»Moritz, Sie sind und bleiben ein Arsch. Warum fahren Sie nicht einfach zur Hölle?«, keifte sie ihn an.
Unerwarteterweise stand Moritz auf, sah sie betrübt an und reichte ihr das Tablet. Es hatte einen hässlichen Kratzer auf dem Display und eine große Delle am Gehäuse abbekommen, funktionierte aber noch.
»Eigentlich wollte ich gerade etwas Nettes sagen, aber wissen Sie, Elisabeth, ich sage lieber nichts mehr, fahre jetzt tatsächlich zur Hölle, gehe mit dem Teufel ein Bier trinken und habe einen wesentlich entspannteren Abend als Sie.«
Elisabeth biss grummelnd die Zähne zusammen und legte das Tablet wieder auf den Tisch. Was bildet der sich eigentlich ein? Und was macht er überhaupt hier? Moritz hatte vor ein paar Monaten die Firma verlassen und galt quasi als verschollen. Die Einen erzählten etwas von Sabbatical, die Anderen von schwerer Krankheit. Von Dr. Bruckmann hatte sie erfahren, dass er wohl wegen einer privaten Angelegenheit gekündigt hatte, aber keinen Kontakt mehr wünschte. Ihr sollte es nur recht sein, auch wenn sie ihn dafür bedauerte, dass er offenbar familiäre Probleme hatte.
»Moritz, warten Sie bitte einen Moment!« Hab ich das jetzt gesagt? Oh, sh... Elisabeth hatte ihre Stimme gehört, ihr fehlte jedoch der Gedanke dazu.
Moritz drehte sich um, er stand bereits an der Tür und sah sie verdutzt an. Auf ihr leichtes Nicken hin ging er die wenigen Schritte in ihre Richtung zurück.
»Ja, bitte? Wollen Sie mir noch eine Gemeinheit an den Kopf werfen oder soll ich dem Teufel nur liebe Grüße von seiner besten Schülerin ausrichten?«
»Moritz, ich weiß nicht, was Ihre Kündigung veranlasst hat und es steht mir nicht zu, Sie danach zu fragen. Auch wenn wir beide nie miteinander warm geworden sind, tut es mir leid, wenn es Ihnen familiär nicht gut ergangen ist. Ich weiß, dass Sie Ihren Job geliebt haben, es wird Ihnen nicht leicht gefallen sein ... Ich ... wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und ... Leben Sie wohl!«
Von ihrer eigenen Direktheit überrascht wich Elisabeth etwas zurück und griff ihre Tasche. Moritz stand wie angewurzelt da und sah sie an. Ihm war bereits beim Betreten des Cafés aufgefallen, dass sie lockerer und unbeschwerter wirkte als noch vor einem halben Jahr. Die langen braunen Haare schmeichelten ihr offen getragen wesentlich mehr als die strengen Hochsteckfrisuren im Job und der blaue Paisleymuster-Rock mit dem weißen Top hatte beinahe etwas Romantisches. Aber das war immer noch Elisabeth. Elisabeth Schmidt, die ihm in einem Satz mehr Tiefschläge verpassen konnte als niemand sonst. Elisabeth Schmidt, die immer brillierte, nie Fehler machte und nicht nur Liebling ihres Chefs war. Alle liebten sie.
Ein Grund mehr, sie nicht zu mögen.
Er gewann seine Fassung zurück, nickte ihr zum Abschied zu und ging nach draußen, wo er vor der Tür stehen blieb und kurz überlegte, was er als Nächstes tun würde. Den Abend hatte er frei, Zeit und Lust die Seele baumeln zu lassen und das Leben zu genießen. Elisabeth. Hm ...
Elisabeth hatte gezahlt und ging ebenfalls ins Freie. Sie wunderte sich, warum Moritz noch vor der Tür stand.
»Na, hat der Teufel keine Zeit für ein Bier?«
»Er hat gerade geschrieben, dass er sich etwas verspätet.« Der Spruch saß , dachte sich Moritz. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte sich Elisabeths Verabredung noch nicht einmal gemeldet. Ihm war aufgefallen, dass sie die ganze Zeit den Nachrichteneingang überprüft hatte. Er war neugierig geworden. »Mal unter uns, es geht mich ja eigentlich nichts an, aber auf wen zur Hölle haben Sie da drin gewartet?«
»Mag sein, dass in Sebastian, auf den ich gewartet habe, etwas Diabolisches schlummert, aber ich werde es nie erfahren. Für Versetzen ohne gute Erklärung gibt es keine zweite Chance.«
»So, so. Sebastian«, murmelte er. »Sagen Sie mal, das hier ist doch meilenweit außerhalb Ihres Reviers, oder!?«
»Ja? Ich wusste bis gerade nicht, dass ich ein Revier habe. Offenbar wildere ich in Ihrem?« Ihr Augenaufschlag hatte etwas eindeutig Flirtives. Wieder fragte sie sich, was sie da tat und ertappte sich, dass sie ihn musterte. Nun ja, Moritz ist eigentlich nicht zu verachten. Groß, sportlich, dunkles Haar und diese sehnsuchtsvollen, grau-blauen Augen. Wären da nicht sein übertrieben loses Mundwerk und diese Egomanie . Aber irgendwie ist er auch witzig und ... Stop. Das ist Moritz! Moritz Machoman Fürst. Beherrsch dich, Frau Schmidt!
