Am nächsten Morgen war der 6. Dezember - Nikolaustag. Ich hatte am späten Abend - Bastian schlief bereits - seine Schuhe mit Süßigkeiten gefüllt und ein kleines Spielzeug dazugepackt. Tränen liefen mir dabei übers Gesicht. Allein hatte ich mich gefühlt, völlig hilflos. Ich war schwach und musste Bastian zuliebe stark sein.
Nun saß ich grübelnd vor einer Tasse Kaffee in der Küche und hörte ein Poltern aus dem Obergeschoß.
»Papa«, rief Basti aufgeregt, »Der Nikolaus war da! Komm schnell gucken! Boah, … so viele Naschies!«
Ich ging die Treppe ins Obergeschoß hinauf. Bastian stand im Schlafanzug und großen leuchtenden Augen da und zeigte auf seine gefüllten Schuhe. Und für einen Augenblick vergaß ich alle meine Sorgen. Weihnachtszeit mit eigenen kleinen Kindern ist etwas unsagbar Schönes!
Es klingelte an der Haustür! »Moment, ich seh´ mal nach wer das ist. Aber nicht alle Schokolade auf einmal essen«, rief ich Bastian zu, während ich die Treppe hinunter zur Haustür eilte.
Als ich die Tür öffnete, sah ich erstaunt in das Gesicht von Ina.
»Ich hab mich entschieden wieder zu Euch zu kommen«, sagte sie.
Ich nahm sie in die Arme. »Schön, dass Du wieder da bist. Ich verspreche Dir, dass ich mir Mühe geben werde, mich zu ändern.«
»Basti«, rief ich nach oben, »Mama ist wieder da!«
»Bleib oben, ich komm zu Dir«, rief Ina ebenfalls und eilte die Treppe hinauf.
Ich blieb unten. Es war wohl besser, ich würde jetzt nicht bei den Beiden sein. Es gibt Momente, in denen sind Drei einer zuviel. Aber ich war in diesem Augenblick glücklich! Alles würde hoffentlich wieder gut werden!
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In den kommenden Tagen schien sich unser Familienleben allmählich zu normalisieren. Ina suchte sogar die psychiatrische Praxis von Frau Dr. Mehring-Leupold auf. Doch es brachte nichts, denn sie war überzeugt davon, dass ihr nichts fehlte.
Ich war da völlig anderer Meinung. Doch ich sagte nichts. Ich war froh, dass sie wieder da war. Auch sprach ich Ina nicht mehr darauf an, warum es soweit gekommen war. Ich vermied alles, was zu Diskussionen hätte führen können.
In der nächsten Zeit versuchte ich, Ina noch mehr häusliche Arbeit abzunehmen. Und manchmal schlief sie tatsächlich am Nachmittag auf dem Sofa ein. Schlaf war jetzt enorm wichtig.
Sie hatte sich krankschreiben lassen. Und immer wieder schlug ich ihr vor, ihren Job im Krankenhaus endgültig zu kündigen und einfach nur Hausfrau zu sein. Doch Ina wollte nicht. Sie war der festen Überzeugung, wir würden ihren Verdienst brauchen. Meinen Einwand, wir würden auch so über die Runden kommen, ignorierte sie. So konnte ich nur hoffen, dass sie bald ihr psychisches Gleichgewicht wiederfinden würde.
Es vergingen die Tage. Und erst am Heiligabend hatte ich den Eindruck, dass es Ina wieder besserging.
Kapitel 48: Alles wird gut
Es ging ruhig hinüber ins Jahr 1993. Ina war bei ihrem Hausarzt in Behandlung. Der schlug ihr vor, eine Mutter-Kind-Kur zu beantragen. Und so bekam sie im Februar ein Schreiben, in dem die Kur genehmigt wurde. Ende April sollte es losgehen.
Mitte März sagte mir Ina eines Abends: »Ich glaube ich bin schwanger. Meine Periode ist längst überfällig.«
»Wie bitte?« Ich war völlig überrascht. »Ich denk Du hast Dir eine Spirale einsetzen lassen.« Ina gestand mir, dass sie die Spirale im Dezember letzten Jahres zwar entfernen, aber nicht hatte erneuern lassen.
Ein zweites Kind passte eigentlich nicht so richtig in meine Lebensplanung. Und bisher hatten wir über Derartiges auch nie ernsthaft nachgedacht.
