»Danke dafür. Ich bin aber unterrichtet. Dr. Bruckmann ist quasi meine Verbindung zur Alten Welt. Ich habe ihn gebeten, nichts dazu zu sagen. Schon interessant, was die Leute so erzählen.«
»Dr. Bruckmann ist eingeweiht?«
»Ja. Er war der Einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Wir kennen uns besser, als es scheint, aber das ist nichts, was jetzt hierher gehört.«
»Verstehe. Moritz, ich will Sie nicht länger belästigen, ich werde jetzt nach Hause fahren und diesen Tag so schnell es geht vergessen.«
Elisabeth war ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass Moritz und ihr Chef unter einer Decke steckten. In der Firma waren sie wie Feuer und Wasser gewesen. Dr. Bruckmann hatte Elisabeth immer wieder darauf angesetzt, Moritz’ Arbeit streng zu kontrollieren und auch in der letzten gemeinsamen Jahrespräsentation hatte es wieder harsche Kritik gehagelt.
»Schade. Ich dachte, dass wir noch mal reingehen würden und unser Gespräch in Ruhe und etwas bequemer weiterführen könnten.«
Elisabeth sah Moritz verwirrt an, er war leicht errötet um die Wangen, blickte beinahe scheu zu ihr hinüber und trat von einem Bein auf das andere. »Bitte wie? Wer sind Sie und was haben Sie mit Moritz Fürst gemacht?«
»Elisabeth, ich weiß, dass das irgendwie seltsam ist, aber ich habe bisher mit niemandem über meinen Ausstieg gesprochen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern mein Schweigen brechen und den miesen Start, den wir heute … und … generell hatten, irgendwie noch ausbügeln.«
»Hm ...« Elisabeth grübelte. Sie sah Moritz von der Seite an. Ohne seine Maßanzüge, nur in Jeans und Shirt, wirkte er so normal und das Nachdenkliche in seiner Stimme ließ ihn beinahe verletzlich erscheinen. Hätte sie heute früh jemand nach einer treffenden Beschreibung für Moritz Fürst gefragt, hätten ihr zwei Worte gereicht: Patrick Bateman. »American Psycho«. In Bret Easton Ellis’ Roman und der gleichnamigen Verfilmung ein Psychopath mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, mutmaßlicher Killer. Niemand, mit dem man spaßte. Jetzt jedoch war sie gleichermaßen verunsichert wie neugierig. Die unbekannte Seite an Moritz hatte ihr Interesse geweckt.
»Wollen Sie oder nicht?«
»Sorry, ich hatte gerade eine etwas längere Leitung. Ja, gern sogar.«
Moritz blinzelte ihr zu und lächelte.
Oh, er kann ja lächeln ... und wie ... oh-oh ...
Er hielt ihr die Tür auf und berührte sie beim Hineingehen leicht an der Schulter. Diesmal steuerten sie auf einen Tisch am anderen Ende des Cafés zu, vor dem Kamin mit Blick Richtung Marktplatz. Elisabeth vermied es, ihm direkt in die Augen zu sehen, die Berührung an der Schulter war unerwartet gewesen. Zu lang, um zufällig geschehen zu sein, aber zu vorsichtig, um sie als übergriffig aufzufassen.
Im Stuhl zurückgelehnt sah Moritz Elisabeth an. Ihre braunen Augen strahlten eine Wärme aus, die er nie an ihr wahrgenommen hatte, sie wirkte dennoch ein wenig reserviert. Ob sie es ihm übelnahm, dass er sie gerade berührt hatte? Es gab für ihn eigentlich keine Veranlassung dazu, sie anzufassen. Außerdem hätte er sie gestern noch, wenn man ihn nach einem Vergleich zu ihr gefragt hätte, als Fräulein Rottenmeier bezeichnet. Das strenge Kindermädchen aus Heidi, welches größten Wert auf Etikette und Bildung legte. Moritz hatte instinktiv gehandelt; er konnte nicht erklären, warum er ihr nähergekommen war. Wenn es ihr unangenehm gewesen wäre, hätte sie mich zurechtgewiesen, oder? Er wurde noch nicht so recht schlau aus ihr.
Elisabeth nippte an ihrem Kaffee, Moritz hatte sich ein Ginger Ale geordert und beugte sich ein wenig zu ihr vor.
»Elisabeth ...«
»Hm?« Sie sah immer noch aus, als würde sich gleich die Chinesische Mauer um sie herum als Schutzwall auftun.
