Regan Holdridge
Die Brücke zur Sonne
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Inhaltsverzeichnis
Titel Regan Holdridge Die Brücke zur Sonne Dieses ebook wurde erstellt bei
Die Brücke zur Sonne Die Brücke zur Sonne Regan Holdridge
Teil 1
Scheinbar endlos zog sich...
Aus den Lautsprechern...
Der darauffolgende Sonntag...
Auf den Koppeln...
Ostern kam und ging...
Das einzige Fenster...
Mit einem lauten Schlag...
Lange, dunkle Schatten...
Es war heiß...
Das Frühjahr brachte...
Teil 2
An der Südküste Englands...
Teil 3
Am 26. Juni des Jahres 1978...
Mit kräftigen Bewegungen...
Sommer 1980
Energisch...
Im Wartezimmer...
Der Samstagabend...
Teil 4
Übermütig sprang Geraldine...
Ein Jahr später, Sommer 1988
Die Lautsprecher...
7 Monate später
Wie beinahe jedes Frühjahr...
Mai 1993
Der Bogen aus Rosshaar...
Dezember 1994
Teil 5
Ein Jahr später
Impressum neobooks
Regan Holdridge
Texte: © Copyright 2003 by Regan Holdridge
Herausgeber:
Regina Honold
Alpenstr. 24a
87760 Lachen
autrice.blog@gmail.com
www.autrice.art
Für Doug McClure
1965 – 1966
Die ersten Strahlen der morgendlichen Märzsonne hatten den Nebel noch nicht vertrieben, der sich im Frühjahr oft in den Gärten der Villen am schmalen Flüsschen bildete. Schwer hingen die weißen Schleier über den Hecken und Sträuchern am Ufer und ließen kaum einen Blick über die gusseisernen, eingerankten Zäune in die Nachbargärten zu. Auf der kurzgeschnittenen, hellgrünen Rasenfläche, die sich wie ein Teppich bis an den schmalen Pfad nahe dem Ufer erstreckte, glitzerten die winzigen Tropfen des Taus in bunten, schimmernden Farben. Stille lag über der kleinen, vom direkten Stadtrand durch die Anhöhe abgeschnittenen Wohnsiedlung. Architektonisch vollendete, imposante Villen und ihre dazugehörigen, ausladenden Gärten säumten die Teerstraße zu ihrer Linken, die sich vor den Toren eines herrschaftlichen Schlösschens verlief.
Stille hüllte die Straße ein, die zu dieser frühen Stunde noch wie ausgestorben schien. Es gab keine fröhlichen Grüße, kein Schwätzchen auf der Straße. Niemand wusste mehr über seinen Nachbarn als unbedingt notwendig. Autos fuhren den Weg entlang und verschwanden in einer der Einfahrten, meist anonym, eines von wenigen. Man grüßte sich, wenn man einander zufällig zu Fuß begegnete, immer mit einer gewissen herablassenden Höflichkeit und immer darauf bedacht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Hier lebten nur die Bürger der Stadt, die mit ihrem Geld nichts Besseres anzufangen wussten, als es in teure Häuser zu investieren – des Privilegs wegen und der Eitelkeit.
Zu dieser frühen Stunde schien sich noch niemand nach draußen, in die frische, zugige Morgenluft zu wagen. Nur hin und wieder durchdrang das Zwitschern eines einsamen, munteren Vogels den feuchten Dunst, als wollte er den allmählich beginnenden Tag begrüßen und nur leise war der Lärm der Großstadt zu vernehmen, wie durch eine Wand, gedämpft und fern.
Blasses Licht erfüllte die haushohe Eingangshalle der über hundertjährigen, antiquarisch eingerichteten Villa. Majestätisch zog sich die breite, graue Marmortreppe in einem sanften Bogen geschwungen ins obere Stockwerk hinauf. Durch die schmalen, hohen Fenster in Richtung Osten konnte die Sonne den Eingangsbereich durchfluten, wenn sie im Sommer über den Baumwipfeln aufstieg.
