Verschmitzt grinsend sah er sie an. »Top Gun. Einer meiner Lieblingsfilme. Lass uns lieber fahren, sonst ändere ich die Abendplanung tatsächlich ...«
»Oh, oh ... dann aber schnell jetzt.«
Lachend stiegen sie ein. Während der kurzen Fahrt zur Skihalle nahm Moritz immer wieder Elisabeths Hand und küsste sie darauf. Ohne, dass sie ihn danach gefragt hatte, begann er zu erzählen. Dass er in der Firma gekündigt hatte, um für Danielle da zu sein. Niemand hatte geahnt, dass die Krankheit so tragisch verlaufen würde. Moritz sprach, ähnlich wie Elisabeth, wenn sie über Jans Tod redete, in kurzen, beinahe gelassenen Sätzen. Ein wenig melancholisch wurde er, als er jedoch erläuterte, was nach der Trauerfeier passiert war. Danielles Chef hatte ihn angerufen und um ein Gespräch gebeten. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die beiden seit über einem Jahr ein Verhältnis gehabt hatten. Danielle war Amerikanerin und hatte Moritz ziemlich schnell nach ihrem Kennenlernen geheiratet, um ihre Aufenthaltsberechtigung nicht zu verlieren.
Mit Peter war sie schon zwei Jahre vor Moritz zusammen gewesen, eigentlich sollte ihr Aufenthalt in Deutschland eine Beziehungspause sein, offenbar hatte sie es aber nicht ohne ihn ausgehalten und versprochen, dafür zu sorgen, dass er nach Deutschland kommen könnte. Peter kam dann zunächst mit einem Arbeitsvisum nach, wurde in der Klinik sogar ihr Chef und damit begann ihr Doppelleben. Anderthalb Jahre waren Moritz und Danielle verheiratet gewesen. Als Krankenschwester hatte sie Schichtdienst gearbeitet, er war häufig lange in der Firma geblieben.
Zeitweise hatten sie sich wenig gesehen, ihm wäre jedoch nie in den Sinn gekommen, dass es Danielle gestört hatte. Warum, wurde ihm klar, als Peter seine Offenbarung geleistet hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Moritz hatte es kaum fassen können, bis Peter ihm schlussendlich als Beweis Bilder von sich und Danielle vorlegte und das Ganze auch noch toppte, indem er Moritz Dokumente zeigte, die belegten, dass Danielle bereits einen Anwalt mit der Scheidung beauftragt hatte.
Seine Frau hatte ihn also belogen und betrogen. Das im Nachhinein zu erfahren hatte ihn noch mehr erschüttert, als ihr Tod. Ihm wurde umso schmerzlicher bewusst, wie sehr er sich in ihr getäuscht hatte. Dass für ihn eine Welt zusammengebrochen war, konnte Elisabeth nur allzu gut nachvollziehen; zu dem plötzlichen Verlust gesellte sich bei Moritz noch der nachträgliche Tiefschlag. Sich danach neu zu orientieren war eine Herausforderung.
Moritz hatte dann einen neuen Job angefangen, kleines Unternehmen, Risikobewertung und -steuerung, ein bisschen Verantwortung, aber irgendwie nicht das, was ihn langfristig reizte. Dennoch war er für den Moment zufrieden, das Gehalt war okay, er konnte sich die Arbeit einigermaßen frei einteilen und hatte einen kurzen Weg ins Büro. Irgendwann würde er wieder etwas anderes machen, aber über das Wann und Wie wollte er sich noch keine Gedanken machen.
Die Skihalle war nahezu leer, es war kurz nach sieben, als sie auf dem Plateau die Boards anschnallten. Moritz stand ihr gegenüber und fuhr auf Elisabeth zu.
»Du fährst goofy?«
Ihm war nicht aufgefallen, dass ihre Bindung konträr zu seiner auf das Board geschraubt war. Jetzt wo sie stand, war aber zu erkennen, dass sie mit dem rechten Bein vorne stand. Ungewöhnlich.
»Ja. Schlimm? Kannst du nicht mit einer Frau den Abend verbringen, die zwar mit beiden Beinen fest auf dem Board steht, aber eben nicht ›regular‹ ist?« Sie kräuselte die Nase.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber ich würde gerne.«
Er fuhr dicht an sie heran und neigte sich vor, um sie zu küssen, allerdings waren die Snowboardhelme im Weg und Moritz traf nur ihre Nasenspitze.
»Na, das üben wir aber noch mal, Herr Fürst«, lachte Elisabeth und knuffte ihn in die Seite.
