Mir fiel dazu keine Antwort ein und deshalb war ich froh, als mein Gastgeber von alleine fortfuhr: „Ach, Tom und die Frauen, das ist so ein leidiges Thema, das meine Frau und mich schon seit seiner Jugendzeit nicht loslässt. Sie sind ihm immer nachgelaufen, schon zu Schulzeiten und das hat sein Ego natürlich noch gestärkt. Es war manchmal wirklich kaum zu ertragen und Tom, nun, du kannst dir denken, dass er nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit war.“ Der alte Rancher grinste. „Das hat er vielleicht von mir – ich war auch ein ziemlich wilder Hund in jungen Jahren. Aber ein Mann wird ruhiger, wenn die ersten Zeichen des Älterwerdens sich nicht länger verheimlichen lassen.“
„Und Tom?“
Mein Gegenüber zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Er redet nie über sich oder seine Gefühle, das macht er immer mit sich selbst aus. Aber ich bin ja schon Gottfroh, dass er sich von dieser schrecklichen Tussi wieder hat scheiden lassen, die er damals anschleppte! Ein entsetzliches Mädchen, jedenfalls in meinen Augen! Absolut nervtötend!“
Die Erinnerung an sie schien ihn noch heute völlig aus der Fassung zu bringen und ich konnte mein Amüsement über seine Reaktion kaum verbergen.
„Sie war eine Schönheitskönigin und gerade mal achtzehn“, erzählte der alte Rancher weiter und vergaß darüber völlig seinen Zigarillo. „Wobei ich anmerken sollte, dass Tom auch nur fünf Jahre älter war, dieser Grünschnabel! Jedenfalls wollte sie hier alles umbauen und eine Ferienranch oder sowas draus machen. Sie hat wohl erwartet, dass Tom irgendwann nachgeben würde, aber da hatte sie sich geschnitten! Und eines Tages, ohne, dass er einer Menschenseele was davon gesagt hätte, war sie fort. Er hat sie in aller Früh zum Flughafen gebracht und nach Hause geschickt! Kannst du dir das vorstellen?“
Ich rief mir Tom McCullough ins Gedächtnis und grinste. „Ja“, sagte ich. „Kann ich mir sehr gut vorstellen!“
Der Rancher lachte leise. „Denke ich mir!“
Wenige Tage später, als ich gerade eine volle Schubkarre vom Stall nach draußen zum Misthof schob, bemerkte ich eine Bewegung auf dem Reitplatz, der sich schräg dahinter befand und ich hielt inne. Der schlanke, langbeinige Hengst, dessen schwarzes Fell bläulich im Schein der Morgensonne glänzte, galoppierte Runde um Runde. Sein Reiter saß sicher im Sattel, jede Bewegung seines Pferdes auf seinen eigenen Körper übertragend, spielerisch, mühelos. Seine Hände schienen keinen Kontakt zu den Zügeln nötig zu haben, er lenkte das Tier lediglich mit seinem Gewicht und unsichtbaren Schenkelhilfen.
Der schwarze Hengst wendete auf der Hinterhand, wirbelte Sand auf, galoppierte weiter, nur um am anderen Ende wieder ruhig und geradezu sanft zu stoppen. Sein Atem ging schnell, seine Ohren hielt er nach hinten gerichtet, auf jede leiseste Aufforderung seines Besitzers achtend. Ein leichter Hauch von Schenkelanlegen genügte und er galoppierte wieder an. Fliegende Wechsel, bei jedem Galoppsprung an der langen Seite der Reitbahn, gefolgt von einer Travesale – einem Seitwärtsgang, ausgeführt im Galopp, den für gewöhnlich nur klassische Dressurreiter beherrschten. Er und sein Hengst, sie konnten es auch, am losen Zügel, scheinbar genauso mühelos wie der ganze Rest, den sie hier zauberten. Es folgte eine Pirouette im Galopp, ebenfalls eine Lektion aus der Dressur, doch bei diesen beiden hier fast noch schöner anzusehen, weil die Anspannung des Reiters und der ständige Druck auf das Pferd fehlte. Der Hengst erfüllte seinem Besitzer einfach den Wunsch, weil dieser wusste, wie er es von ihm abfragen konnte, ohne Rohheit, ohne Gewalt.
