»Was ist das hier?«, fragte Franz in die Stille hinein.
Iocus schien sich sichtlich zu amüsieren, gerade jetzt, wo Franz nicht weiterwusste. Er rollte sich vor ihm über den grauen Sand, hielt nach einiger Zeit inne und drehte sich in Richtung des Sees. Dann rutschte er auf seinem Hintern an den Rand und ließ die kleinen Füßchen tapsig im Wasser pendeln. Ob der kleine fliegende Argwohn nun etwas wusste oder nicht, er blieb still.
Nach einer Weile hörte Franz das Mütterchen. »Es ist deine Hoffnung.«
»Ist sie wirklich so klein?«
»Leider, ja. Sie war einmal ein Meer vor vielen Jahren. Du hast etwas hineingeworfen, etwas in einer Flasche. Jetzt verstopft sie die Quelle.«
Franz überlegte. War das kleine Rinnsal die Quelle oder gab es mehrere?
»Was du hineingeworfen in dieses wundervolle Meer, kann nur ein Narr in solch kranke Welt schmeißen«, sprudelte es abwesend aus Iocus heraus.
Mehrmals versuchte Franz von Miss Almadeamor weitere Antworten zu bekommen, doch vergebens. Sie hatte wohl genug gesagt. Franz musste selbst eine Lösung finden.
Er umrundete den kleinen See. Als er dies in dieser Öde noch einmal tat, um wirklich sicher zu sein, wurde er immer durstiger.
So kehrte Franz zu Iocus zurück, setzte sich neben ihn auf den rissigen Boden und trank einige Schlucke aus dem See, während er überlegte.
Wenn nun das Wasser aus der Erde kommt und etwas darauf liegt, so liegt die Quelle vielleicht am Boden des Sees, und ich muss hinabtauchen.
Franz dachte einige Zeit weiter nach. Eine andere Möglichkeit fiel ihm jedoch nicht ein und so zog er sich aus, legte seine Sachen an den Rand und trat ins Wasser. Derweil tapste Iocus sich seine kleinen Füßchen auf Franz’ Sachen trocken und kauerte sich dann in dessen Hemd, um zu dösen.
Im ehemaligen Meer der Hoffnung befand sich eiskaltes und öliges Wasser. Franz zitterte sofort am ganzen Leib, noch bevor sein kompletter Körper davon umschlossen war. Doch er raffte allen Mut zusammen und rannte los. Kopfüber sprang er in die Tiefe, tauchte auf den Grund und verrückte jeden Stein, den er zu fassen bekam. Dann stieg er hinauf, hechelte nach Luft und setzte erneut an. In Endlosschleife tauchte er bis auf den Boden und alles, von dem er glaubte, dass es die Quelle verstopfen könnte, hob er an. Egal wie viel Kraft es ihn kostete. Er war sich seiner vollends sicher. Er musste den richtigen Riecher haben, so dachte er.
Nach einer Weile war er von der Kälte leicht bläulich angelaufen. Auch seine Lunge zog sich in sich selbst zusammen, immer schwerer konnte er sie mit Sauerstoff füllen. Franz schwamm an den Rand und machte eine Pause.
Doch lange hielt er es nicht aus. Er wollte wissen, was er hineingeworfen hatte und was jetzt seine Hoffnung lähmte.
Immer tiefer musste er hinab, immer knapper wurde seine Atmung. Aber in ihm waren die Kraft und der Wille, endlich sich selbst zu finden. Sich selbst zu helfen. Doch in diesem Fall war seine Unnachgiebigkeit fatal.
Als er an der tiefsten Stelle tauchte, hob er etwas sehr Schweres an. Erst wollte es sich nicht heben lassen. Als er sich mit aller Macht und letzten Kraftreserven in den Boden stemmte, hob er es an und setzte es endlich daneben.
In diesem Moment brauchte er wieder Luft und wollte nach oben schwimmen. Irgendetwas hielt ihn jedoch fest. Franz war wie gelähmt. Eine Kraft umströmte ihn und hielt ihn am Grunde des Sees gefangen. Er atmete aus und schrie in die Schwärze des Wassers. Er brauchte Luft. Er wollte atmen! Doch ein Strudel wirbelte um ihn herum. Das Wasser wurde davongezogen, tief ins Erdreich hinein.
Dann gab es ein großes Schmatzen und er lag im Schlamm des Sees. Seine Nase lag im Freien und er bekam endlich die ersehnte Luft. Langsam quälte er sich aus dem Matsch, schnappte weiter nach Sauerstoff. Die Augen waren verschmiert wie der Rest seines Körpers.
Er suchte das Rinnsal und rannte an die Stelle, wo es begann, etwas breiter zu werden, um sich zu waschen. Danach kam er zurück zu seinen Sachen und setzte sich nackt in den öden Sand. Der Argwohn setzte sich daneben und blieb still.