»Na ja, so weit ab vom Schuss ... Sie wollen doch nur sichergehen, dass Ihr Mann nichts von Ihren Heimlichkeiten mitbekommt!«, hielt er fest.
»Moritz, ich habe keine Heimlichkeiten. Mein Mann ist vor fünf Monaten verstorben und ich hätte heute das erste Date seitdem gehabt.« Sie Arsch,
wollte sie noch angefügt haben, aber das wäre unfair gewesen. Woher sollte er es auch wissen?
»Oh.« Er wandte sich ihr zu und sah sie ernst an. »Es tut mir leid, das zu hören. Verzeihen Sie mir meine Gemeinheit von gerade, bitte.«
»Schon in Ordnung. Sie hatten keinen Grund, mich anders zu behandeln als sonst auch. Und ich bin offen gestanden froh, wenn ich nicht ständig bemitleidet werde.«
Moritz schmunzelte, was Elisabeth wiederum verblüffte.
»Ich weiß genau, was Sie meinen.«
»Wissen Sie?« Elisabeth war skeptisch. Familienprobleme hin oder her, in diesem Punkt wusste sie von Moritz zu wenig, als dass sie seine Aussage hätte einordnen können. »Sie sprechen in Rätseln. Was genau meinen Sie?«
»Ich weiß, dass es unhöflich ist, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, doch bevor ich Sie erhelle, wüsste ich gern noch etwas von Ihnen.«
»Bitte ... Fragen Sie.« Elisabeth war zu neugierig geworden, sie konnte Geheimnisse und Überraschungen auf den Tod nicht ausstehen und hätte ihm daher so ziemlich jede Frage beantwortet.
»Was hatten Sie und dieser geheimnisvolle treulose Sebastian hier vor?«
»Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Nach der Party bei meiner Freundin, wo wir uns kennengelernt haben, haben wir ein paar Mal geschrieben und zweimal telefoniert. Er hat dann gefragt, ob wir uns hier treffen wollen, er würde mir gern etwas zeigen. Ich werde wohl nie erfahren, was es hier zu sehen gibt.«
»Hm. Abgesehen von Schloss Eschberg und dem Museum, der Altstadt, dem Kino oder dem Wald gibt es hier hauptsächlich Ruhe und Beschaulichkeit. Und eine Shoppinggalerie. Weltstadt Eschberg ...«
Elisabeth lachte. »Das Schloss kenne ich ganz gut. Ich war mehrmals hier zu Ausstellungen und ich habe mit meiner Freundin ein paar Wellness-Wochenenden im Schlosshotel verbracht. Dabei habe ich auch die Umgebung ein bisschen kennengelernt, also was das Sightseeing angeht, werde ich heute Abend wohl nichts verpassen. Und was Sebastian betrifft ...«, seufzte sie, »da wohl auch nicht.«
Moritz sah sie an und lachte. »Ich scheine vergessen zu haben, wie pragmatisch Sie sind ...«
Elisabeth runzelte die Stirn. »Weichen Sie der Antwort aus, die Sie mir schulden?«
»Nein, das war keineswegs meine Absicht. Ich weiß leider zu genau was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass Sie das Mitleid satthaben. Ich habe vor etwas mehr einem halben Jahr meine Frau verloren, sie hatte einen inoperablen Gehirntumor; von der Diagnose bis zum Tod blieben ihr vier Wochen.«
»Oh ... Das wusste ich nicht. Es tut mir leid für Ihren Verlust.«
Betreten sah sie ihn an. Sie standen immer noch vor dem Café. Die Sonne streifte zwar schon den Horizont, aber spendete an diesem frühen Juniabend ein märchenhaftes Licht und einen ersten Anflug der Wärme des nahenden Sommers. Moritz reagierte nicht direkt auf ihren letzten Satz, er sah sie nachdenklich an, keinesfalls böse oder abwertend. Eher abwartend.
Elisabeth ergriff das Wort. »Bevor Sie fragen; ich werde das Gespräch hier für mich behalten. Auch wenn in der Firma die wildesten Gerüchte kursieren.«
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