Nachdem ich mein Auto geparkt hatte, meldete ich mich auf der Schreibstube der ABC-Abwehrkompanie. Dort waren schon mehrere frische Rekruten angekommen.
Ich stütze mich leger auf den Empfangstresen und fragte: »Guten Tag, ist das hier die ABC-Abwehrkompanie 30?«
Prompt empfing ich meinen ersten Anschiss! Der Soldat, von dem ich annahm, dass es sich um einen einfachen Gefreiten handelte, weil er einen Haken auf seinen Schulterklappen trug, brüllte mich an: »Verbeulen Sie nicht meinen Tresen! Und stellen Sie sich gerade hin!«
Vor Schreck über das gewaltige Sprachorgan nahm ich unwillkürlich Haltung an.
»Wie heißen Sie!«
Ich stammelte: »Gölnitz«
»Schütze Gölnitz heißt das!« schallte es mir entgegen.
»Ääh … , Schütze Gölnitz, … ich soll mich hier melden.«
Zu erwähnen, dass ich nicht Schütze, sondern Obergefreiter war, traute ich mich nun garnicht mehr.
Der Soldat, so stellte sich später heraus, hatte den Dienstgrad »Feldwebel« und war einer der Rekrutenausbilder.
Er gab mir eine Art Laufzettel, auf dem exakt der weitere Ablauf festgeschrieben war. Dann nannte er mir die Stuben-Nummer meiner zukünftigen Unterkunft.
»In 15 Minuten ist vor dem Kompanieblock Antreten.«
»Wegtreten!!«
Übergangslos wandte er sich dem nächsten Rekruten in der Reihe zu, um auch diesem den ersten Anschiss zu verpassen.
»Oh man«, dachte ich mir, »bei dem Typen hab ich wohl schon nach zehn Minuten verschissen.«
Ich fand meine Stube und sah das bereits vom Eignungstest bekannte Innenleben. Meine zukünftigen Mitbewohner, beim Bund nennt man sie »Kameraden«, waren auch bereits eingetroffen und wir machten uns zögerlich bekannt.
Ich war anscheinend der einzige Zeitsoldat. Die anderen fünf waren Wehrpflichtige und mussten zwangsweise 18 Monate dienen.
Plötzlich schrie irgendeine gewaltige Stimme auf dem Flur:
»ABC-Abwehrzug - vor den Stuben Antreten!!«
Da wir annahmen, dass wir damit gemeint seien, schlenderten wir zur Tür der Stube hinaus, um mal zu sehen, was da so abgeht.
Am Anfang des ellenlangen Flures hatte sich ein Soldat breitbeinig aufgebaut, stützte seine Hände in die Hüften, und hatte einen ungläubigen Ausdruck im Gesicht.
Während wir langsam aus unseren Stuben schlenderten, veränderte sich seine Stimme in ein fast entschuldigendes Säuseln. »Ach, war ich vielleicht zu laut? Habe ich die Damen beim Mittagsschläfchen gestört?«
Dann nahm seine Stimme urplötzlich wieder diese orkanartige Lautstärke an. »Wenn ich Raustreten rufe, haben Sie im Tiefflug zu erscheinen und in Linie neben Ihrer Stube anzutreten! Aber es ist eine gute Gelegenheit das zu üben - in die Stuben WEGTRETEN!! MARSCH MARSCH! Wo kein Schnee liegt, darf gelaufen werden!«
Überrascht über diese Ansprache nahmen wir beim Verlassen des Flures etwas an Geschwindigkeit zu.
Aber kaum waren wir in unserer Stube, erschall es wieder: »ABC-Abwehrzug - vor den Stuben ANTRETEN!!«
Wir hechteten aus unserer Stube und stellten uns auf. Was hatte er bloß mit »Linie« gemeint. Doch wir hatten uns instinktiv richtig aufgestellt. Linie hieß demnach, nebeneinanderzustehen. Später wurde uns die zweite Möglichkeit, das Antreten in Reihe, also hintereinander, beigebracht.
Dennoch schien der Mensch am Ende des Flures nicht zufrieden zu sein. Und so wiederholte sich die Prozedur des Raustretens noch mehrere Male, ... bis wir die wohl geforderte Geschwindigkeit erreicht hatten.
Der Soldat stellte sich jetzt in forschem Ton vor.
