Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Klar. Fragst du Jupiter?
Mach ich, bis später!
Mirabella ging mit guter Laune baden im Indischen Ozean.
Als sie später erneut ihr Handy zur Hand nahm, bemerkte sie Yasmins kritischen Blick und sah sie fragend an.
„Meinst du nicht, dass du sehr viel Zeit mit deinem Handy verbringst?“, fragte diese vorsichtig.
Mirabella wollte im ersten Moment reflexartig protestieren, schloss dann ihren Mund jedoch wieder und seufzte. „Du hast recht, Mami, aber ich vermisse meine Freunde. Wir haben eine Chat-Gruppe aufgemacht und es ist einfach nett, weiterhin mit ihnen in Kontakt zu sein.“
Yasmin drückte die Hand des Mädchens. „Ich verstehe dich ja. Ich hab‘ nur das Gefühl, dass wir den Anschluss verlieren, kein Teil davon sind.“
Mirabella schaute etwas unglücklich, sie wollte niemanden ausschließen, schon gar nicht die beiden. Ihre Adoptiveltern hatten letztendlich sehr tolerant und positiv auf die Neuigkeiten reagiert, die sie erst im Laufe des letzten Jahres erfahren hatten. Marcus hatte zwar mehrere Tage nicht darüber reden können, die Existenz der Götter hatte ihn schwer in seinen Grundüberzeugungen getroffen, bis er sie als höher entwickelte Energiewesen zu akzeptieren lernte.
„Was schreiben sie denn?“, fragte Yasmin aufmunternd.
„Äh, sie sind alle auch im Urlaub. Delphine ist nicht weit von hier, naja, sind fast 1000 km, wie ich feststellen musste, aber sie ist hier auch im Indischen Ozean, auf Mayotte. Sie vermisst ihren Freund Iros, der im Mittelmeer lebt.“
„Er lebt im Mittelmeer?“
„Er ist ein Meerjunge, also Meermann. So wie die Meerjungfrauen, da gibt es ein ganzes Volk davon, über alle Meere verstreut.“
„Arielle gibt es wirklich?“, fragte Yasmin begeistert.
Mirabella lachte. „DIE Arielle wahrscheinlich nicht, aber Neptun meinte, dass wegen der Geschichte viele rothaarige Meerjungfrauen Arielle genannt werden.“
„Und Nikolaos?“
„Der ist jetzt zuhause, war davor ja in den Staaten. Er übt viel mit seiner Jazz Band.“ Ganz wohl war Mirabella dabei nicht. Sie wusste, dass die Sängerin der Band, Céline, in Nikolaos verliebt war. Er hatte behauptet, es nicht zu sein, aber Mirabella hatte dennoch Angst, er könnte mit ihr zusammenkommen, was dazu führen würde, dass er keine Zeit mehr für seine Halbschwester hätte.
„Treten die auch auf?“
„Auf einer privaten Hochzeit wollen sie demnächst spielen.“
Mirabella erzählte noch von Leon, dem Sohn des Schmiedegottes Vulcanus, der mit seinen Eltern in Chile unterwegs war. Er stöhnte etwas über die vielen Vulkane, die er besichtigen musste, seine Eltern waren Vulkanologen, schien aber an sich Spaß an den Wanderungen und Besteigungen zu haben. Die Bilder, die er herumschickte, zeigten eine atemberaubende Landschaft. Der Sizilianer Lorenzo, Sohn des Apolls, den sie zuletzt auf der Aufnahmefeier knutschend mit Terra gesehen hatte, war mit einem Freund beim Surfen an der französischen Atlantikküste. Von oder über Terra hatte sie seit der Feier keine Information erhalten, da sie der Chatgruppe nicht angehörte. Terra war die einzige Vollgöttin ihrer Klasse und besaß kein Handy. Lorenzo war zwar mehrfach mit Zwinkersmiley nach ihr gefragt worden, er hatte sich aber über Terra ausgeschwiegen. Dass er so gar nichts erwähnte, machte Mirabella stutzig, aber sie war nicht eng genug mit Lorenzo befreundet, um ihn indiskret auszuquetschen. Mit Terra, Tochter von Mars und Venus, hatte sie sich über die Monate angefreundet, ganz schlau aus ihr wurde sie jedoch nicht, dafür waren reine Energiewesen und Halbmenschen wahrscheinlich zu unterschiedlich. Mirabellas Handy piepste, eine neue Nachricht von Nikolaos.
Die haben fast keinen Saft mehr im Olymp, irgendwie war die Feier so energieraubend, dass momentan Teleportation von Halbgöttern in den Olymp nicht genehmigt wird.
