„Wen soll ich sonst meinen? Den Grinch?“ Die Anwältin lachte hölzern auf. Immerhin bewies sie einen guten Filmgeschmack. „Grün genug wären Sie ja. Haben Sie Schiss?“ Mit zwei Schritten war sie am Schreibtisch, richtete ihre Hornbrille und stützte sich schließlich mit beiden Händen am blank polierten Holz auf. Bedrohlich beugte sie sich zu Emma, die ihren Kopf einzog. „Oh ja, Sie haben Schiss“, lag diese Verrückte völlig richtig. „Und wie. Aber keine Angst, Täubchen. Den zerreiße ich in der Luft. Zum Schluss werden Sie nicht nur ein Haus haben, sondern ein sattes Sümmchen nebenbei.“ Mrs. Hart-Divorce richtete sich zur vollen Größe auf und stemmte die Hände in die üppigen Hüften. „Wie ich solche Arschgeigen hasse! Wir Frauen sollen rund um die Uhr schön und perfekt sein. Doch wenn sich die Kerle gehen lassen, Speckbäuche ansetzen und regelmäßig Hochzeitstage sowie Geburtstage vergessen oder sogar fremde Namen beim Sex stöhnen, nennen sie das liebenswerte Marotten . Pah, da wird mir speiübel!“
Ohne Zweifel, diese Frau sprach aus eigener Erfahrung.
„Nun ja, mir wäre eine friedliche Trennung am liebsten, Mrs. Hart-Divorce.“
„Friedlich?“, wiederholte die Anwältin in einer Lautstärke, dass sich die Tauben erhoben und mit heftigen Flügelschlägen das Weite suchten. „Glauben Sie, dass ich mir umsonst diesen Künstlernamen zugelegt habe? Er ist Programm, Prinzessin, und ich habe bereits viele Paare geschieden. Meine Wenigkeit eingeschlossen. Alle Frauen waren überaus zufrieden mit dem Ergebnis. Zumindest die, die auf mein Kommando gehört haben. Die anderen Senkrechtstarterinnen landeten schneller auf dem Boden der Tatsachen, als es ihnen lieb war und besitzen nichts mehr. Nichts. Verstehen Sie?“
Emma nickte heftig. „Nun, vielleicht wäre es einen Versuch wert?“, wagte sie selbst einen.
„Dann haben wir bereits verloren, Prinzessin.“ Diese Frau sah aus wie ein Mann und sprach wie ein Mann. „Nur die Harten kommen in den Garten. Wissen Sie, wie der Spruch weitergeht?“
„Äh … das Böse kommt überall hin?“
Erneut stützte sie sich auf dem Schreibtisch auf. „Genau“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und in dem Fall bin ich das Böse.“
„Okay“, erwiderte Emma mit gezwungenem Lächeln und sprang hoch. „Leider muss ich zu meinem nächsten Termin. Ich melde mich bei Ihnen.“
Die Anwältin zog einen Bleistift aus der orangen Stift-Box neben ihrem PC und schob ihn sich hinter das linke Ohr. „Gar nichts werden Sie. Ich kenne diesen Blick. Höre förmlich die Frage, ob ich etwas taugen würde. Eine Frau in einem Männerkörper, mit einer Stimme, als hätte sie morsche Zahnräder im Kehlkopf. Glauben Sie mir, ich bin die Beste. Weil ich ein Gespür dafür habe, mit welchem Ex man sich einigen kann und mit welchem nicht. Dafür muss ich nur die Vorgeschichte hören. Ihre sagt mir, dass der liebe Brandon alles will. Das Betthäschen, ihr gemeinsames Haus und einige Millionen. Notfalls vom Konto Ihres Vaters. Dafür wird er zu Mitteln greifen, die Sie sich nicht einmal in Ihren kühnsten Albträumen ausmalen könnten. Und den Anfang macht er mit dem Unbekannten, mit dem er Ihnen eine Affäre nachsagen wird, die Sie natürlich vor Brandon hatten. Deswegen wird sich dieser so verkaufen, dass er nur aus Verzweiflung über Ihren Betrug mit dieser Angie ins Bett gestiegen ist. Immerhin waren Sie die Liebe seines Lebens.“
Entsetzt starrte Emma sie an. „Das stimmt hinten und vorne nicht!“
Die Anwältin lächelte mitleidig. „Wir zwei wissen das, und ich glaube Ihnen. Doch tun das auch die anderen, wenn es hart auf hart kommen sollte?“
„Ich schicke Ihnen alle erforderlichen Unterlagen“, entschied Emma in derselben Sekunde. „Bitte übernehmen Sie meinen Fall.“
Ein Siegerlächeln wurde ihr zuteil. Allerdings nicht arrogant, sondern eher, als hätten sie einen Geheimbund geschlossen. „Seien Sie versichert, dass ich die Lage genau checken werde. Wenn ich nur den geringsten Anlass sehe, dass wir in Frieden das Schlachtfeld verlassen können, werde ich Ihren Wunsch berücksichtigen. Wenn nicht, kann man Brandons Reste von einer Mauer kratzen. Und noch etwas, Prinzessin: Kleidung macht zwar Leute“, sie deutete allen Ernstes auf sich selbst, „und der erste Eindruck ist entscheidend, allerdings versteht es nicht jeder, seine Vorzüge hervorzuheben, wie ich es zu tun vermag.“
„Aha.“ Von dem Selbstbewusstsein konnte sie sich ein paar Scheiben abschneiden!
