»Moritz, schön, dass du wieder unter uns bist. Du hast enormes Glück gehabt ...«
In diesem Moment bemerkte Moritz, dass nicht nur sein Kopf schmerzte, vielmehr war es sein ganzer Körper.
»Verdammt. Mir tut alles weh. Professor Altenbach, was ist passiert?«
»Mein Lieber, du hattest einen Unfall und –«
»Wo ist mein Handy?«
»Ganz ruhig, Moritz. Deine persönlichen Sachen sind bei deinem Vater. Er war bis vor einer Stunde hier, hat die ganze Zeit an deinem Krankenbett gewacht. Ich habe ihn nach Hause geschickt. Ich werde ihn gleich anrufen und darüber informieren, dass du wieder bei Bewusstsein bist. Keine Sorge.«
»Ja, aber –«
»Kein Aber, Moritz. Ruh dich aus. Du bist ja immer noch so schlimm wie als kleiner Junge. Weißt du noch, wie du dir den Arm gebrochen hast und nach zwei Tagen zu mir gekommen bist, dass ich den Gips abmachen soll?«
»Ja. Weiß ich. Er war blau und die Schwester hat mir einen Ritter darauf gemalt. Aber ich –«
»Schön. Dein Kopf funktioniert also noch. Das CT war unauffällig, abgesehen von der Gehirnerschütterung. Morgen Mittag machen wir aber sicherheitshalber ein MRT.«
»Von mir aus ... Aber was ist passiert? Und – ich muss dringend telefonieren!«
»Moritz, entspann dich bitte. Telefonieren kannst du morgen früh, es ist halb eins in der Nacht. Du hattest heute Morgen einen Unfall mit dem Auto. Ein LKW ist in die linke Spur gezogen und hat dich nicht gesehen. Du warst sehr schnell unterwegs, die Polizei schätzt circa 210 km/h, dein Wagen hat sich überschlagen und ist durch die Leitplanke auf einen Acker geschleudert worden. Dem LKW-Fahrer ist, außer einem Schock, nichts passiert. Gut, dass es so früh war, bei voller Autobahn wäre das anders ausgegangen.«
»Professor Altenbach, ich muss meine Freundin anrufen. Sie sorgt sich bestimmt.«
»Morgen Moritz. Jetzt schlaf dich aus.«
*
»Guten Abend. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«
»Nein Hermann, hast du nicht. Was gibt es? Ist Moritz wach?«
»Ja. Und es geht ihm gut. Er erinnert sich zwar nicht an den Unfall, aber an den gebrochenen Arm und den Ritter auf seinem Gips.«
»Herrlich. Das ist mein Sohn ... Ich danke dir.«
»Na ja, ich bin nur der Überbringer der guten Nachricht. Allerdings musste ich Moritz gerade bremsen, ich glaube, er wäre am liebsten direkt zurück zur Arbeit. Und er wollte seine Freundin sprechen. Ich wusste gar nicht, dass er eine hat. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Typisch Moritz ... Nein, die Freundin ist keine Halluzination. Er hat mir Samstag von ihr erzählt. Alles noch ganz frisch ... Deswegen wäre es schön, wenn er es ihr selber sagen könnte ...«
»Ich verstehe. Lass das meine Sorge sein. Wie heißt sie?«
»Elisabeth Schmidt.«
»Gut, mein Lieber. Ruh dich aus, ich schätze, wir sehen uns morgen?«
»In alter Frische.«
*
»Dr. Bruckmann?«
»Frau Schmidt, so früh?« Es war halb sieben, als Markus Bruckmann aus der Dusche kam und einen Anruf entgegennahm.
»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Ihnen nur früh genug Bescheid geben. Ich werde heute nicht zur Arbeit erscheinen, mein Kreislauf spielt verrückt ...«
»O je, Sie Arme. Gute Besserung!«
»Danke. Ich melde mich wieder.«
Er überlegte. War sie jemals krank gewesen, seit sie für ihn arbeitete? Nicht, dass er sich erinnern könnte. Hatte sie etwa der Stress eingeholt? Markus Bruckmann hoffte, dass es nicht so wäre, für sie nicht, für Moritz nicht und auch nicht für den Montana-Fall, der ohne Elisabeths Hilfe noch undurchsichtiger würde. Aber was war schon ein Tag? Wenn sie morgen wieder käme, wäre alles gut. Kreislauf? Haben Frauen ja manchmal, dachte er, trocknete seine Haare und überlegte, welche Krawatte er heute tragen wollte.
*
»Dies ist die Mailbox von Elisabeth Schmidt. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«
Es war halb zehn, Markus Bruckmann hatte sie jetzt zum dritten Mal nicht auf dem Handy erreicht. Er wählte das Festnetz an, mit Kreislaufstörungen würde sie ja nicht unbedingt aus dem Haus gehen. Inzwischen hatte er aber eine Ahnung, woher diese rühren könnten.
