Dass meine zwei Begleiter all dem keinerlei Beachtung schenkten, stimmte mich zusätzlich misstrauisch. Ich entschloss mich deshalb spontan dazu, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen. Selbst unbewaffnet wollte ich mich den unbekannten Herausforderungen stellen.
»Was ist hier los?«, wollte ich wissen. »Warum ist das Kaff wie ausgestorben?«
»Weil es Sonntagmorgen ist, du Trottel«, enträtselte Ombringer dieses Geheimnis unerwartet schnell. »Wahrscheinlich der erste, den du nicht verpennst.«
Mit einem Stoß in den Rücken machte er mir klar, dass ich mich endlich in Bewegung setzen sollte und so marschierten wir drei nach Norden, in Richtung Sheriffbüro, los.
Die wenigen braven Bürger, denen wir unterwegs begegneten, bedachten mich mit abwertenden Blicken und dem Schütteln ihrer biederen, rechtschaffenen Häupter, in denen es, meiner Meinung nach, schrecklich tugendhaft und öde zugehen musste. Vermutlich erweckte mein wenig adretter Kleidungsstil und der augenscheinliche Umstand, dass ich gerade abgeführt wurde, ihre Missbilligung. Ähnliche Reaktionen auf meinen Anblick war ich allerdings schon gewohnt. Wie immer erwiderte ich diese mit einem freundlichen Ihr - könnt - mich - mal -Lächeln, das von Herzen kam.
»Hast du schon meine neue Knarre gesehen?«, fragte der Sheriff nach einer Weile, in der wir schweigend nebeneinander hergegangen waren. Mit stolzgeschwellter Brust hielt er mir sein Gewehr unter die Nase. »Ist ein echtes iRifle von Peach – war verflucht teuer und ich musste eine Ewigkeit beim Waffenhändler dafür anstehen.«
Mit einem kurzen Schulterzucken tat ich mein Desinteresse kund. »Muss ich nicht haben. Da bezahlt man doch nur den Namen. Andere, preiswertere Gewehre haben die gleichen Funktionen und seltener Ladehemmungen.«
Meine Meinung enttäuschte McHardy offensichtlich.
»Du hast doch keine Ahnung, Large!« Schmollend ließ er sein Gewehr wieder sinken. »Du warst zwar in der Army, hast aber trotzdem keine Ahnung! Ein Revolverheld der keine Ahnung von guten Gewehren hat – unglaublich!«
Sein Deputy stieß ein verächtliches Schnaufen aus »Revolverheld? Der Suffkopp? Der hat seine Kanone doch das letzte mal im Krieg benutzt und das ist Jahre her.«
Zu meinem großen Bedauern musste ich dem Widerling in diesem Punkt Recht geben. Seit ich aus der Army zurück in meine Heimatstadt gekommen war, hatten sich keinerlei Gelegenheiten ergeben, mir meinen Lebensunterhalt mit dem Revolver zu verdienen. In ganz Copperhole gab es keinen Bedarf an professionellen, mietbaren Schützen. Bewaffnete Auseinandersetzungen gab es kaum und weder die Kupferminen noch die Wagentrecks, welche das Kupfer aus der Stadt brachten, waren hochwertig oder bedeutend genug, um bewacht werden zu müssen.
Meine außergewöhnliche Begabung im Umgang mit Schusswaffen blieb daher völlig ungenutzt an diesem viel zu friedvollen Ort. Dabei machte mich dieses einzigartige Talent – ohne Übertreibung – zu dem wohl besten Schützen in ganz Avaritia. Entdeckt hatte ich diese Fähigkeit erst nach meinem Eintritt in die Army, da ich nie zuvor eine Waffe in den Händen gehalten hatte. Sie ermöglichte es mir, egal mit welcher Schusswaffe, immer mein Ziel zu treffen, egal ob ich nüchtern war oder volltrunken und egal unter welchen Umständen. Mühe musste ich mir dabei keine geben, konzentrieren musste ich mich auch nicht und geübt hatte ich es erst recht noch nie. Ich musste einfach nur daran denken, etwas oder jemanden zu treffen. Fast zeitgleich mit dem Beenden dieses Gedankens war es dann auch schon passiert. All dies geschah automatisch, ohne mein Zutun und oft schon hatte ich hinterher verwundert auf meine Waffe geblickt, ohne mich daran erinnern zu können, wie ich sie gezogen und abgefeuert hatte.
