»Wie lange?«, wollte ich wissen und irgendwie ahnte ich schon, dass mir die Antwort darauf nicht gefallen würde.
»Lange genug um deine Sucht nach Fusel vollständig zu kurieren«, lautete dann auch die erschreckende Prognose des Sheriffs. »Der Friedensrichter kommt in drei Wochen und wird dann entscheiden, was mit dir passieren soll. So lange bist du auf jeden Fall unser Gast.«
Bei dem Gedanken daran, mindestens drei Wochen auf dem Trockenen zu sitzen, befiel mich ein leichtes Gefühl der Panik. Auch die Aussicht auf regelmäßige, kostenlose Mahlzeiten konnte dieses Gefühl nicht schmälern. Zwar ließ Sheriff McHardy manchmal mit sich reden – ganz im Gegensatz zu seinem fiesen Deputy –, doch es würde einiges an Überzeugungskraft kosten, ihm den ein oder anderen Schluck Whisky abzuschwatzen.
Trübe Aussichten also, mit denen ich mich auf die Pritsche niederlegte, um mir und Elsa die dringend benötigte Ruhe zu gönnen. Unter gleichmäßig abnehmendem Pochen in meinen Schläfen gelang es mir dennoch, langsam in den Schlaf zu gleiten.
Dass die seltsame, super spannende und unbedingt lesenswerte Geschichte, welche ich hier erzählen möchte, bereits in weit entfernten Teilen des Landes ihren Anfang genommen hatte, davon ahnte ich natürlich nichts.
Um jeglicher Klugscheißerei vorzubeugen sei erwähnt, dass ich mir von den meisten Geschehnissen, bei denen ich nicht zugegen war, bis ins kleinste Detail berichten ließ, um sie hier niederschreiben zu können. Den Rest habe ich mir irgendwie zusammengereimt – der geneigte Leser wird damit schon klarkommen.
Während ich in Copperhole schnarchend und verkatert auf einer harten Pritsche lag, lag weit im Osten ein Elf auf noch wesentlich härterem Felsgestein.
Seit Stunden schon verharrte er bäuchlings liegend am Rand eines hoch gelegenen, ausladenden Felsvorsprunges. Von hier aus beobachtete er aufmerksam das Geschehen unter sich, welches in solch großer Entfernung stattfand, dass nur die enorm scharfen Augen eines Elfen Einzelheiten und Details erspähen konnten.
Ungeachtet der Hitze und seiner unbequemen Position würde er noch länger hier ausharren, solange bis ein anderer Elf aus seinem Dorf kommen und seinen Platz als Späher einnehmen würde. So hatte es der Häuptling befohlen und so wurde es auch gemacht.
Die Gebirgskette inmitten der Prärie war ideal für dieses Unterfangen, denn von hier konnte man fast das ganze Gebiet des Moonytoad-Stammes überblicken. Selbiges bestand fast nur aus spärlich bewachsener, ebener Graslandschaft und erstreckte sich fast bis zum Seven-Hills-Gebirge, weit im Westen.
Viele Generationen lang hatte es hier, außer den Moonytoads, nur Bisons, Koyoten und irgendwelche Reptilien gegeben. Doch seit einigen Wochen tummelten sich hier Wesen, die seit jeher das Misstrauen und Argwohn eines jeden Elfen weckten. Menschen und Zwerge waren es, die das Land zu Tausenden mit ihrer Anwesenheit besudelten. Mit Pferdewagen waren sie gekommen, so schwer mit Holz, Metall und Werkzeug beladen, dass ihre Räder tiefe Narben in der Erde hinterlassen hatten. Dann hatten sie ihre Lager aufgeschlagen, Unterkünfte für Arbeiter sowie Stauräume für Unmengen an Material gebaut. Um die Versorgung mit ausreichend Wasser zu gewährleisten, hatten sie tiefe Brunnen in den Boden getrieben. So war das Camp schon bald zu einer kleinen Siedlung aus Zelten, Hütten und anderen Holzkonstruktionen herangewachsen.
Doch das war nur der Anfang ihrer Verbrechen gewesen, die sie in den Augen der Elfen an der Natur begingen. Sie malträtierten den Boden mit Spitzhacken und Schaufeln, sprengten Felsen, die ihnen im Weg waren und formten das Land rücksichtslos nach ihren Bedürfnissen. Über viele hundert Meilen hinweg verunstalteten Sie das Antlitz der Steppe mit dem, was Sie Bahnschienen nannten und all das geschah nur, damit das metallene Monstrum namens Eisenbahn in naher Zukunft durch die Prärie würde fahren und sich regelmäßig würde verspäten können.
