„Wusste Weilham davon?“ Remsen zweifelte an Dr. Stahlburgs Darstellungen; eine innere Stimme warnte ihn.
Der Oberstudienrat a.D. rutschte etwas nervös in seinem Sessel herum und zeigte sich unwirsch ob der Unterbrechung seines Gegenübers.
„Nein, nein. Weilham hätte dem Deal mit Safety Objects niemals zugestimmt, wen er gewusst hätte, mit wem sie es zu tun hatten. Schon früh schien sich Abtowiz tatsächlich als Chef einer üblen Truppe von Drogenbeschaffern versucht zu haben. Zumindest saß er einige Jahre deswegen hinter Gittern und musste für seine untauglichen Versuche büßen. So genau habe ich das nie rausbekommen. Was ich weiß ist, dass er über Verbindungen in Kaukasien an richtig harte Sachen rangekommen war und das Zeug in Polen und in Russland oder wie sich die Staaten gerade nannten, verkaufte. Es gab die üblichen Revierkämpfe, Tote und Ärger mit der Staatsgewalt. Seine eigenen Leute von einst spürten ihn auf. Ironie der Wende damals.“
Remsen dachte nach und suchte die Verbindung zum Mord an den jungen Weilham und seiner hübschen Mitfahrerin. Betrieben parallel zum Geschäft mit der Sicherheitssoftware Hausmann und Abtowiz noch illegale Dinge? Wenn ja, welche? Ist ihnen der junge Weilham in die Quere gekommen? Ahnungslos, zufällig? Setzte er sie unter Druck und wollte mit abkassieren? Musste er das mit dem Tod bezahlen?
Dr. Stahlburg genoss sichtlich einen weiteren Schluck aus seinem Glas, sog den Duft tief ein und ließ den Whisky langsam, ganz langsam durch die Kehle gleiten.
„Ich stellte mir dann die Frage, wie Abtowiz es schaffte, zu uns nach Vesberg und als Chef einer Sicherheitsfirma zu Ruhm und Ehre zu kommen.“
Remsen unterbrach ihn und wollte wissen, ob Hausmann und Abtowiz sich schon vor dem Deal kannten; wenn er sich in seiner Zeit als Pensionär schon einmal als Detektiv betätigte.
„Das glaube ich nicht, zumindest habe ich keine Indizien dafür. Abtowiz verließ nach seiner Haft Polen und wollte irgendwo in England neu anfangen. Viele Polen versuchten sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs dort. Unser Freund war aber wenig bereit, regelmäßig zu arbeiten. Also verlegte er wieder sich auf illegale Geschäfte und importierte junge Frauen aus Osteuropa für Liebesdienste auf die Insel. Er versprach denen Jobs und gutes Geld, was ja nicht einmal gelogen war. Abtowiz hatte das Pech, den Yakuza, Sie wissen schon, der japanischen Mafia in die Quere zu kommen. Die waren gerade dabei, von Amsterdam aus in England Fuß zu fassen. Abtowiz kehrte der Insel den Rücken und ging nach Deutschland und blieb in Vesberg hängen.“ Stahlburg unterbrach sich selbst, sah selbstgefällig drein, denn er wusste ganz genau, dass er mit dieser Geschichte Remsen beeindruckte.
Oder auch nicht!
„Dr. Stahlburg, das ist ja fast schon ein richtiges Dossier. Das kostet Zeit und Geld. Und braucht vor allem Verbindungen, Kontakte. Mal ehrlich, warum haben Sie sich so sehr für Abtowiz interessiert? CodeWriter alleine ist mir ein zu dünnes Brett, rein argumentativ.“
„Warum so skeptisch Herr Remsen? Ich hab das für Karl gemacht. Der Junge hatte es endlich mal in der Hand, was aus seinem Leben zu machen. CodeWriter war damals ein noch kleines Pflänzchen, um es Leuten wie Abtowiz auszuliefern.“
„Eine Frage Dr. Stahlburg: Sind Sie an CodeWriter beteiligt? Kommt daher Ihr Interesse?“
„Selbst wenn ich unehrlich wäre, bekommen Sie es ja ohnehin raus. Ja, als Minderheitsbeteiligter, aber ohne Mandat, operativ in die Geschäfte einzugreifen.“
„Wer hat die Recherche finanziert? Hausmann? Sie? Oder wer?“ Remsen sah sich mal wieder bestätigt, nicht gleich alles zu glauben, was einem so erzählt wird. Selbst wenn eine vertraute Quelle, wie ein Dr. Stahlburg, als durchaus glaubwürdig einzustufen ist.
Da Stahlburg nicht antwortete, fragte Remsen weiter nach.