»Mein Vorname ist HERR, mein Nachname STABSUNTEROFFIZIER. Und wenn ich jetzt »ABC-Abwehrzug vor der Kompanie Antreten« sage, bewegen Sie Ihren Arsch in einem angemessenen Tempo bis vor den Kompanieblock und stellen sich in 3er-Reihe auf ---
ABC-Abwehrzug vor der Kompanie ANTRETEN!!«
Unser Flur lag im ersten Stock des Gebäudes und wir überschlugen uns fast beim Hinunterrennen der Gebäudetreppe.
Mit verschwitzten Gesichtern versammelten wir uns in Reih und Glied vor dem Kompanieblock. Dort hatten sich bereits die restlichen Offiziere und Unteroffiziere der Kompanie eingefunden.
Anscheinend sagte auch diesen Herrschaften unsere mittlerweile gesteigerte Geschwindigkeit nicht zu.
»Vor die Stuben wegtreten! MARSCH MARSCH !!«
und anschließend,
»ABC-Abwehrzug vor der Kompanie ANTRETEN –
MARSCH MARSCH !!«
Auch diese Aktion wurde mehrere Male wiederholt.
Von da an, so stellte ich fest, gehörte jene Art der Körperertüchtigung, mehrmals am Tag, zum ganz normalen Ablauf. Egal wie schnell wir uns auch bewegten, ohne mehrmalige Wiederholung ging garnichts.
Anschließend zeigte man uns in einer Art Crash-Kurs, wie man sich akkurat aufstellt und wie sich Gruppen in gemeinsamer Formation durch das Kasernengelände zu bewegen hätten. Immer schön in Reihe hintereinander, den Blick ernst geradeaus. Angeführt von einem Gruppenführer - dem Ausbilder. Irgendwie kam mir das bereits bekannt vor. Das letzte Mal, dass ich mich in dieser Art fortbewegt hatte, war in meiner Grundschulzeit - bei Wandertagen oder Schulausflügen.
Nun wurden wir in Gruppen verschiedenen Ausbildern zugeteilt.
Mein Gruppenführer war der bereits erwähnte Herr Stabsunteroffizier. Kurze Zeit später erfuhren wir, dass dieser Herr auch noch über einen richtigen Nachnamen verfügte: Hoins, Stabsunteroffizier Hoins. Berüchtigt als die größte Kampfsau und dazu der übelste Schleifer der Kompanie.
Wer hätte damals gedacht, dass ich ihm diesen Rang eines Tages noch streitig machen würde.
Den Rest des Tages empfingen wir unsere Uniform- und Ausrüstungsgegenstände, richteten uns ein und erhielten diverse Anordnungen. Das ging so bis ca. 21:30 Uhr.
Danach hatten wir unsere Stube aufzuräumen und zu reinigen. Um Punkt 22 Uhr mussten alle im Bett liegen - Zapfenstreich!
Für die meisten von uns war das etwas gewöhnungsbedürftig, denn bis vor wenigen Tagen waren wir noch der Meinung gewesen, dass das Leben um diese Uhrzeit erst richtig anfangen würde.
Nur ein Mann pro Stube hatte im Schlafanzug im Raum zu stehen, den Blick auf die Tür gerichtet, um dem eintretenden UvD zu melden, dass die Stube gereinigt und gelüftet war - was der entsprechende Unteroffizier vom Dienst dann mit Hingabe kontrollierte.
Bei Entdeckung des geringsten Mangels wurden entsprechende erzieherische Maßnahmen ergriffen, z.B. wurden dann die gesamten Bewohner der Stube im Schlafdress um den Kompanieblock gejagt.
Was diese Aktionen allerdings zur Steigerung der Sauberkeit und der Ordnungsliebe beitrugen, blieb uns schleierhaft.
Wir waren so geschafft vom ersten Tag, dass wir nach Löschung des Lichts sofort in tiefen Schlaf fielen.
Am nächsten Morgen, um Punkt 6 Uhr, riss uns der Pfiff einer Trillerpfeife, gefolgt von dem Ruf »Kompanie - aufstehn!«, aus tiefem Schlaf. Die Pfeife muss extrem manipuliert gewesen sein. Und der rufende Unteroffizier hatte sicherlich lange dafür trainiert, sein Sprachorgan auf diese Lautstärke zu trimmen.
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