Und während ich das Paar Tom McCullough und Wind Chaser dabei beobachtete, wie sie miteinander über den Reitplatz tanzten, wurde mir mit einem Schlag der Unterschied bewusst zwischen dem, was in meiner Heimat unter Westernreiten betrieben wurde und dem, was es tatsächlich war. Diese Vollendung zwischen Pferd und Mensch, die konnte niemand erreichen, der lediglich nach Schleifchen und Pokalen strebte, der nicht bereit war, ebenso viel von sich selbst in die Arbeit einzubringen, als er von seinem Pferd erwartete. Das hier, das war das Werk von eiserner Selbstdisziplin und dem Willen, sich über Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg von den besten Lehrern unterrichten zu lassen, Rückschläge und Kritik immer wieder stoisch zu ertragen, sie als Förderung und nicht als Beleidigung des eigenen Egos anzunehmen.
All das schoss mir durch den Kopf, während meine Augen geradezu hypnotisiert dem Schauspiel folgten, das sich wenige Meter vor mir abspielte. Es gab nicht viele Reiter, die zu solchen Höhenflügen in der Lage waren. Die meisten von ihnen scheiterten irgendwann an ihrer eigenen Eitelkeit. Tom McCullough jedoch war anders, das hatte ich vom ersten Moment an gespürt.
Deshalb war ich Zuhause nie in einen Reitverein oder sonst etwas in dieser Richtung eingetreten: Weil ich diese Einheit zwischen Tier und Mensch dort immer vergeblich gesucht hatte, wohin ich auch schaute und ich war, bei Gott, viel in meinem Land herumgekommen! Die Suche nach Harmonie war erfolglos verlaufen. Ich hatte nichts von dem gefunden, wonach ich strebte und jetzt, so weit fort von Zuhause, von dem gewohnten Reitstall mit seinem Lärm, den engen, miefigen Boxen und der großen Reithalle, in der Pferde mit Sporen traktiert und mit Gerten gefügig gemacht wurden, fand ich in der Wildnis von Amerika einen Mann, der so individuell war wie dieses Land selbst und der die Kunst beherrschte, sein Pferd nicht zum Sklaven, sondern zum Partner zu machen. Oh, könnte er mir doch nur beibringen, ebenso zu reiten!
Obwohl ich mich minutenlang nicht bewegt hatte und meine Arme lahm geworden waren vom Gewicht des vollen Schubkarrens, bemerkte er mich schließlich. Er parierte den schwarzen Hengst zum Schritt durch und ritt zu mir hinüber an den Zaun. Eines dieser Lächeln, die wohl keiner zu deuten vermochte, spielte um seine Lippen: War es Sarkasmus, Spott oder tatsächlich Höflichkeit? Ich traute mir nicht zu, es zu beurteilen als er seinen Hut aus der Stirn schob und sich lässig auf das Horn seines Sattels lehnte.
„Na?“ Nur das, mehr nicht.
„Das war wundervoll“, erwiderte ich nach kurzem Zögern. „Das war mit Abstand das Beste, was ich seit langem gesehen habe.“
Das Lächeln um seine Lippen wurde breiter, die Fältchen um seine Augenwinkel vertieften sich. „Danke.“
Wieder – nur das, keine Silbe mehr. Er ließ den Hengst herumtreten und lenkte ihn in Richtung Tor. Dort stieg er ab, lockerte den Sattelgurt und führte das Pferd hinüber zum Stall, wo beide gleich darauf hinter dem Eck des Gebäudes verschwunden waren.
Heuballen aufschneiden und die Lagen aufzuschütteln, es vor den einzelnen Pferdeboxen für die Abendfütterung bereitzulegen, all das gehörte zu meinen Aufgaben, die ich bis Mittag zu erledigen hatte. Danach half ich weiterhin im Haushalt oder im Garten, putzte Fenster oder reparierte nach einem Gewitter einmal das Dach meines Bunkhouses.
Das Hinaufklettern an der langen, senkrechten Leiter zum Heuboden machte mir nichts aus. Ich mochte den Geruch des getrockneten Grases und den Staub der aufstieg, wenn ich mit der Gabel hineinstach und es auseinanderzuschütteln begann. Dann versprühte es noch mehr seines einzigartigen Geruchs, den ich tief in mir aufsog.
‚Eigentlich‘, dachte ich an diesem regnerischen Vormittag, als ich wieder dort oben stand und meiner Arbeit nachging, ‚wäre ich nicht hier, wenn alles anders gekommen wäre, aber so… Manche Wendungen im Leben haben vielleicht doch ihren Sinn.‘
Einen langen Moment dachte ich darüber nach, dann musste ich mich korrigieren. Nein, nicht die Wendungen waren es gewesen, sondern meine eigenen Entscheidungen. Ich hatte für mich gewählt, was in meinem Leben Priorität hatte – das Schreiben und meine Freiheit. Ich konnte zu viel Nähe zu Menschen noch nie ertragen, ich brauchte schon immer meinen Freiraum wie die Luft zum Atmen.
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