Die beiden Juristen berichteten über einen anderen Vertrag mit den Kelten. Man wollte ihnen Großbritannien überlassen, aber die Kelten konnten sich nicht entscheiden, ob sie selbständig werden oder in der Olympischen Union verbleiben wollten, da einige Gebiete in Nordfrankreich, Bayern und Belgien für sie dann verloren wären. Die Nord-Union der Nordischen Götter wollte zudem nicht Schottland abtreten. „Was würden denn die Asen im Ausgleich haben wollen?“
„Bayern.“
Mirabella machte große Augen.
„Was?“, donnerte Jupiter und sah automatisch zu Mirabella und Georg.
„Niemals! Bayern war nie germanisch. Schlagt ein anderes Gebiet vor. Flandern oder irgendwas im Osten, aber nicht Bayern, zumindest nicht Oberbayern!“
„Und wenn sie das ablehnen?“, fragte Josef vorsichtig.
„Dann gibt es eben keinen Deal.“ Jupiter zuckte mit den Schultern, es war eindeutig, dass er nicht mit sich reden lassen würde. Mirabella vermutete, dass es mit ihrer Herkunft und der ihrer Mutter zusammenhing. Jupiter hatte Helena so sehr geliebt, dass er sie heiraten und zu einer Göttin machen wollte, wie die Liebesgöttin Venus sich verplappert hatte.
Es herrschte einen Augenblick Schweigen, Mirabella und Nikolaos sahen sich verstohlen an. Schließlich wandte sich Jupiter an Jana und Karim.
„Wie sehen eure Fortschritte aus?“
Karim überließ Jana mit einer Geste das Wort.
Sie berichtete über eine Nichtregierungsorganisation, die sich um Menschenrechte kümmerte. Ein großes Thema waren derzeit die Flüchtlingsströme, speziell aus Nordafrika. Es ging darum, Fluchtursachen zu bekämpfen, gemeinsam mit der Politik Schleuserbanden zu bekämpfen, die Aufnahme humaner zu gestalten und Integration zu fördern.
Jupiter erklärte nun Mirabella und Nikolaos die für ihn wichtigen Punkte. „Die Organisation hat schon viel Lob und Anerkennung erhalten, Karim ist der Leiter für Tunesien, Jana in Kroatien. In letzter Zeit ist das Thema Flüchtlinge jedoch sehr problematisch, wie ihr vielleicht mitbekommen habt. Viele in Europa haben Angst vor zu vielen Flüchtlingen und die Erwartungen der Flüchtlinge decken sich nicht mit der Realität. Sie erhoffen sich neben Sicherheit auch ein wirtschaftlich besseres Leben, landen jedoch in Asylunterkünften, dürfen nicht arbeiten und werden teilweise offen von der Bevölkerung angefeindet. Neptun hat sich von der Problematik abgewandt, weil die Rettung der Schiffe auch nicht immer Anerkennung brachte, einige Schiffe sind seither gesunken.“ Jupiter seufzte. „Ich hab‘ euch immer gesagt: widmet euch einfacheren Themen, damit gibt es keine Anerkennung zu gewinnen.“
Jana sah genervt auf. „Wir machen das ja nicht nur für die Anerkennung, sondern weil wir denken, dass es das Richtige ist. Wir dürfen unsere Werte nicht einfach über Bord schmeißen, nur, weil es unbequem wird.“
Jupiter gebot Jana Einhalt. „Ich kenne deine Meinung dazu. Was höre ich von Karim? Er ist selbst in Gefahr?“
„Naja, demokratische Werte in Tunesien zu verteidigen ist nicht gerade einfach…“
Der Göttervater nickte. „Wenn es ernsthafte Probleme gibt, erhältst du vorübergehend hier Asyl, wir arrangieren etwas.“
Karim nickte dankbar. „Wir haben übrigens doch einen Erfolg aufzuweisen. Wir haben nun auch Beraterfunktion bei der UNO. Wie viel das bringen wird, wird man sehen…“
Jupiter sah höchst skeptisch aus, nickte aber wohlwollend und sah zum alten Georg.
„Was macht dein Buch über den Jupiter Tonans?“
„Fast fertig.“
„Georg macht die römischen Götter wieder populärer, schreibt Bücher und Artikel und gibt Vorlesungen. Er hilft wider das Vergessen“, erklärte Jupiter den beiden Neuankömmlingen der Runde. Sein Blick fiel auf die Schweizerin.
„Johanna ist eine berühmte Bergsteigerin, sie akkumuliert wie Timo Kraft und Energie durch Verehrung. Was ist dein nächstes Projekt?“
„Ich will einen neuen Rekord aufstellen, die Cassin-Route an der Eiger Nordwand. In unter zwei Stunden!“
„Wie ist der Rekord derzeit?“, fragte Nikolaos interessiert.
