Doch in diesem Moment lachte das Wesen lauthals los. Es rollte sich auf seinen Po, landete auf dem Rücken und lief purpurrot an.
»Hihihi … hohoho …«
»Was gibt es da zu lachen? Hast du das mit Absicht gemacht? Mich eiskalt über diese Wurzel stolpern lassen?«
Iocus wurde lauter, lachte und gluckste. Tränen kullerten aus seinen Augen, unter dieser dicken Fettschicht hervor.
Franz stand auf und wollte das Wesen fassen, es ergreifen und schütteln. Doch es war zu flink. Es schnellte hoch und umsurrte ihn weiter lachend. Franz ballte seine kleinen Hände zu Fäusten und senkte seinen Blick.
Nach einer ganzen Weile sagte er: »So langsam weiß ich, was du wohl für ein Wesen bist. Du musst der Argwohn sein. Nichts andres fänd’ ich passend.«
Augenblicklich hörte das Wesen auf zu lachen und zu surren. Gerade noch war es hinter Franz, nun setzte es sich vor ihm hin.
»Oh, er spricht also auch mal ein paar kluge Sätze. Ja, ja, so in der Form hat mich auch das Weib betitelt. Bist der Zweite, der das sagt. Ach, i wo! Damit kann ich wohl leben. Was ist schon dabei, am Leid der anderen? Am Unglück, hä?«
»Das ist nicht schön. Das tut den anderen weh. Wenn nicht körperlich, dann wohl im Herzen. Wer kann dir sagen, wer nicht schlafen kann – wohl wegen deiner Taten? Ich finde dich entsetzlich, nun, wo ich dein wahres Gesicht erblicken musste.«
»Bist du wohl still? Halt die Fresse!« Das Wesen wurde wütend und wuchs pulsierend heran, bis es Franz um mehrere Köpfe überragte.
Seine Stimme war nun nicht mehr piepsig, quiekend böse traf es eher.
»Bist du wohl selbst schuld, du Nichtsnutz! Hast den Schwarzen Mann gewähren lassen, der alles infizierte. Früher war ich lustig, witzig. Jeder wollte mit mir lachen. Fell hatte ich und große Augen. Sieh mich an, was mit mir passierte! Aus Humor hast du den Argwohn geboren. Tölpel! Wie sehn’ ich mich zurück nach wahrem Witz!«
Franz beruhigte sich. Ihm erschien nicht alles klar, doch er bemerkte, dass das kleine Wesen auf eine Art recht hatte. Er spürte, dass es mit Grund nicht erfreut über seine Worte war.
Und so entschuldigte sich Franz höflich bei dem Argwohn.
»Nun gut. Ich nehme sie an, deine Entschuldigung. Es sei verziehen. Aber merk dir eins, mein lieber Znarf, verletz’ hier niemanden! Du hast sie alle so gemacht. Du hast sie sich so verwandeln lassen.«
»Gut, mein Freund. Es tut mir leid.« Franz reichte Iocus seine Hand.
Iocus schlug mit seiner kleinen Pranke ein und pulsierte sich kurz darauf wieder auf seine eigentliche Größe.
Ab diesem Moment machte der Argwohn hin und wieder einen kleinen bösen Witz. Meist, um sich über ihn oder irgendwelche Bewohner dieser Welt, die Franz aber alle unbekannt waren, lustig zu machen. Hier und da schmunzelte er mit oder machte auch einmal den einen oder anderen Witz. Aber natürlich meist über sich selbst. Er machte sich nicht gern über andere lustig, wusste er doch zu gut, wie es sich anfühlte, das Opfer von Hohn und Verachtung zu sein. Gleichermaßen erschrak er über sich, da ihm dennoch hin und wieder etwas einfiel, was er bei anderen abwertend oder spöttisch betrachtete. Und so war er gespalten in seinen Reaktionen, sein guter Geist mochte die Späße des Argwohns zumeist wirklich nicht, nein, sie missfielen ihm regelrecht. Doch dann pochte etwas Fremdes in ihm auf und er musste schmunzeln.
Wo kommt das nur her?
Immer wieder sprach der Argwohn über ein altes Weib, zu dem sie hinmüssten. Sie könne an jedem Ort mit Franz und auch den anderen Wesen in dieser Welt reden.
»Sie sieht alles!«, sprach Iocus ganz frei heraus.
»War sie die laute Stimme vorhin, als du mir nicht hast antworten wollen?«
»Ja, ja. Das war sie. Denk nur scharf nach! Du weißt, wer sie wohl ist. Ist geprägt von Urbeginn. Kann dir Hinweise geben, Korrektur, Anmerkungen wohl. Kommt nur nicht raus, muss bleiben drin in ihrer Hütte. Der Schwarze Mann vertreibt sie sonst. Ach, was sag ich! Auslöschen würde er sie, wenn sie nicht bliebe im Licht.«
Franz hatte keine Ahnung, wer sie sein sollte. Er zermarterte sich den Kopf, entschied dann aber, dass es ihm nichts brachte. Wenn er sie sah, würde er sie fragen. Und wer oder was war eigentlich der Schwarze Mann?