»Was ist hier los, Iocus? Habe ich etwa gar keine Hoffnung mehr?«
Iocus blieb still.
In diesem Moment dröhnte hinter ihm eine ohrenbetäubende Hupe. Kurz darauf noch eine und dann eine weitere. Nach wenigen Augenblicken erschallte ein ganzes Hupkonzert.
Franz drehte sich verzweifelt um und blickte in die mürrischen Augen von fünf dicken Lastwagenfahrern.
Als Franz sich erhob, stiegen sie alle aus, jeder mit einem Klemmbrett unter dem Arm, und kamen auf ihn zu.
»Ihre Lieferung! Bitte unterschreiben!«, meldete sich der Erste.
Ein weiterer Fahrer schien noch ungeduldiger und unterbrach den, der eigentlich nach dem Ersten zu reden begonnen hatte.
»Ne, ne. Did kannste voll vergessen, Kleener! Ik muss los, wa? Mach mig mal zuerst hier!«
»Eh, wir kum hier schun olle dron!«, sagte der Dritte dann.
»Na, los jetzt! Nimm mal deine Bestellung an, wir müssen schnell weiter! Gibt noch andre Kunden. Bist nich der Einzige.«
Franz blieb sitzen und schaute sich die Lastwagen an. Erst begriff er nicht, was hier gespielt wurde. Doch nach einer Weile stand er auf, zog sich in Ruhe wieder an und trat anschließend um die Lastwagen herum. Auf allen Planen, die um die Hänger der Lastwagen gespannt waren, zeigte sich dieselbe große Figur abgebildet. Sie schien aus Stein, vielleicht sogar aus Marmor gefertigt zu sein. Franz bekam ein ungutes Gefühl. In ihm kam ein Kampf ins Rollen. Ein Teil von ihm wollte schleunigst hier weg, ein anderer wollte unbedingt diese Figuren haben. Sie besitzen. Und Franz konnte sich das alles in keiner Weise erklären.
Er drehte sich zu den Fahrern um und lehnte die Bestellung ab, ohne selbst genau zu wissen, warum.
»Was? Das geht nicht! Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Eh, seit Jahren kumm wir zu dir und bring dir hier son Lastwagen voll. Du hast uch Rabatt bei uns, wa? Did kannste jetz ni bring, Kollege. Wat soll denn da mei Chef sagen?«
Die Fahrer wurden ungeduldig und fingen an zu schwitzen.
Franz schritt an ihnen vorbei und deutete Iocus, dass sie weitergehen würden.
Sie gingen am Rinnsal entlang, während sie hörten, wie die Fahrer weiter schimpften und sich irgendwann in ihre Lastwagen setzten und davonrauschten.
In dem Moment meinte Franz zu Iocus: »Ich habe vielleicht gerade meine Hoffnung für einen Moment ganz verloren, aber diese Laster haben mir einen echten Schrecken eingeflößt.«
Iocus setzte sich auf seine Schulter und piepste dann vergnügt: »Das wird schon alles, hu, hu. Am Grunde lag es ja nicht, was du alter Narr ins Meer hast geworfen. Komm nur, komm! Das andere Ende eines jeden Wassers birgt dir vielleicht eine Antwort.«
Und so liefen sie den Bachlauf entlang zurück, am Käfer vorbei, dann am Loch, welches zum Pythagoräer führte, und immer weiter und weiter.
Um die Mittagszeit erreichten sie einen Punkt, ab dem der Pfad bergauf verlief. Franz konnte nicht abschätzen, wie lang es noch so gehen würde, bis sie am anderen Ende des Wassers ankommen würden: an seiner hoffentlich wahren Quelle.
Es wurde immer steiler. Anfangs gab es noch Bäume, die irgendwann ihr Laub verloren. Und schon bald gab es nichts mehr. Er war verschwitzt. Franz spürte die Leere in sich, fühlte, dass es keine Hoffnung mehr in ihm gab. Zurück blieb nur noch Panik. Sie kribbelte in seinen Armen und er versuchte sie sich abzustreichen, bis er wunde Arme hatte. Er hörte sich wimmern und klagen vor Schmerzen, während er lief. Immer apathischer wurde er, stierte zu Boden, lief einfach und lief und lief.
Als er nach oben sah, verstand er reflexartig zwei Dinge. Er begriff, was es war, was er ins Meer geworfen hatte und was die Quelle versperrte. Und mit der Erkenntnis kam er ins Straucheln. Franz griff um sich und wollte sich halten, doch er bekam nichts zu fassen. Es gab nichts, woran er sich hätte klammern können. Schlagartig wurde das Gefälle immer steiler, bis der Boden fast im rechten Winkel stand. Dabei wandelte sich der Untergrund perfide zu Geröll. Franz rutschte und fiel.
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