© 2016 Bodo Gölnitz
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN (Taschenbuch-Ausgabe) 978-3-7375-9469-1
ISBN (Hardcover-Ausgabe) 978-3-7375-9375-5
ISBN (eBook) 978-3-7375-9401-1
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Bodo Gölnitz
Mein Blut ist Bordeauxrot
s war kalt und regnerisch. Ich sah auf die Uhr.
45 Minuten würde ich brauchen. Die Landstrasse war fast leer. Weit entfernt sah ich die eingeschalteten Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos.
Eigentlich war es schon zu spät für diese Tour. Aber ich hatte mich spontan entschieden. Mir war einfach danach. Ich wollte einmal noch dorthin.
Vor nun bereits 6 Jahren war Ina gestorben. Die Frau meines Lebens. Und, wenn ich genau nachdachte - damals hatte auch ich aufgehört zu existieren. Irgendwie saß ich nur noch mein Leben ab.
Wenn ich abends allein in meinem viel zu großen Haus saß, dann kamen sie, die Erinnerungen.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nur noch nach vorne zu sehen. Den Blick darauf gerichtet, was da noch kommen könnte. Aber da kam nichts.
Nur die Erinnerungen - die kamen. Und von Tag zu Tag wurden sie intensiver. Manche von ihnen hätte ich gerne verdrängt. Die, welche mir nicht besonders guttaten - die Schlechten. Und davon gabs reichlich. Aber dann waren da die Besseren. Die, bei denen ich mich gut fühlte. Erinnerungen an vergangene Geschehnisse, die mir wichtig waren.
»Je älter ich werde«, dachte ich, »umso mehr lebe ich nur noch von den Erinnerungen. Sie sind das Einzige, was einem Niemand nehmen kann. Das Einzige.«
Die Ampel vor mir schaltete auf Rot und riss mich aus meinen Gedanken. Und ich sah das Hinweisschild: Albersdorf 15 km.
Jetzt wars nicht mehr weit.
Leichter Nieselregen setzte ein.
Die Scheibenwischerblätter müssten auch mal wieder gewechselt werden.
20 Minuten später war ich am Ziel. Ich hatte mein Auto verlassen und stand jetzt vor dem Tor.
Ich entdeckte ein großes Schild: »Dithmarsen-Park«.
Wehmut, und etwas das sich wie Trauer anfühlte, überfiel mich. Was war nur aus unserer schönen Kaserne geworden.
Das Wachhäuschen, die Schranke, alles war noch da. Und trotzdem erschien mir das, was ich von dem kleinen Parkplatz aus sehen konnte, grau und trostlos.
Ich hatte gelesen, dass der Standort geschlossen worden war.
Private Investoren hatten das Areal aufgekauft und an verschiedene Spediteure vermietet oder verpachtet.
Nun sah ich keine grünen Militärfahrzeuge oder uniformierte Soldaten - sondern leuchtend gelbe LKWs. Mit der Aufschrift »DHL«.
»Siehst Du«, sagte ich zu mir selber, »sogar das ist nicht mehr geblieben.« Aber immerhin war es ja nun auch 40 Jahre her, dass ich das letzte Mal hier war.
Ich wäre gerne hineingegangen. Hätte mir gerne noch einmal alles in Ruhe angesehen. Die Kasernenblöcke, in denen ich lange gelebt hatte. Den Exzerzierplatz. Die Kantine. Doch niemand war zu sehen. Und ob man das Gelände betreten durfte, dessen war ich mir nicht sicher. Ein wenig Kaserne war`s ja optisch noch.
Der Nieselregen war nun stärker geworden. Also setzte ich mich wieder in meinen Wagen und beschloss, noch ein wenig auf dem Parkplatz zu bleiben.
Trotz der vielen Regentropfen, die sich auf der Frontscheibe sammelten, hatte ich einen direkten Blick auf das alte Tor und den Bereich dahinter. Auf die Strasse, an deren Ende irgendwo mein alter Kompanie-Block stand.
Ja, da waren sie wieder - die Erinnerungen an den Sommer 1975.
Wie ein alter Film, dessen Qualität nicht mehr die beste ist. Was allerdings nach ein paar Minuten des Zusehens nicht mehr stört.
Ich kramte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Lehnte mich so weit zurück, dass ich die Kopfstütze spürte.
Und meine Gedanken gingen zurück zum Juli des damaligen Sommers.
Zu dem Tag, an dem alles anfing.
Kapitel 1: Die ersten 3 Monate
in für mich, aus heutiger Sicht, sehr wichtiger und prägender Lebensabschnitt begann.
Am Morgen des 1. Juli 1975 setzte ich mich mit gepackten Klamotten und extremer Kurzhaarfrisur in mein Auto und fuhr nach Luttmersen, einem kleinen Ort nahe Hannover.
Luttmersen bestand aus ein paar Häusern, sowie einer riesigen Kaserne. Drumherum Heidelandschaft - so weit das Auge reichte.
Die Kaserne machte auf mich den Eindruck eines gewaltigen Bollwerkes. Zäune, nummerierte Blockgebäude, wehende Deutschlandfahnen und ein geschäftiges Gewusel von Soldaten in sauberen, adretten Uniformen. Die Soldaten hatten in der Regel eine auffallend gerade Körperhaltung und einen ernsten wichtigen Gesichtsausdruck.
Der Wachsoldat am Kasernentor wies mir den Weg zur Ausbildungskompanie der ABC-Abwehrtruppe und beschrieb mir den Parkplatz, auf dem ich mein Privatfahrzeug abzustellen hatte.
Er sagte nicht Auto oder Kraftfahrzeug, sondern »Privatfahrzeug«. Das war der erste militärische Ausdruck den ich kennenlernte.
Sehr schnell merkte ich auch, dass die Soldatensprache eine ganz besondere war, denn sie unterschied sich vehement von der mir bisher geläufigen deutschen Ausdrucksweise.
Die Soldatensprache war klar, zackig, eindeutig und bestand größtenteils aus Abkürzungen. Man erkannte an ihr ebenfalls, ohne dass man genaues Wissen über Dienstgradabzeichen und Hierarchie in der Bundeswehr hatte, ob ein Vorgesetzter mit einem Untergebenen sprach oder umgekehrt.
Wenn man z.B. hörte, dass ein locker aufgestellter Soldat zu einem anderen in erhöhter kehliger Lautstärke sagte: «Ich reiß Ihnen den Arsch bis zur Halskrause auf, Sie Senfgurke!«, handelte es sich mit Sicherheit um einen Vorgesetzen der dort das Wort führte.
Wenn aber ein Soldat, der den Eindruck machte, als hätte er gerade einen Besenstiel verschluckt, in zackiger Ausdrucksweise und mit an der Kopfbedeckung angelegten Grußhand, zu einem betont lässig wirkendem Gegenüber sagte: »Schütze Meyer meldet, Schuhputz ausgeführt!«, ... dann war der Wortführende mit Sicherheit ein Untergebener.
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