Im Krieg war mir dieses Talent natürlich sehr gelegen gekommen und es hatte mir viel Anerkennung und Bewunderung eingebracht. Aufgrund meines ausgeprägten Problems mit Autoritäten – wahrscheinlich bedingt durch das Fehlen einer Vaterfigur während meiner Kindheit...Bla Bla Bla – und meinem Unvermögen, auch mal die große Klappe zu halten, hatte ich es in der militärischen Hierarchie dennoch nicht sehr weit gebracht. Als mittelloser Ex-Private war ich bei Kriegsende nach Copperhole zurückgekehrt, mit wenig Glanz und ganz ohne Gloria.
Meine finanzielle Situation konnte man deshalb getrost als katastrophal bezeichnen, zumal ich die paar Dollars, welche ich mir borgte, erschnorrte oder mit irgendwelchen Handlangerjobs erarbeitete, umgehend wieder in die lokale Wirtschaft oder besser gesagt den örtlichen Saloon investierte.
»So kann es mit dir nicht weitergehen«, bemerkte McHardy, so als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich glaubte sogar, eine gewisse Besorgnis aus seiner Stimme heraushören zu können. »Du brauchst endlich einen vernünftigen Job. Warum arbeitest du nicht in den Minen, so wie die meisten anderen Zwerge auch?«
Eigentlich verspürte ich überhaupt keine Lust, solch eine Diskussion zu führen. Ich war voll und ganz damit beschäftigt, Elsas Tanzwut zu zügeln.
Dennoch antwortete ich wahrheitsgemäß. »Die Stollen sind viel zu niedrig für mich. Außerdem habe ich keinen Schimmer vom Bergbau. Schnell ziehen und immer treffen – das ist es, was ich kann.«
Der Sheriff nickte. »Und das kannst du verdammt gut. Wahrscheinlich bist du der beste Schütze, den ich je gesehen habe, doch hier wirst du damit keinen lausigen Cent verdienen. In den größeren Städten im Osten oder Süden könntest du dir mit deinen Fähigkeiten echt einen Namen als Revolverheld machen, so wie Basilisk Bill oder Doc Gargoyle. Hast du schon mal darüber nachgedacht, von hier fortzugehen?«
Natürlich hatte ich das. Fast jeden Tag war mir dieser Gedanke mindestens fünf Mal durch den Kopf geschossen wie eine Gewehrkugel, während ich meine Zeit mit Saufen und Herumlungern verschwendet hatte. Doch zum einen fühlte ich mich in diesem Kaff trotz allem recht wohl, zum anderen hatten mir der Müßiggang und der regelmäßige Alkoholkonsum einen Großteil meiner Abenteuerlust und Entscheidungsfreudigkeit geraubt. Ich hatte ja noch nicht einmal ein Pferd und ohne die entsprechende Barschaft in die Welt hinauszuziehen, erschien mir ebenfalls nur wenig verlockend.
Ombringer hingegen war von dieser Idee natürlich sehr angetan. »Es wäre das Beste, was dieser Stadt passieren könnte, wenn sich dieser Penner endlich verpissen würde. Zu den verkommenen Menschen im Osten würde dieses lange Elend auch hervorragend passen.«
Ich lächelte ihn an. »Dabei würde ich dich doch so sehr vermissen! Vielleicht ist es sogar dein dämliches, debiles Grinsen, was mich hier hält.«
An dieser Stelle mussten wir unser freundschaftliches Gespräch leider beenden, da wir unser Ziel erreicht hatten, was mir wohl einen weiteren Hieb mit dem Gewehrkolben oder eine andere Aufmerksamkeit des Deputys ersparte.
Das Büro des Sheriffs war eines der wenigen Gebäude in Copperhole, dessen Wände aus massiven Backsteinen bestand. Angesichts der Tatsache, dass sich in ihm auch Arrestzellen befanden, war das auch durchaus sinnvoll. Ansonsten war der Flachbau völlig schmucklos, mal abgesehen von dem uralten Holzschild über der Tür, auf dem in verblichenen Buchstaben Sheriffs Office geschrieben stand.
»Du kennst dich ja hier aus«, bemerkte McHardy, als wir seine Amtsstube betraten. Deren Einrichtung bestand lediglich aus zwei Schreibtischen mit Stühlen, ein paar Regalen und einem üppig gefüllten Waffenschrank. »Also geh schon mal vor, ich schließe gleich hinter dir ab.«
Er entledigte sich seines Hutes und suchte in der Schublade seines Schreibtisches nach den Zellenschlüsseln. Ombringer parkte seinen dicken Hintern indes mit einem zufriedenen Seufzer auf seinem Stuhl.
Ich schlenderte derweil quer durch das Büro in den hinteren Teil des Gebäudes, betrat die mir sehr vertraute Zelle und ließ mich auf die ebenso vertraute Pritsche darin fallen. Wie angekündigt folgte mir McHardy kurz darauf und schloss die Zellentür hinter mir ab.
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