Märchenhaft – Elisabeth
Band 1 der Eschberg-Reihe
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
Texte: © Larissa Schwarz
Umschlaggestaltung: © Larissa Schwarz
Verlag:
Edition Eschberg – Larissa Schwarz
Heisterbusch 1
46539 Dinslaken
larissa@larissaschwarz.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Freitag, 08.06.
»Was machen Sie denn hier?«
»Ich sitze. Außerdem trinke ich Kaffee. Und ich lese Zeitung. Benötigen Sie noch mehr Informationen oder genügt das Ihrer Neugier?«
»Kratzbürstig wie eh und je ...«, antwortete er mit gespieltem Genuss. Ungefragt nahm er sich einen Stuhl und setzte sich zu ihr an den Tisch. Abwertend sah sie ihn an und entgegnete affektiert: »Für Sie immer. Es soll jedoch Menschen geben, die das anders sehen ...«
»Deswegen warten Sie wohl auch? Weil es Menschen gibt, die auf Kratzbürsten stehen?« Amüsiert neigte er den Kopf.
»Wer sagt, dass ich warte?«
»Elisabeth, es ist Freitag, 17.15 Uhr. Für eine Verabredung eigentlich etwas früh, aber hier auf dem Land werden ja bekanntlich um 19 Uhr die Bordsteine hochgeklappt. Also entweder sind Sie für 17.30 Uhr verabredet und früh dran oder Sie warten, weil 17 Uhr Sie versetzt hat.«
»Sie sind ein Fuchs, Moritz. Ich warte tatsächlich.« Sie holte tief Luft. »Auf Ihren Abgang!«
»Oh, dann viel Freude dabei. Ich werde mich so lange an den Tisch hier setzen und auch warten.« Er sah sie immer noch charmant und höflich an. Zwinkerte. Grinste breit.
Elisabeth blickte demonstrativ auf ihr Tablet und fragte sich, was dieser Kerl sich eigentlich einbildete.
Moritz war für sie kein Unbekannter. Und genau darin lag der Grund, warum er der letzte Mensch war, auf den sie heute hätte treffen wollen. Sie waren gewissermaßen Arbeitskollegen gewesen, kannten sich von unzähligen Meetings und abteilungsübergreifenden Projekten, aber das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte, war etwa ein halbes Jahr her. Die Saat für ihre gegenseitige Abneigung war jedoch viel eher gelegt worden, vor etwa zwei Jahren. Sie hatte ihm die Laune verhagelt, als sie seine Abteilung in der Jahrespräsentation als das schwarze Schaf der Consulting-Firma dargestellt hatte. Es war nicht ihre Idee gewesen, Moritz anzuprangern. Zwar hatte sie die Präsentation vorbereitet und moderiert, die Inhalte aber waren von der Geschäftsleitung gekommen. Moritz wusste das und sie wusste, dass er es wusste. Dennoch waren er und Elisabeth sich spinnefeind. In weiteren Meetings hatte er versucht, den Spieß umzudrehen und sie bloßzustellen, ihre Abteilung und ihre Arbeit schlechtzureden und ihren Chef auf sie anzusetzen. Dr. Bruckmann jedoch war loyal seiner Assistentin gegenüber, er wusste, was er an ihr hatte und ließ das keineswegs unerwähnt.
Auf dem Tablet hatte Elisabeth die Zeitung inzwischen zu Ende gelesen und starrte nun immer wieder auf den Nachrichteneingang. Sie hatte Sebastian vor ein paar Tagen auf der Party ihrer Freundin kennengelernt und ihn interessant gefunden. Er hatte diese warmen braunen Augen, ein mitreißendes Lächeln und war der Erste, der ihr nicht mit der Mitleidsnummer begegnet war. Elisabeth hasste es, sich zum Tod ihres Mannes äußern zu müssen; zwischen ihnen war es schon seit Monaten schwierig gewesen. Jan hatte dann den Auftrag in Indien angenommen, bei dem er auf einem Zubringerflug verunglückt war. Sie hatte die Nachricht mitten in der Nacht erhalten und war am nächsten Morgen zur Arbeit erschienen, als sei nichts passiert. Erst eine Woche später, als Jan eigentlich hätte zurückkommen sollen und ihr Chef ihr einen schönen Abend mit ihm gewünscht hatte, brach es aus ihr heraus. Im Nachhinein schämte sie sich für den Gefühlsausbruch, Dr. Bruckmann jedoch hielt das für ganz natürlich und hielt sie dazu an, sich ein paar Tage frei zu nehmen und abzuseilen.