»Können wir uns vielleicht duzen? Ich meine, wir sind nicht mehr in der Firma, es ist Freitagabend und wir haben gerade angefangen, eine nette Ebene zur Kommunikation zu finden ...«
»So ... Haben wir das?« Natürlich fand Elisabeth es albern, sich zu siezen, Moritz war nur knapp vier Jahre älter als sie und schon in der Firma hätte nichts dagegen gesprochen. Nur wollte sie ihn noch ein wenig aus der Reserve locken. »Für wie lange denn?«
»Was für eine Frage ...« Moritz lachte. »Elisabeth, du bist niedlich. Eigentlich dachte ich, dass das dann für immer gilt. Wir können aber auch gern erst mal nur für heute Abend vereinbaren.« Er wunderte sich tatsächlich ob der Frage nach dem »wie lange«, konnte sich aber ausmalen, dass Elisabeth einmal mehr von ihrer misstrauischen Ader gepackt worden war und sie deshalb dem freundschaftlichen Ton zynisch begegnete.
»Niedlich? Du irrst dich, Moritz. Ich bin alles andere als niedlich. Aber lassen wir das. Ich frage mich die ganze Zeit schon, was dich heute hierhergeführt hat.« Nachdrückliches Lächeln. Auffordernde Handbewegung. Zwinkern.
Moritz schmunzelte. »Das ist ganz einfach. Ich habe der Dame an der Bar gesagt, sie möchte mich bitte immer dann informieren, wenn eine nette junge Frau das Lokal betritt, die offensichtlich nicht vergeben ist und mein Interesse wecken könnte.«
»Schon klar«, lachte sie. »Und jetzt bitte die Wahrheit.« Trotz eines Kopfschüttelns über seine misslungene Lüge blieb bei ihr ein gewisses warmes Gefühl zurück. Wollte er ernsthaft damit sagen, dass sie, losgelöst von allen bisherigen Erfahrungen miteinander, für ihn eine nette junge Frau war, die sein Interesse wecken könnte? Nein. Oder doch?
Das Bild von Moritz veränderte sich vor ihrem inneren Auge beständig und immer wieder drängelte sich seine warme, sanfte Berührung ihrer Schulter dazwischen. In diesem Moment fiel ihr zum ersten Mal auf, dass Moritz’ begehrenswerter Mund an diesem Abend bereits häufiger gelacht hatte, als in allen anderen Situationen zuvor zusammengenommen. Begehrenswert!? Seit wann ... heieiei ... ja, begehrenswert!
»Was soll ich sagen ... Ich wohne nur unweit von hier, hatte Langeweile und heute Abend frei. Ich wollte in Ruhe die Zeitung lesen und entspannt überlegen, was ich noch machen könnte. Aber dann kam mir quasi der Teufel in Prada dazwischen.«
»Erstens trage ich kein Prada; nicht an einem Freitag zu einem ersten Date. Zweitens kam ich dir nicht dazwischen, sondern höchstens in den Weg. Dazwischen hieße ja, dass du deinen ursprünglichen Plan wieder aufgenommen hast.«
»Hm. Bisher habe ich deine Klugscheißerei immer gehasst. Jetzt finde ich das irgendwie – ja, ich bleibe bei niedlich.« Er wusste, dass die Bezeichnung »niedlich« sie provozieren würde.
»Gut. Dann findest du mich halt niedlich. Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Sie begann, den Spieß umzudrehen. Necken konnte sie auch. Mal sehen, wie weit Moritz mitging.
»Fein. Dann lass dir gesagt sein, dass du mit zweitens falsch lagst. Ich überlege tatsächlich wieder, wie dieser Abend weitergehen könnte.«
»Hmmm. Okay. Punkt für dich. Aber eigentlich hast du mir vor der Tür gerade suggeriert, dass du reden wolltest. Das klang nach einem fertigen Plan.«
»Markus kann froh sein, dass er dich hat. So muss er nicht alle Haare auf meinem Kopf alleine spalten.«
»Markus? Du meinst Dr. Bruckmann?« Elisabeth wurde hellhörig. Moritz hatte ja angedeutet, dass er und ihr Chef sich besser kannten – es wurde interessant.
»Ja. Komisch, dass ihr euch immer noch siezt. Ich wette, Markus mag dich, bewundert dich ...«
»Bitte? Wie meinst du das? Wenn dem so wäre, würde er mich ja wohl eher duzen als nicht. Oder?«
»Hmmm. Markus ist da etwas komplizierter gestrickt. Wenn ihn eine Frau wirklich fasziniert, hält er sie auf Distanz, bis er sich sicher ist, wie er damit umgehen soll.«
»Weiß er, dass du so von ihm redest?« Elisabeth fragte sich die ganze Zeit, ob und wie sie die Vertrautheit zwischen den beiden Männern übersehen haben konnte, wenn es sie denn gab. Eigentlich galt sie als sehr empathisch, ein derartiges Kulissenspiel hätte ihr auffallen müssen.
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