Unter der Treppe hatte die schwere, handgeschnitzte Standuhr aus Kirschbaumholz ihren Platz neben dem Telefontisch gefunden. Das laute, regelmäßige Schlagen ihres Pendels hallte als einziges Geräusch von den weißen Wänden wider. Alles schien so gewöhnlich wie jeden Tag zu sein und der Montagmorgen ging seinen gewohnten Gang. Gleich würde es Zeit sein um aufzustehen – halb sechs Uhr war vorbei und aus der Küche verbreitete sich der verlockende Duft von warmem Toastbrot und Spiegeleiern in die Eingangshalle, den kurzen Verbindungsflur und die angrenzenden Räume.
In diese fast malerische Stille hinein begann das schwarze, altmodische Telefon unerwartet und durchdringend zu schrillen. Es musste einige Zeit läuten, ehe eine ältere, rundlich gebaute Frau in korrekter schwarz-weißer Haushälterinnentracht aus der Küche geschossen kam.
„Auch das noch!“
Louisa Peters war es nicht gewohnt zu solch unhöflich früher Stunde schon in ihrer eingespielten, zur Routine gewordenen Tätigkeit unterbrochen zu werden. Energisch nahm sie den Hörer ab.
„Hier bei van Haren!“ Ihre laute Stimme hallte bis in die letzten Winkel des Erdgeschoßes. „Was? Nein, das geht jetzt nicht. Hast du einmal auf die Uhr gesehen?!“
Im oberen Stockwerk begann es zu rumoren: Eine Türe schlug laut, unbedacht ins Schloss, bevor eilige, leichte Schritte die Marmorstufen herabgerannt kamen. Neugierig beugte sich das junge Mädchen über das Treppengeländer hinab.
„Wer ist dran? Ist es für mich? Natürlich ist es für mich!“
Ihre zierliche, dabei durchaus weibliche Gestalt steckte in einem taillierten Kleid, dessen Rock durch den Petticoat weit schwang und den buntgemusterten Stoff damit umso besser zur Geltung brachte. Es war der neueste Chic der Londoner Modewoche und sie war ausgesprochen stolz darauf, denn es handelte sich um ein echtes Modellkleid. Passend dazu hatte sie sich ein weißes Seidenhalstuch um den Hals gebunden. Ihr hellbraunes, sanft gelocktes Haar fiel penibel gekämmt und mit Haarspray fixiert bis knapp über ihre Ohren herab. Die Schultern hielt sie auffallend straff und den Kopf stolz erhoben, während sie in flachen Ballerinas die letzten Stufen hinabhuschte.
„Gib mir den Hörer! Gib ihn mir!“
Ihr kindliches, dennoch schmales Gesicht zeigte bereits das, was einmal eine wahre Schönheit werden würde: Die großen, grauen Augen, die weit auseinanderstanden und dazu die zierliche Stupsnase – alles Eigenschaften, die sie ihrer Mutter unwahrscheinlich ähneln ließen. Mit einer abweisenden Handbewegung scheuchte Louisa das Mädchen zurück.
„Nein!“, erklärte sie und der Ton ihrer Stimme ließ keinen weiteren Widerspruch zu. „Miss van Haren hat jetzt keine Zeit und sie wird auch heute Abend ganz sicherlich zu keiner Geburtstagsparty erscheinen! Guten Tag!“ Der Hörer knallte auf die Gabel zurück.
Entrüstet schnappte das Mädchen nach Luft, während sie sich mit einem Aufschrei vor der Haushälterin aufbaute. Ihr Fuß stapfte zornig auf den Boden. „Wer war das? Von welcher Party ist die Rede? Ich bin überhaupt nicht unterrichtet! Wie können Sie da einfach auflegen?!“
Unwirsch stemmte Louisa ihre Arme in die runden Hüften. „Mein Kind, das ist jetzt vollkommen unwichtig! Sind deine Koffer fertig gepackt? Nein? Dann aber marsch, ab! Außerdem hast du in deinem Alter sowieso noch überhaupt nichts auf Partys verloren!“ Ihre Augen funkelten streng; sie kannte das vierzehnjährige Mädchen nur zu gut. Verzogene Göre, dachte sie, innerlich den Kopf schüttelnd, und zog mitleidig die Mundwinkel nach unten. „Andere Mädchen in deinem Alter sitzen abends Zuhause und erledigen ihre Schularbeiten! Diese ständigen Partys verderben den Charakter!“
Aufmüpfig warf das Mädchen den Kopf zurück. „Das behaupten Sie jedesmal und zu Ihrer Beruhigung: Meine Koffer sind gepackt! Wo steckt meine Mutter?“
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