„Probleme?“, fragte Yasmin.
Mirabella schüttelte den Kopf. „Nick und ich planen nur eine gemeinsame Trainingsstunde.“
Könntest du per Bulla-Express reisen? Wie hast du dann mit Jupiter reden können?, schrieb Mirabella zurück.
Er kam zu mir , antwortete ihr Bruder, „ war eh unterwegs. Das Amulett kann man auch verwenden, um sich zum Jupitertempel teleportieren zu lassen.
-Cool, wie?
-Beim Haare drehen musst du „in templo“ sagen, statt an ihn zu denken.
-Und eine Simulation ist energetisch für uns drinnen?
-Denke schon, wir sollen mit Mars reden.
Die Antwort ließ Mirabella die Nackenhaare aufstellen. Sie verabscheute den Kriegsgott, der Spaß am Töten und Kämpfen hatte und mit seinem schlechten Ruf kokettierte. Ich hätte gute Lust, das Training abzublasen…
Ich kann das Fragen übernehmen, okay? Mirabella konnte das Schmunzeln ihres Bruders fast spüren.
Wir fragen zusammen.
Jetzt?
Da es für Yasmin in Ordnung war – „aber sei morgen zuhause, bitte!“ - ging Mirabella schnell auf ihr Zimmer und zog sich eine Jeans und ein T-Shirt über den Bikini. Sie öffnete ihr Jupiter-Amulett, das immer um ihren Hals hing, das silbrig glänzende Haar wurde sichtbar. Mirabella nahm das Barthaar ihres Vaters in die Hand und drehte es: „In templo.“ Im nächsten Moment stand sie in einem dunklen, nur von ein paar Fackeln erleuchteten Raum. Durch die Tür fiel Licht, man konnte ein paar dorische Säulen erkennen, die den Tempel säumten. Der Innenraum, die Cella, war schlicht gehalten, ein Bildnis des Jupiters schmückte einzig den schmalen Raum. Mirabella trat aus der Cella und sah einen Wald von Säulen. „Nick?“
„Hier!“ Ihr Bruder trat aus dem Raum neben Jupiters zu ihr. „Das ist Junos Kammer, auf der anderen Seite ist Minervas.“ Der Kapitolinische Tempel in Rom war der Trias Jupiter, Juno und Minerva geweiht und existierte heutzutage nur noch in der Zwischenwelt. Wo einst der antike Tempel stand, fanden sich jetzt der Kapitolsplatz und das römische Rathaus.
„Cool. Und jetzt?“
Nikolaos nahm Mirabella an die Hand und ging, die andere Hand ausgestreckt nach vorne haltend aus dem Tempel heraus, Mirabella mit sich ziehend. Schließlich blieb er stehen. „Hier endet die Blase.“ Wenn die Schüler vom Olymp aus auf Reisen gingen, hatte meist der jeweilige Gott die Blase kreiert. Sie hatten gelernt, aus einer größeren eine eigene Blase zu erschaffen, jedoch immer nur unter Aufsicht.
„Sollen wir es zusammen versuchen?“
Mirabella nickte und sie konzentrierten sich auf ihre innere göttliche Energie, dehnten die äußere Hülle der Tempelblase mit ihren freien Händen, während sie über die verbundenen Hände die Energie des anderen spürten. Schließlich trauten sie sich in die kleine Ausbeulung zu steigen und eine kleine Blase spaltete sich von der großen ab.
Nikolaos setzte sich hin, den Rücken gegen die Blasenwand lehnend. Mirabella war zu aufgeregt, um sich zu setzen. „Fliegt die automatisch zum Olymp?“, fragte sie plötzlich.
„Glaub schon.“
„Und wenn man woanders hinfliegen möchte?“
„Dann muss man sie wohl lenken.“
„Ach, was. Meinst du geistig?“, fragte Mirabella gespielt beleidigt und setzte sich neben Nikolaos.
„Siehst du ein Lenkrad?“, antwortete ihr Bruder provozierend und grinste.
Mirabella boxte ihn liebevoll und musste auch grinsen. „Es ist alles noch so aufregend. In ein paar Monaten ist das wahrscheinlich voll die Routine für uns, aber im Moment finde ich es echt spannend.“
„Ist es ja auch“, gab ihr Bruder zu. „Offensichtlich können wir auch unsere Energie vereinigen. Meinst du, das geht auch bei der Telekinese?“
„Können wir ja ausprobieren, wäre cool.“
Sie planten eine Aikido Trainingsstunde mit telekinetischer Einlage und waren binnen Minuten wirklich im Olymp.
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