Moritz hob die Augenbraue und schmunzelte. »Frau Schmidt, ich muss mich dringend noch mal mit Ihrem Chef unterhalten, Sie sind ziemlich aufmüpfig in der letzten Zeit ...«
»Wer als Letzter unten ist, ist ein Verlierer und bekommt das L für Loser auf den Helm geklebt!«, rief Elisabeth, machte einen Sprung mit dem Board und fuhr los. Die Piste war frei und sie konnte in kurzen Schwüngen nahezu direkt hinunterfahren. Aber Moritz war schnell und beherrschte sein Board ziemlich gut, ihr Vorsprung schmolz dahin. Nahezu gleichzeitig schossen sie über die Ziellinie und schnallten die Boards für den Rücktransport nach oben wieder ab.
»Wenn mich nicht alles täuscht, waren wir zeitgleich unten!?«, fragte Moritz. Sein Gesicht war leicht gerötet von der Kälte und er grinste sie an.
»Hm, deine Nose war eher über der Ziellinie, dein Board ist zwar länger als meins, aber soweit ich weiß, ist das kein Kriterium. Das L bekomme dann heute wohl ich.« Die Resignation in ihrem Ausdruck war mehr gespielt als von wahrer Natur. Dennoch ärgerte es Elisabeth, dass Moritz ihr offenbar so minimal überlegen war. Auf dem Transportband nahm er den Helm ab, befestigte ihn an seinem Board und legte beides auf das Band, um dann die wenigen Schritte zu Elisabeth aufzusteigen. »Wir haben jetzt knapp fünf Minuten Zeit ...«
Sie hielt ihr Board im Arm, sah ihn an und wackelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Du weißt schon, dass du dein Board nicht allein lassen solltest?«
»Ja. Ich weiß aber auch, dass ich dich nicht allein lassen sollte ...«
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und legte auch ihr Board ab.
»So, so. Woher weißt du das?«
»Na ja, wissen wäre zu viel gesagt, ich habe da so eine Vermutung ... Du warst verdammt schnell gerade, ich hatte Mühe, dich einzuholen.«
»Hör auf, mir zu schmeicheln! Ich fahre zwar seit einer Ewigkeit Snowboard, aber nicht besonders gut ... Mein letzter Snowboardlehrer meinte, ich hätte einen verdammt miesen Fahrstil und sollte froh sein, dass es in Flensburg keine Punkte für schlechtes Boarden gibt.«
In diesem Moment hielt, wie so häufig, das Transportband an.
Für gewöhnlich war bei laufendem Band die Geräuschkulisse so laut, dass man die Musik aus den Boxen darüber kaum wahrnahm. Jetzt war es still, Elisabeth horchte auf, es lief »Right here waiting« von Richard Marx.
»Steinalt, aber wunderschön«, schmunzelte Moritz. »Aber gut. Dann keine Schmeichelei ...« Er blickte ihr tief in die Augen, in der Klarheit seiner grau-blauen Iris war Elisabeth innerhalb eines Sekundenbruchteils versunken. Als er sie zu sich heranzog, schlug ihr Herz schneller. Wieder berührten sich ihre Lippen, diesmal jedoch durften sie endlich ungehindert miteinander spielen und sich necken. Elisabeth verspürte plötzlich einen Anflug von Erregung und ließ sich von Moritz’ liebevoller Hingabe mitreißen. Sie erwiderte die Leidenschaft und die Zuneigung, die sie überkam und vergaß die Welt um sich herum.
»Achtung, das Förderband startet jetzt.«
Geweckt von der Durchsage ließen sie kurz voneinander ab, das Band ruckelte auf und zog sie dann wieder gemächlich den Anstieg hoch.
»Seltsamer Ort für einen so schönen ersten Kuss ...« Moritz klang fast entschuldigend.
»Hm ... Besser als ein schöner Ort für einen seltsamen ersten Kuss ...« Elisabeth fragte sich, ob sie noch ganz bei Verstand war. »Was rede ich da? Du machst mich ganz wirr.«
»Immer wieder gern ...«, grinste Moritz frech und küsste sie dafür umso sanfter.
Der Ausstieg war stark vereist und sie rutschten auf den ausgelegten Gummimatten weg. Moritz konnte sich gerade noch fangen, aber Elisabeth schlug es mitsamt Board zu Boden. Sie fiel auf das linke Knie, ihr Brett schlug ihr gegen den Helm und den Unterarm. Moritz warf sein Board in den Schnee und half ihr auf.
»Hast du dir sehr wehgetan?«
»Mein Knie schmerzt höllisch, um bei unserem Leitmotiv zu bleiben ...« Sie stapfte durch den Schnee an den Rand der Piste, um den Ausstieg nicht zu blockieren. Den Helm legte sie beiseite und zog die Handschuhe aus.
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