„Hören Sie Dr. Stahlburg, hier könnten Verbindungen bestehen, die uns helfen, den Mord aufzuklären. Sagen wir mal so: irgendetwas stimmt hier nicht. Hausmann ist angeblich in Südamerika, der alte Weilham vögelt jeden Sonnabend Nutten drüben in den Clubs und sein Sohn baumelt zeitgleich mitten in der Nacht an einem Baum. Seine unbekannte Mitfahrerin stammte wahrscheinlich aus der Ukraine und ist auch hinüber. Erklären Sie es mir!“
Dr. Stahlburg bat um eine Auszeit. Er erhob sich und schlürfte zur Toilette. Unnatürlich lange, für Remsen viel zu lange, hielt sich Stahlburg in seinem selbstgewählten Schutzraum auf. Remsen überlegte, wie er reagieren sollte. Er vernahm keine Anzeichen, dass sich bei Stahlburg im Bad irgendwas regte. Unruhig, ungeduldig wie er war, klopfte er an der Tür und horchte. Er vernahm einen dumpfen Hall und hörte, dass irgendwelche Gegenstände auf den Boden fielen.
„Dr. Stahlburg, alles in Ordnung?“ Nichts regte sich, keine Antwort, keine Geräusche mehr. Remsen entschied sich und drückte die Klinke. Die Tür war verschlossen. Remsen sah sich um und stellte fest, dass in dieser alten Villa die Türen noch aus richtigem Holz und einigermaßen dick waren und wahrscheinlich nicht nur blaue Flecken garantieren. Remsen hörte noch einmal an der Tür und konnte noch immer nichts in drinnen hören.
Versuchen wir es. Er prüfte die Anlaufstrecke im Flur, versuchte aber erst einmal mit geringem Schwung. Wie erwartet regte sich nichts, die Tür gab nicht nach.
Ja, er musste.
Mit etwas mehr Anlauf startete Remsen den zweiten Versuch und sprang schwungvoll gegen die Tür. Mit einem heftigen Knall sprang die Verriegelung auf und die Verankerung des Schlosses löste sich. Holzspäne ragten heraus. Remsen trat energisch mit dem linken Fuß gegen die Tür, die nun endlich nachgab und auf ging.
Er stürmte in das geräumige Bad und sah Stahlburg mit heruntergelassener Hose neben der Kloschüssel liegen. Remsen nahm seinen linken unterm Arm über dem Handgelenk und fühlte von Stahlburg den Puls. Er lebte. Remsen schaute sich um und konnte nichts von einem Suizidversuch erkennen. Kein Messer, kein Blut, keine offenen Tablettenschachteln nichts.
Herzinfarkt!
Remsen rief auf der W36 an, gab seine Adresse durch und orderte einen Rettungswagen. Das Herz wahrscheinlich. In jedem Fall ein Zusammenbruch. Remsen war erschüttert, verzweifelt und vor allem entsetzt. Über die Wendung, die das Gespräch nahm, die enge Vernetzung des ehemaligen Studienrats mit CodeWriter und die unglaubliche emotionale Nähe von Stahlburg zu Abtowiz.
Warum beschäftigte sich Stahlburg so sehr mit Abtowiz? War es nur wegen Hausmann? Warum nur? Welche weiteren Verbindungen gab es zwischen den beiden? Leider schaffte es Stahlburg nicht mehr, ihm zu erklären, wer das Ganze bezahlt. So detaillierte Recherchen, in England, Polen und sonst wo auf dieser Welt kosten eine Stange Geld. Aus Eigennutz? Aus Welchem? Gut, er ist an CodeWriter beteiligt. Solange die Geld verdienen, verliert er keines. Das ist keine ausreichende Motivation, sich so zu engagieren. Und was ist, wenn Hausmann, Abtowiz und er, Stahlburg, so ganz nebenbei krumme Geschäfte machen. Hatte Stahlburg etwas mit dem Mord an Weilham jun. zu tun?
Am späten Sonntagabend landete die Cessna Citation Excel gut 150 km von Vesberg entfernt auf einem kleinen Flugfeld. Der Umstieg in den bereitgestellten Mittelklassewagen älterer Bauart dauerte nur wenige Minuten, um gleich darauf über den Autobahnzubringer in die Nacht zu verschwinden.
Nach wenigen Minuten Fahrtzeit schaltete er die Beleuchtung des Autos aus und hielt am Straßenrand.
Sicher ist sicher!
Er durchsuchte sein Gepäck und fand den eigens gebauten Peilsender. Jeder Laie würde das Gerät so nennen, aber es konnte viel mehr. Jetzt ging es erst einmal um seine Sicherheit. Mit eingeschaltetem Gerät umrundete er mehrmals das Auto. Er musste absolut sichergehen, dass ihn niemand orten und verfolgen konnte.
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