Die vier Wochen kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Doch eines Tages fuhr ich zum Bahnhof und holte meine sehnlichst erwarteten »Rückkehrer« ab.
Als sie aus dem Zug stiegen und Basti mich erblickte, riss er sich los und stürmte mit seinen noch kurzen Beinen auf mich zu. Ich hob den Knirps zu mir hoch und schloss ihn in meine Arme. Leider musste ich feststellen, dass sein Kopf ziemlich heiß war und seine kleine Stupsnase triefte. Auch Ina hatte sich erkältet.
»Da schick ich Euch beide gesund los und bekomm Euch krank zurück«, bemerkte ich, als wir endlich gemeinsam zuhause eintrafen.
Es gab viel zu erzählen. Und trotz der Erkältung schien Ina sich doch gut erholt zu haben. Unter ihrer Bluse war jetzt zu erkennen, dass sich dort etwas wölbte.
»Seht zu, dass Ihr beide schnell gesund werdet«, sagte ich, »es ist ein schönes Gefühl, dass Ihr wieder zuhause seid.«
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Ende Juli stiegen wir in den Flieger nach Mallorca. Bastian war aufgeregt. Das erste Mal in seinem Leben flog er in einem Flugzeug. Manchmal, wenn ich ihn mir von der Seite ansah, war ich erstaunt, wie er mittlerweile doch gewachsen war. Ein richtiger Bengel war er geworden, voller Energie und immer Blödsinn im Kopf. Er war ein pfiffiges Kerlchen und ich war enorm stolz auf ihn. Und wenn ich alte Kinderfotos von mir sah, entdeckte ich die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen uns. Das Gesicht, die Haare, das Grinsen - eine fast perfekte Kopie.
Durch Zufall und wegen des günstigen Preises lag unser Hotel in Cala d`Or. Dem Ort, an dem ich vor vielen Jahren meinen ersten richtigen Urlaub gemacht hatte. Dass ich damals mit meiner Verflossenen hier gewesen war, störte Ina nicht. Das Kapitel war auch für mich abgeschlossen. Außerdem hatte sich hier vieles geändert. Es gab kaum etwas, was mich noch an die vergangene Zeit erinnerte. Ich wusste, ich hatte das gefunden, was ich mir immer wünschte. Glück, Liebe, Zufriedenheit - meine kleine Familie!
Bastian hatte aufblasbare Schwimmärmel bekommen und ich übte mit ihm die ersten Schwimmzüge. Er war nicht aus dem Wasser zu kriegen. Ina hielt sich bei den Tobereien etwas zurück, ihr Bauch war jetzt bereits kugelrund.
Oft saßen wir drei abends in unserem Hotelzimmer und legten die Hände auf die Wölbung. Bastian streichelte dann ganz sanft den nackten Bauch seiner Mama und manchmal legte er sein Ohr darauf oder küsste ihn. »Meinst Du, dass das Baby mich hören kann, Mama?«, fragte er einmal.
»Natürlich«, antwortete Ina, »wahrscheinlich freut es sich schon jetzt auf seinen tollen Bruder.« Und Bastian strahlte.
Das waren für mich Momente des vollkommenen Glücks. Eine Steigerung konnte es nicht geben. Mir ging es unglaublich gut. Bastian war ein gesunder, fröhlicher, aufgeweckter Junge und auch Ina war wieder zufrieden und glücklich.
Doch dann gingen auch diese drei herrlichen Wochen zu Ende. Wir waren knackig braun geworden und auch gut erholt.
Der Rest des Sommers in Deutschland war gut auszuhalten.
Manche lauen Abende saßen wir bis zum Einbruch der Dunkelheit mit meiner Mutter und Inas Eltern auf unserer Terrasse und genossen die Schönheit des Augenblicks.
Die Ankunft unseres zweiten Kindes würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ina war nun 31 Jahre alt und es ging ihr blendend. Eine Frau im besten Alter - fand ich. »Was ist das bloß, was schwangere Frauen so aufblühen lässt«, fragte ich mich manchmal. Eine Frage, auf die ich bis zum heutigen Tage keine Antwort bekommen habe.