„Höre ich ein Aber heraus?“, stellte die Anwältin eine Gegenfrage, als führe sie ein Kreuzverhör. „Obwohl jeder Einwand lächerlich wäre“, sprach sie umgehend weiter. „Jedenfalls will ich damit sagen, dass Sie in Ordnung sind, Emma. Lassen Sie sich von niemand etwas anderes einreden. Ihr Mann hat scheinbar keine Augen im Kopf. Übrigens wäre es gut, wenn Sie den Unbekannten finden würden. Nur für den Fall der Fälle.“
Emmas Herz klopfte hart gegen die Brust. „Haben Sie vergessen, dass ich seinen Namen nicht kenne?“
Eigentümlich blickte die Anwältin sie an. „Schon gut, wir werden auch ohne ihn auskommen.“
„Das müssen wir wohl“, stotterte Emma und wurde von der Anwältin zum Lift begleitet. Fünf Minuten später trat sie ins Freie und atmete tief durch. Dabei ließ sie ihren Blick über den großen Vorplatz schweifen, der von Hochhäusern umringt war. Einige Bäume zauberten etwas Farbe in das triste Bild. Menschen eilten aus allen Richtungen heran. Mit Aktenkoffern in den Händen, dem Handy am Ohr oder mondän gekleidet, als wären sie auf dem Weg in die Oper. So viele verschiedene Leute, die aneinander vorbeiliefen. Deren Leben sich kurz kreuzten, ohne dass sie sich wahrnahmen. Weil sie alle etwas gemeinsam hatten: Sie wirkten gehetzt.
Bis gestern hätte Emma eine von ihnen sein können. Nicht anders war sie zur Arbeit gegangen. Hatte Einkäufe erledigt oder war nach Hause geeilt. Mit dem Handy am Ohr, weil es immer etwas zu besprechen, zu lösen oder zu beantworten gab. War das wirklich alles, was man vom Leben erwarten durfte? Im Laufschritt durch die Kindheit, im Dauerlauf durch das Erwachsenensein, um schließlich atemlos vor dem Tod zu stehen? Mit dem Blick auf alles, das man sich im Laufe der Zeit erarbeitet hatte. Dennoch mit dem Wissen, dass man nichts mitnehmen konnte, außer Erinnerungen. Und nichts anderes ließ man letzten Endes zurück: Erinnerungen an sich selbst. Stellte sich bloß die Frage, wer sich an sie erinnern würde?
Kurzerhand verscheuchte Emma die düsteren Gedanken und beschloss, bei ihrer Tante Camilla vorbeizuschauen. Viel zu lange hatte sie die Buchhandlung nicht mehr aufgesucht.
Emmas Laune hob sich augenblicklich. Bewusst gemächlich spazierte sie über den Vorplatz und die Seitenstraße entlang, wo ihr roter VW-Käfer parkte. Sie hatte ihn vor dem Besuch bei der Anwältin von Zuhause geholt. Gott sei Dank war Brandon nicht dagewesen, weshalb sie Zeit hatte, einige Sachen zu packen, die nun im Käfer lagen, der aus der Menge stach. Weil er anders war, fast lebendig wirkte, obwohl auch er nur aus Blech bestand. Doch Emma kannte jede Schramme, jede Beule und alle Eigenheiten. Er sprang ungern an, wenn ihm zu kalt war und machte ziemlich viel Krach. Das war ihr anfangs äußerst peinlich gewesen. Inzwischen war sie daran gewöhnt und musste oft an die alte Mrs. Bing denken, die ihr Reddy verkauft hatte. Sehr preisgünstig. Kurz danach war ihre ehemalige Nachbarin gestorben, was Emma sehr nahe gegangen war wie die Beisetzung. Nur zwei alte Freundinnen nahmen daran teil. Verwandte hatte sie scheinbar keine gehabt. Als hätte Emma es geahnt, bat sie den Priester einen Tag zuvor, Mrs. Bing zu Ehren My Way zu spielen. Es war berührend gewesen. Vielleicht hatte es die alte Dame gehört und sich über diese Geste gefreut. Emma hoffte es.
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