Dass dies ungestört im Land der Elfen geschehen durfte, war Inhalt des Friedensvertrages, welchen man den Elfen nach ihrer Niederlage im großen Krieg aufgezwungen hatte. Neben weiten Teilen ihres Landes hatte man allen Stämmen das Einverständnis abgepresst, die Eisenbahnlinie unbehelligt durch das ihnen noch verbliebene Land bauen zu dürfen. Ansonsten hätte es keinen Frieden zwischen den Elfen und der Allianz aus Zwergen und Menschen gegeben.
Dass sich diese Wesen unbeobachtet in ihrem Gebiet bewegen durften, davon stand allerdings nichts in dem Vertrag und deshalb sandten die Moonytoads regelmäßig ihre Späher aus. Diese sollten die Bauarbeiten an den Gleisen beobachten und darüber wachen, dass die unerwünschten Eindringlinge eben jenem Gebirgszug nicht zu nahe kamen, in dessen Höhen die Späher ihren Posten bezogen hatten.
Tief unter diesen Bergen nämlich – die Elfen nannten sie die Säulen der Unvergänglichkeit – befand sich das bedeutsamste Heiligtum der gesamten elfischen Rasse. Hinter einem magisch versiegelten Tor, in einem gigantischen Labyrinth aus Höhlen, Gängen und Tunneln, lagen hier die Grabstätten der Ältesten verborgen, den Urahnen und Gründern aller Stämme Avaritias. So was von dermaßen total uneingeschränkt absolut heilig und unantastbar waren diese Gräber, dass kein lebendes Wesen ihrer je ansichtig werden durfte. Nicht einmal den einflussreichsten Häuptlingen oder Schamanen der Elfen war es gestattet, diese Höhlen zu betreten.
Von den mannigfaltigen Mysterien, Wundern und Gefahren dieses in finsteren Tiefen schlummernden Heiligtums wurde in den alten Schriftrollen berichtet. Doch auch diese wurden von uralten, weisen Männern gehütet, als seien sie ein Teil ihrer selbst. Wer diese Männer waren und wo sie die Schriftrollen verborgen hielten, das war – wer hätte das gedacht – ein total uneingeschränkt absolut geheimes Geheimnis.
Über die Säulen der Unvergänglichkeit zu wachen, dazu waren deshalb nur die angesehensten und besten Krieger des Moonytoad-Stammes auserkoren.
Und das waren die Greifenreiter.
Der Elf zog sich, immer noch auf dem Bauch liegend, ein Stück vom Rand des Felsvorsprunges zurück. Dann warf er einen Blick über die Schulter nach hinten. Dort saß sein Greif. Offensichtlich gelangweilt, doch artig dem Befehl seines Herren folgend, verhielt er sich ruhig und regte sich kaum. Nur hin und wieder gähnte er ausgiebig und fuhr sich mit einer seiner Vorderpfoten über Augen und Schnabel, was trotz seiner enormen Größe beinahe possierlich wirkte.
Der Elf lächelte. Er liebte dieses prächtige Tier von ganzem Herzen. Eine tiefgehende, nahezu mystische Verbindung mit dem Greifen hatte der Elf bereits empfunden, noch bevor dieser das Licht dieser Welt erblickt hatte. Schon als er das Griffogotchi – so die Bezeichnung der Elfen für Greifeneier – vor langer Zeit das erste mal in Händen gehalten hatte, waren in ihm diese Gefühle erwacht. Den Greifen großzuziehen und aus ihm ein folgsames Reittier zu machen, war ihm aufgrund dessen auch ungewöhnlich leicht gefallen und mithilfe seines gefiederten Gefährten hatte er vor einigen Jahren den Rang des Greifenreiters erlangt. Ein strenges, langwieriges Auswahlverfahren hatten sie gemeinsam überstehen müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Denn nicht jeder Elf, der einen Greif besaß, durfte diesen Titel tragen.
Der Stamm der Moonytoads sucht den nächsten Greifenreiter – so lautete die traditionelle Bezeichnung dieses althergebrachten Verfahrens, in dem alle Anwärter eine Vielzahl schwieriger Aufgaben zu bewältigen hatten. Vier Stammesältere beurteilten anschließend die Leistungen eines jeden Prüflings. Sie entschieden darüber, wer qualifiziert genug war, um in die Endrunde zu kommen. In dieser wählten sämtliche Stammesmitglieder, Männer, Frauen und auch Kinder, schließlich den fähigsten Elfenkrieger unter den Bewerbern aus. Natürlich spielte bei dieser Wahl auch die Beliebtheit des Kandidaten eine Rolle - vor allem die jungen Squaws ließen sich eher vom Aussehen als von den Fähigkeiten selbiger beeinflussen.
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