»Schmidt ...«
»Markus Bruckmann. Gut, dass ich Sie zu Hause erreiche ...«
»Oh ... Ja. Mein Handy ist aus. Ich wollte etwas Ruhe ...«
»Kein Ding. Ich glaube, ich habe etwas gegen Ihre Beschwerden ...«
»Sie sind Dr. jur., ein Rechtswissenschaftler, kein Humanmediziner. Was bitte haben Sie, das mir helfen soll?«
»Sehr amüsant. Ja. Ich rufe indirekt in Moritz’ Auftrag an.«
Elisabeths Herz blieb stehen. Schlussmachen per SMS hatte sie schon gehört, aber über den Freund, der Chef der Freundin war?
»Es geht also um Moritz ... Bitte!«
»Erschrecken Sie nicht. Er liegt im Virchow-Krankenhaus, in Eschberg, gestern Morgen hatte er einen schweren Unfall, ist aber zum Glück wohlauf. Moritz möchte Sie sehr gern sehen, hat aber sein Handy abgenommen bekommen und konnte sich nicht melden.«
»O mein ...« Ihr fehlten die Worte, sie rang nach Luft.
»Beruhigen Sie sich, bis auf ein paar Prellungen und eine Gehirnerschütterung geht es ihm hervorragend. Machen Sie sich in aller Ruhe fertig und besuchen Sie ihn. Station 2, Zimmer AB 42.«
»Danke ... Ich glaub, mein Kreislauf fährt jetzt erst recht Achterbahn, aber ... Egal. Ich melde mich später.«
»Passen Sie gut auf sich auf!«
👠 Mausi, ich nehm alles zurück. Moritz ist im Krankenhaus. Autounfall. Aber wohl alles okay. Melde mich später.
💅 Und ich sag immer: Frauen sind die besseren Autofahrer ... Drück dich!
*
»Frau Schmidt, nehmen Sie doch gern hier im Warteraum Platz, Herr Fürst ist noch beim MRT, wenn er zurück ist, sage ich Ihnen Bescheid.« Die Schwester lächelte milde, ein wenig so, als spräche sie mit einem kleinen Kind. Elisabeth kam sich komisch vor. Da sie völlig übermüdet war, war sie froh, einen Kaffeeautomaten vorzufinden. In ihrem Portemonnaie kramte sie nach Kleingeld und setzte sich an einen der Tische. Sie war allein in dem Raum und es war herrlich still. Aus der Tasche nahm sie ihr Notizbuch, in dem sie gern Gedanken notierte, malte und kritzelte. Der Füller glitt in geschwungenen Bahnen dahin und brachte den Anfang eines Briefs an ihren Vater zu Papier.
Ein älterer Herr kam in den Warteraum und sie grüßten einander freundlich. Er hantierte etwas unbeholfen mit dem Kaffeeautomaten, bis Elisabeth aufstand und ihm ihre Hilfe anbot.
»Die Tücken der Technik ...«, seufzte er und ließ sie an den Automaten. Er hatte zwar Geld eingeworfen und eine Taste gedrückt, aber der Becher stand schief und der Kaffee lief in die Abtropfschale. Elisabeth warf Kleingeld nach, zog einen neuen Kaffee und reichte ihn ihm.
»Vielen Dank für den Kaffee.« Er sah sich um und blickte auf den Tisch, an dem Elisabeth gesessen hatte.
»Keine Ursache. Nehmen Sie gern hier Platz, wenn Sie mögen.« Elisabeth deutete auf den freien Stuhl an ihrem Tisch. Der ältere Herr war ihr sympathisch, er strahlte eine besondere Ruhe aus, nachdem die kleine Ungeschicklichkeit am Kaffeeautomaten vorbei war. Er setzte sich ihr gegenüber und rührte Zucker in seinen Kaffee.
»Ein sehr hübsches Notizbuch, das sie da haben.«
»Ein Geschenk meines Vaters, ich bekomme jedes Jahr zu Weihnachten eines. Diesmal ist es Mozarts Jagdmusik gewesen.«
»Und Sie schreiben mit Füller, das sieht man heute auch sehr selten.«
»Ich kann meine eigene Schrift sonst nicht lesen ... Und es übt die Hand, ich könnte natürlich auch alles mit dem Handy aufnehmen oder darin notieren, aber da bin ich leider altmodisch.«
Er lachte herzlich und zwinkerte ihr zu, väterlich, freundlich.
»Bezaubernd. Mögen Sie Mozart?«
»Ja, schon seit ich ein kleines Mädchen war. Mein Vater hat mich diesbezüglich sehr geprägt.«
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