Die von ihrem Chef verordnete Zwangsauszeit hatte sie dann damit verbracht, Unterlagen zu sichten, mit Jans Arbeitgeber und der Fluggesellschaft zu sprechen und die Bank zu informieren. Jan war Waise gewesen, er hatte einen Halbbruder, der jedoch bereits vor Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. Sie hatten sich zu gegenseitigen Alleinerben in ihren Testamenten eingesetzt, nur für den Fall der Fälle. Dass dieser Fall tatsächlich eintreten würde, war damals für sie so weit weg, wie die Erde vom Mond. Es gab niemanden sonst zu informieren und da sie kinderlos geblieben waren, stand sie mit neunundzwanzig Jahren plötzlich vor den Trümmern ihres Lebens.
Was mache ich eigentlich hier?, fragte sich Elisabeth. Sie sah immer noch auf ihr Handy und hätte sich am liebsten geohrfeigt. Es war 17.32 Uhr und sie saß in diesem Café in Eschberg, eine halbe Autostunde von zu Hause entfernt. Sebastian wohnte eigentlich östlich von ihr, sie hatten sich auf seinen Vorschlag in der ländlich gelegenen Stadt treffen wollen. Elisabeth war schon ein paar Mal in Eschberg gewesen, hatte mit ihren Freundinnen Wellness-Wochenenden dort verbracht, sich die Ausstellungen im Schlossmuseum angesehen oder das jährliche Classic-Car-Treffen in der Altstadt besucht. Nun hatte Sebastian diesen Ort für ein Date vorgeschlagen; er wollte ihr dort etwas zeigen. Sie überlegte, was es sein könnte. Das Schloss vielleicht. Oder die alte Mühle? Wohl kaum das Shoppingcenter oder den Wald?
Eschberg hatte knapp siebzigtausend Einwohner, ein Kino, mehrere Cafés; ein nettes verträumtes Städtchen mit perfekter Autobahnanbindung. Genau diese würde sie gleich auch wieder nutzen, um nach Hause zu fahren. Gedanklich hing sie sich aber weiter an Sebastian auf. Ihre Freundin Marie kannte ihn von der Arbeit und hatte sich für ihn verbürgt, er sei zwar etwas kauzig, aber nett und zuverlässig. Zuverlässig, dass ich nicht lache , ging es ihr durch den Kopf. Was hatte sie sich dabei gedacht, sich auf ein Date einzulassen? Es schien ihr nicht verwerflich; auch wenn ihre Liebe zu Jan schon länger tot war als er, hatte sie einen gewissen Anstand gewahrt, war eine Weile wenig ausgegangen und trug dunkle Farben. Jetzt jedoch begann der Sommer und sie spürte, wie ihr einiges an Ballast von den Schultern gefallen war. Der Abend mit Sebastian hatte ein Anfang sein sollen. Von was auch immer. Es hatte sie zwar ein wenig Überwindung gekostet, zuzustimmen sich heute mit ihm zu treffen, aber Elisabeth hatte das Gefühl gehabt, dass sie den Weg hierher nicht bereuen würde. Sebastian war so locker, sprach so unverblümt mit ihr und scherte sich wenig um Pietät. Das gefiel ihr. Rein optisch war er eine Sieben von Zehn. Ein bisschen zu unsportlich für ihren Geschmack, seine Haare bräuchten dringend einen neuen Look und er war eigentlich auch etwas zu klein. Elisabeth liebte High Heels und bereits in Maries Küche hatte sie die Schuhe ausgezogen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, vor einer Riesin zu stehen. Eigentlich war er nur eine Sechs von Zehn. Wenn überhaupt. Was hab ich mir nur dabei gedacht?
»17.35 Uhr. Elisabeth, ich behaupte jetzt mal ganz unverfroren, dass Sie versetzt worden sind.« Der Schuss kam unerwartet von links.
Moritz.
Und der Pfeil saß tief. Elisabeth schlug genervt die Augen auf und drehte sich unwirsch zu ihm hin. Dabei fiel das Tablet vom Tisch und stürzte zu Boden.
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