So liefen sie weiter und weiter. Franz nach wie vor rückwärts, Iocus schwebte vor ihm, hinter ihm oder neben seinem Kopf. Gelegentlich setzte er sich auf seine Schulter, wenn er müde schien vom Fliegen. Manchmal aber hockte er auch auf Franz’ Kopf. Immer so, wie es ihm gerade beliebte. Es wurde immer dunkler und Franz fragte sich, wie lange sie schon gingen. Doch sein Zeitgefühl hatte ihn vor einigen Stunden schon verlassen. Der Argwohn achtete nun genau darauf, Franz immer rechtzeitig zu warnen, damit er nicht noch einmal fiel. Auch wenn man dem Argwohn anmerkte, dass es in ihm brannte, Franz noch ein weiteres Mal zum Stolpern zu bringen.
Dann endlich quiekte das Wesen von seinem Kopf: »Wir sind da. Miss Almadeamor, Miss Alma, wir sind da!«
Über seine Schulter sah Franz eine kleine Hütte. Sie hatte die Form eines Dreiecks, war zwei Mann hoch. Die Dachseiten reichten bis in die Erde und waren mit Moos, Gras und einem kurzen, dünnen Bäumchen bewachsen. Eine kleine, bucklige Esse befand sich im hinteren Bereich des Daches. Vor der Hütte sah Franz eine Veranda, deren Geländer an einigen Stellen gebrochen war. In der ihm zugewandten Dachseite gab es ein Fenster. So klein, dass Franz nicht einmal seinen Kopf hindurchstecken könnte. Ein schwaches, warmes Licht strahlte aus dem Inneren.
Franz wurde von einem Moment zum anderen bitterkalt. Er zitterte und schwitzte gleichzeitig. Seine Bewegungen wurden immer langsamer, er schien Stück für Stück einzufrieren. Dann hörte er etwas, das alles in ihm zusammenfahren ließ. Ein Tuscheln. Ein Raunen. Zähne klapperten und Sabber hörte er triefen.
»Rrrrmph … Rrrrmmmph …«, machten tausende Stimmen in unterschiedlichen Höhen und Stimmlagen.
Andere raunten und zogen immer wieder geräuschvoll die Nase hoch. Gequälte Schreie mischte sich dazwischen.
»Schnell!«, schrie der Argwohn Franz an und zog an ihm. »Die Schwärze hat sich gleich geschlossen. Schnell, nun komm!«
Franz stürzte die Veranda hinauf, kam ins Fallen und rollte rückwärts über seinen Kopf. Eine Tür wurde zugeschlagen und Franz verfiel in Düsternis.
Als Franz sein Bewusstsein zurückerhielt, umschloss ihn eine sommerliche Behaglichkeit. Wohltuende Wärme durchströmte ihn aus seiner innersten Tiefe heraus, benetzte sein Herz und seine Haut und entspannte sanft seine Glieder.
Verschwommen blickte er sich um, konnte jedoch so gut wie nichts erkennen. Er rieb sich die Augen. Alles wirkte doppelt. Die Umrisse pulsierten, waren mal nah und dann wieder fern. Alles drehte sich und stand auf dem Kopf, ehe es sich wieder entfernte. Auch sein Empfinden, ob er lag oder saß, schien ihn zu trügen. Als würde er auf dem Kopf stehen, tastete er um sich und spürte, dass er in eine riesige aufgeplusterte Decke gehüllt war.
Allmählich sah er erste schärfere Konturen und nach und nach erkannte er, dass er sich in einem großen Raum befand. Das Bett stand in der Mitte des Zimmers und er lag mit dem Rücken zu einer Eingangstür. Vor ihm zeigte sich ein kleiner Kamin mit einer Kochstelle. Rechts daneben hockte eine alte Dame auf einem antiken Hocker. Der Rest des Raumes quoll über von Bücherregalen, deren Inhalt wohl geordnet schien. Überall sah man Kärtchen mit Buchstaben und Verweisen.
»Miss Alma! Miss Almadeamor! Er ist munter.« Iocus setzte sich vor Franz auf die Decke und schaute ihn höhnisch an.
»Wo bin ich?«
Die Dame streckte sich und stand mit quietschenden und knarrenden Gelenken auf. Sie ergriff ihren kleinen Stock, der wie eine geschwungene Wurzel aussah, aber am oberen Ende den Kopf eines Franz unbekannten Tieres hatte. Es besaß scharfe Augen und spitze Zähne.
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