„Zwei Stunden und paar Minuten.“
„Wow!“ Nikolaos war sichtlich beeindruckt.
Nun war Timo an der Reihe zu berichten. „Wir haben einen neuen Plattenvertrag und eine europaweite Tournee ist geplant!“ Der junge Römer blickte stolz um sich.
Jupiter schaltete sich ein. „Timo spielt in einer Band. Wie nennst du das? Hop Hip?“
Mirabella musste ein Prusten unterdrücken und sah zu Nikolaos, dem es ähnlich ging.
„Hip Hop“, sagte Timo leicht indigniert, wandte sich dann an die beiden Jugendlichen, „wir kreieren gerade unseren eigenen italienischen Hip Hop, Roma Funk. Bisschen Electro, bisschen Punk. Ich bin der Sänger. Wollt ihr mal auf eins unserer Konzerte?“
„Klar“, sagten Mirabella und Nikolaos wie aus einem Munde.
„Das lässt sich arrangieren“, sagte Jupiter nun neutral, „was ist mit der Sängerin? Will sie kooperieren?“
„Mit Venus? Ja, ist interessiert.“
„So eine Symbiose?“, fragte Mirabella irritiert. Jupiter hatte ihnen anfangs erklärt, dass die Energiewesen des Olymps von der Verehrung der Menschen lebten. Dafür nahmen sie einerseits die Gestalt von beliebten Figuren wie dem Weihnachtsmann oder auch manchen Superhelden an, vor allem bei Ereignissen wie Weihnachtsmärkten, Heiligabend, Fan-Treffen oder Conventions, wo deren Präsenz erwartet wurde, oder für kleine Kinder, die noch an die Real-Präsenz dieser Wesen glaubten. Eine andere Möglichkeit war die Bedienung der zahlreichen Doubles bekannter Persönlichkeiten. Schließlich gab es auch noch die Symbiose. Die Götter verliehen einem Menschen eine göttliche Gabe, beispielsweise außergewöhnliche Schönheit, Intelligenz oder verschiedene Talente, die zu einer Bewunderung der Person führten. Als Gegenleistung hatten die Götter Anteil am Ruhm und an der Verehrung, Jupiter nannte dies eine Win-Win-Situation.
Der Göttervater nickte nun bei Mirabellas Frage. „Sie hat eine tolle Stimme, aber ihr Aussehen…“ Jupiter schüttelte den Kopf. „Unvorteilhaft. Venus wird ihr etwas Liebreiz verleihen, dann könnten die beiden sehr populär werden!“
2 - VON MARS UND MONSTERN
Sand rieselte durch Mirabellas leicht gebräunte Zehen, das Meer rauschte im Hintergrund und das junge Mädchen blinzelte im Halbschatten über ein Buch gebeugt, ohne es zu lesen. Sie war auf Sansibar, dem Sehnsuchtsort vieler, und vermisste den Olymp, ihre Freunde und vor allem ihren Bruder. Was war nur mit ihr los? Sonne, Strand und Meer, Delphine im Wasser, coole Kite-Surfer an der Strandbar und endlich einmal Zeit zum Faulenzen, Lesen und Nachdenken. Aber vielleicht war das Mirabellas Problem, sie wollte nicht faulenzen und schon gar nicht nachdenken, sie wollte Action, Abenteuer und Geselligkeit. Die erste Ferienwoche mit Safari durch die Serengeti und den Ngoro-Ngoro-Krater war schnell vergangen. In unbeobachteten Augenblicken testete Mirabella stets, ob sie auch mit den wilden Tieren Afrikas sprechen konnte. Noch war ihr kein Tier begegnet, das sie nicht verstehen konnte. Abends unterhielt sie meist das folkloristische Programm in der Lodge, eine Runde Skat mit den Eltern oder das Sichten der Videos und Bilder des Tages.
Erst auf Sansibar befiel Mirabella wieder diese innere Unruhe, kreisten ihre Gedanken erneut um die Frage ihrer Herkunft. Wenn es kein komischer Zufall war, dass ihr der Zutritt ohne Amulett verwehrt war, kam keiner der Olympier als ihr Vater in Frage. Oder Mutter. Die Energiewesen besaßen kein Geschlecht im menschlichen Sinne. Wie konnte aber sonst ihre Mutter schwanger mit einer Halbgöttin gewesen sein? Und Halbgöttin war sie. Oder? War sie vielleicht ein Zwischenweltwesen? Sprach sie deshalb die Monstersprache?
„Mira, kommst du mit schwimmen?“, fragte Yasmin, Mirabellas Adoptivmutter. Das Mädchen sah von ihrem Buch auf, in dem sie nicht las, fragend, bis Yasmin die Frage wiederholte. „Ja, gerne!“ Mirabella klappte das Buch zu und sah kurz auf ihr Handy. Eine Nachricht von Nikolaos. Morgen Training ?
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