahr im August hätte man mir wahrscheinlich so ein Teil an die Tür gebaumelt - da war ich mir sicher, aber unser Kind sollte nun ja bereits zwischen Ende April und Anfang Mai geboren sein.
»Dann lass uns mal auf die Leistungsfähigkeit Deiner Lenden anstoßen!« Axel holte irgendetwas Hochprozentiges aus dem Schrank. »Nicht lang schnacken, Kopf in Nacken.«
Ina machte genauso weiter wie vor der Schwangerschaft, obwohl ich sie immer wieder auf ihren Zustand hinwies. Zum Beispiel nicht mehr so schwer zu heben, wenn wir auf dem Grundstück Steine schleppten. Oder das Brennholz, welches wir für unseren Wintervorrat spalteten.
»Schwangerschaft ist doch keine Krankheit«, wimmelte sie meine Bedenken locker ab.
Ich begann mir Gedanken über die Gestaltung und Einrichtung des Kinderzimmers zu machen. Am liebsten hätte ich bereits Möbel gekauft. Doch Ina sagte immer, es wäre noch zu früh. Und dass es Unglück bringen würde ein Kinderzimmer einzurichten, wenn das Kind noch nicht da war.
Aber an den Wochenenden sahen wir uns in den Geschäften schon mal um, was man so brauchen würde, wenn der Nachwuchs kommt. Wir hatten dann immer ein kleines Notizbuch dabei, in das wir eintrugen, was man gerne hätte - oder haben müsste.
Kinderbetten, Wickelkommoden, Kinderwagen. Wir schrieben die Preise dahinter und stellten fest, dass alle diese Dinge enorme Summen verschlingen würden. Uns blieb nichts anderes übrig als einiges zu streichen, oder uns preisgünstigere Alternativen auszudenken. Alleine die Säuglingsbekleidung war sauteuer. Natürlich würden wir vieles von Freunden und Bekannten bekommen - einige hatten noch Babysachen zuhause liegen, aus denen ihre Kinder herausgewachsen waren. Aber Ina und ich hatten auch unseren eigenen Geschmack und gewisse Vorstellungen. Die Babyabteilungen in den Kaufhäusern hatten so viele schöne Dinge im Angebot. Wir konnten uns manchmal nicht sattsehen an Stramplern, Jäckchen, Mützchen und Söckchen.
Den ersten Kinderwagen wollte Mutti uns spendieren. Und eine Bekannte hatte ein wenig benutztes Kinderbettchen für uns aufgehoben. Aber eine Wickelkommode und einen Schrank würden wir uns noch kaufen müssen.
»Weißt du was, ich hab da eine Idee«, sagte ich eines Abends zu Ina, als ich mal wieder überlegte, wie ich das Kinderzimmer optimal und kostengünstig einrichten könnte, »Den Schrank bau ich selbst. Den montiere ich in der schrägen Wand. Da passt sowieso kein gekaufter rein. Und den Wickeltisch integriere ich gleich in meine Konstruktion. Das bekomm ich hin.«
Ich zeichnete meine Vorstellung auf ein Blatt Papier und überschlug die Kosten für das benötigte Holz.
Es war jetzt Anfang Dezember 1988 und Inas Bauch wölbte sich bereits. Doch ihr ging es gut. Schwangerschaftsbeschwerden hatte sie keine. Auch Heißhunger auf die sauren Gurken verspürte sie nicht. Nur auf Eiscreme war sie des Öfteren scharf.
Der Winter hatte relativ früh eingesetzt und Ina tobte mit unserem Hund draußen im Schnee. Sie lief voraus und Nora jagte hinterher. Ina war voller Lebensfreude. Unsere Nachbarin Lisbeth schimpfte mit ihr, als sie aus dem Küchenfenster sah, wie Ina im Schnee ausrutschte. »Ina, um Gotteswillen! Du bist schwanger. Das kannst Du doch nicht machen!«
Aber Ina lachte nur und brachte wieder den Spruch, dass Schwangerschaft doch keine Krankheit sei.
So allmählich konnte ich es einfach nicht abwarten. Während Ina Tapeten für das Kinderzimmer aussuchte, besorgte ich Holz und fing an, meinen Plan von dem Schrank in die Tat umzusetzen. Es funktionierte. Der Schrank mit integriertem Wickelplatz wurde genau so, wie ich es auf Papier gezeichnet hatte.
In einigen Monaten sollte es soweit sein. Also begannen wir nun doch zu tapezieren und zu streichen. Dort wo das Bett stehen sollte, malte ich, mit Liebe und bunten Wandfarben, ein großes Bild - einen Babysaurier, der aus seinem Ei schlüpfte. Vor einem zerklüfteten Berg, umgeben von Schlingpflanzen. Diese Szene hatte ich in einem der Kinderbücher gesehen, von denen bereits einige im Regal standen.
Wir hielten das Zimmer größtenteils in Blau. Komischerweise waren wir überzeugt, dass es ein Junge werden würde.
Am Anfang der Schwangerschaft war ich einmal mit beim Frauenarzt gewesen, als er eine Ultraschalluntersuchung durchführte. Damals hatten wir gesagt, dass es uns egal sei, ob es ein Junge oder ein Mädchen wäre. Hauptsache gesund!
Der Arzt hatte daher keine Aussage zu dem Geschlecht des Embryos gemacht. Es interessierte uns auch wirklich nicht. Aber es gab unweigerlich Momente, in denen wir gewisse Ängste spürten - ob mit dem Kind alles in Ordnung sei.
»Ein ganz natürlicher Vorgang«, meinte der Frauenarzt. Aber er könne uns beruhigen. Das Baby würde sich völlig komplikationsfrei entwickeln.
Als Inas Bauch bereits ordentliche Ausmaße annahm, rief sie mich oft zu sich. »Komm schnell! Es boxt wieder!«
Ich legte meine Hände auf ihren Bauch. Und wenn ich die Bewegungen spürte, durchfuhr mich ein Gefühl von Wärme und es kribbelte in meinem Nacken.
Manchmal legte ich mein Gesicht dorthin, wo ich Bewegungen ertastete, … dann sagte ich: »Hallo, hörst Du mich? Hier ist Dein Papa.« Und manchmal sang ich mit meinem Kopf auf Inas Bauch:
»La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu.
Wenn die kleinen Kinder schlafen, dann schlaf auch Du.«
Und wenn ich sang, bildete ich mir oft ein, die Bewegungen würden kurz aufhören. »Ich glaube, mein Sohn hört mich« sagte ich dann zu Ina.
Natürlich fingen wir auch an, uns Gedanken um den zukünftigen Namen unseres Kindes zu machen. Das war garnicht so einfach. Wir legten Listen an, konnten uns aber trotzdem nicht festlegen. Irgendwie erzielten wir keine Einigung.
Bis zu dem Tag, als ich sagte: »Was hältst Du von Bastian?«
Vor Jahren lief mal eine Serie im Fernsehen, die »Unser Bastian« hieß. Ina kannte die Folgen ebenfalls und hatte sich als Kind immer auf jede Fortsetzung gefreut. Endlich waren wir uns einig!
Bei den Mädchennamen konnten wir uns recht schnell festlegen. Katharina sollte sie heißen. Aber es würde ja sowieso ein Junge werden, davon waren wir immer noch überzeugt.
Kapitel 44: Die Überwindung der Angst
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