»Das hat doch nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Es wäre nicht das erste Mal, dass Deine Regel nicht punktgenau einsetzt«, beschwichtigte ich.
»Das ist richtig, aber eine Frau fühlt sowas. Ich hab mir bereits einen Termin beim Frauenarzt geben lassen«, erwiderte Ina mit einem wissenden Blick.
Ich muss gestehen, diese Neuigkeit brachte mich etwas durcheinander. Ein Kind zu diesem Zeitpunkt war nicht unbedingt optimal. Wir hatten gerade unsere erste Ehekrise hinter uns, die laufenden Kosten für das Haus drückten und mit Bastian waren wir endlich durch das Gröbste durch. Die Vorstellung auf erneute beschissene Windeln und Babygeschrei entfachten nicht unbedingt Begeisterungsstürme in mir. Doch wenn es denn so sein sollte, würden wir auch das hinkriegen. Und unser Bastian würde endlich sein ersehntes Geschwisterkind bekommen. Ich merkte, während ich so darüber nachdachte, dass mir die ganze Sache irgendwie zu gefallen begann.
Noch in der gleichen Woche ging Ina zur Untersuchung. Der Arzt stellte fest, dass sie in der 14. Woche schwanger war. Nun war es also amtlich.
»Deine Mutter hat tatsächlich recht. Du brauchst nur Deine Schlüpfer in den Wind hängen, … und schon bist Du schwanger«, feixte ich.
Natürlich mussten wir uns beide an den Gedanken gewöhnen, Ende des Jahres vier Personen zu sein. Doch dann gewannen die bekannten Mutter- und Vatergefühle die Oberhand. »Naja, was soll’s«, sagte ich. »Fahr Du erst einmal mit Bastian zur Kur und erhol Dich.«
Ina fuhr mit Bastian zur Mutter-Kind-Kur, und ich war die nächsten vier Wochen allein zu Hause. Wenn ich dann abends im Wohnzimmer saß, merkte ich, wie sehr mir beide fehlten. Manchmal telefonierten wir, aber das war nicht dasselbe.
Wenn ich dann auch mit Bastian sprach, erzählte mir Ina anschließend, dass das garnicht nicht so gut für ihn wäre. Meistens weinte er, nachdem er mit mir gesprochen hatte. Weil er mich sehr vermissen würde. Und wenn wir anschließend den Hörer aufgelegt hatten, musste ich mich auch ziemlich zusammenreißen, um nicht auch loszuheulen.
Am Wochenende baute ich zwei Mikrofone auf, und nahm mir das kleine Kinderbuch mit der Geschichte von den Bibern, die einer kleinen Ente beim Umzug vom Dorfteich in einen See halfen. Das war Bastians aktuelle Lieblingsgeschichte.
Ich las die Geschichte laut vor, während der Recorder lief und alles auf Kassette aufnahm. Im gleichen Tonfall, wie ich es abends immer am Bett von meinem kleinen Sohn tat. Anschließend sprach ich noch etwas Persönliches auf. »Bastian, sei artig und mach das, was Mama Dir sagt. Bald bist Du wieder zuhause. Und jetzt schlaf schön - ... ich hab Dich lieb.«
Dann packte ich die bespielte Kassette und einige Naschies in einen Karton. Zusätzlich hatte ich noch ein paar Dinosaurier-Figuren besorgt. Die Dinger waren damals ziemlich angesagt bei den Kids. Und am nächsten Tag ging ich damit zur Post.
Zwei oder drei Tage später rief mich Ina an und erzählte, wie sehr sich Bastian über das kleine Päckchen gefreut hatte. Die Saurier mussten immer in seinem Bett schlafen, und er hörte vorm Einschlafen immer wieder die von mir besprochene Kassette. Wenn dann die Stelle kam, an der ich sprach: »… und mach immer das, was Mama sagt«, antwortete er mit Blick auf den Kassettenrekorder: »Ja Papa, mach ich. Ich hab Dich auch lieb!«
Ich war zutiefst gerührt, als Ina mir das schilderte. Und ich sehnte den Tag herbei, an dem ich meine beiden vom Bahnhof abholen würde.
Meine kleine Familie war das Wichtigste in meinem Leben geworden - und bald würden wir sogar Vier sein. Wenn Ina mir erzählte, dass ihr Bauch nun auch zu wachsen anfing, hatte ich wieder dieses unbeschreibliche Kribbeln. Wie damals als sie mir im Auto erzählte, dass ich Papa werden würde.
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