Inas Kugelbauch nahm gewaltige Ausmaße an. Und wie auch beim letzten Mal, schien sich der Familienzuwachs Zeit zu lassen. Aber es war alles in Ordnung mit dem ungeborenen Kind. Doch Ina wünschte sich, endlich wieder normale Konfektionskleidung tragen zu können.
Es war nun September 1993. Und wenn wir über die bevorstehende Geburt sprachen, hatte ich immer gesagt: »Besonders scharf bin ich nicht darauf, im Kreißsaal dabei zu sein.« Denn diesmal schien alles auf eine »normale« Niederkunft hinauszulaufen.
Weil Bastian durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen war, kam ich damals drumherum, direkt bei der Geburt dabei zu sein. Ina hatte mir zwar gesagt, dass es ihr nichts ausmachen würde, ohne mein direktes Beisein zu gebären. Aber mein Gefühl und meine Erfahrung sagten mir: Frauen meinen nicht immer das, was sie sagen!
Und so teilte ich ihr dann eines Abends mit: »Ich habe mich jetzt doch dafür entschieden, während der Entbindung bei Dir zu sein.« Mein Pflichtbewusstsein hatte sich gegen meine Feigheit durchgesetzt.
Ina hatte beschlossen, ihr zweites Kind im Krankenhaus von Neumünster zur Welt zu bringen. Angeblich würde dort die »sanfte Geburt« durchgeführt werden. »Sanfte Geburt - was soll an einer Geburt sanft sein«, fragte ich mich im Stillen. Geburt heißt unvorstellbare Schmerzen für die Frau. Und seit wann gibt es sanfte Schmerzen? Verstehe einer die Frauen!
»Aber wenn’s losgeht, … Neumünster liegt doch 45 Autominuten von Rendsburg entfernt! Wenn es dann unterwegs zu Problemen kommt!!«, wandte ich zögernd ein.
»Ach Bodo, die Kinder kommen nun mal nicht innerhalb von fünf Minuten. Du guckst zuviel Fernsehen«, grinste Ina.
Und ich? Ich sah mich in Gedanken bereits auf einsamer Landstraße. Wie ich schweißüberströmt und blutverschmiert über Ina gebeugt war, das Kind aus ihr zog, und die Nabelschnur durchbiss …
Aber bis dahin konnte ich ja vielleicht noch auf sie einwirken.
Ina war allerdings fest entschlossen, in Neumünster zu entbinden. Angemeldet hatte sich bereits in der dortigen Klinik.
Jetzt begann die leidige Namenssuche. Und da wir fest davon überzeugt waren, dass es wieder ein Junge werden würde, legten wir abermals eine Liste an. Die Liste war nur noch länger als im Mai 1989. Und es fiel uns noch schwerer, eine Entscheidung zu treffen. Bis wir uns dann aber doch einigten. Damian sollte das Bürschlein heißen.
»Bastian und Damian. Irgendwie passt das«, sagte ich. Ina war zwar nicht vollends zufrieden, aber irgendeinen Namen musste unser zweiter Sohn ja haben.
»Aber wenn es doch ein Mädchen wird? Ich meine, theoretisch ist das ja möglich. Dann sollten wir auch dafür einen Namen parat haben«, sagte Ina, als ich die Namenssuche bereits abgehakt hatte.
»Ja, stimmt«, überlegte ich, »die theoretische Möglichkeit besteht.«
Also holte ich einen zweiten Zettel für den Mädchennamen.
Erfreulicherweise gestaltete sich die Suche recht kurz. Zwei oder drei Namen standen nach zehn Minuten fest. Doch dann fiel mir der Name einer hübschen österreichischen Schauspielerin aus den 60-ziger Jahren ein. Sie hieß Marisa Mell.
»Sag mal, … was hältst Du von Marisa?«
Dieser Vorname gefiel Ina sofort. »Gut«, sagte ich, »damit wäre das Thema durch!«
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits kurz vor Mitternacht war - Zeit schlafen zu gehen. Morgen wäre Montag und um 05:30 Uhr sollte schon wieder der Wecker für mich klingeln.
Wir lagen noch einige Zeit wach im Bett und waren froh eine Einigung über die Namensgebung unseres ungeborenen Kindes erzielt zu haben.
»Schlaf gut«, gähnte ich, drückte Ina einen Kuss auf, tätschelte ihren Bauch - und drehte mich auf die Seite.
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