Peter Weis
Schlusslichter
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Titel Peter Weis Schlusslichter Dieses ebook wurde erstellt bei
Schlusslichter Schlusslichter Mannheim, 2012
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Mannheim, 2012
Es war nach 16 Uhr an diesem Spätsommertag im September. Die Sonne stand schon tief im Westen, aber es war immer noch sehr warm. Wie immer in den letzten Tagen um diese Zeit, saß Max Engels in seinem Lehnstuhl auf der Neckarwiese vor dem Uni-Klinikum.
Der Mann war bestimmt um die fünfzig und sah aus wie ein ramponierter Unteroffizier aus einem amerikanischen Kriegsfilm – kurzes, grau meliertes Haar, dunkle Augen, darunter harte Linien wie aus Fels gehauen. Einer seiner Schneidezähne war abgeschlagen, aber so schlimm sah das nicht aus. Engels trug einen bequemen hellbeigen Leinenanzug, Mokassins und ein Polo-Shirt ohne Aufdruck.
Von seinem Sonnenplatz aus konnte er bis zum Neckarplatt hinübersehen, und interessiert verfolgte er das Treiben auf dem Fluss. Das Training der Ruderer hatte es ihm angetan. Fasziniert sah er den vorbeiziehenden Booten immer wieder hinterher. Plötzlich schreckte er auf. Vom Kiesweg kamen knirschende Geräusche.
Max Engels reagierte instinktiv und fasste zu dem Stuhl neben sich. Mit einer schnellen Bewegung fuhr seine Hand unter das Badetuch und umklammerte dort den Griff der Halbautomatik.
Der Mann war nicht paranoid, aber auch kein gewöhnlicher Patient. Engels war Ermittler bei Europol. Fachbereich, Terrrorabwehr, und er erholte sich immer noch von seinen schweren Verletzungen. Islamistische Fanatiker hatten ihn bei einem Routineeinsatz in Lüttich niedergeschossen. Das war vor sieben Monaten gewesen. Die perforierte Aorta in seinem Oberschenkel hatte fast das Ende bedeutet, aber der Notarzt konnte die Blutung doch noch stoppen. Das rettete ihm das Leben.
Engels landete im Militärkrankenhaus in Koblenz. Nach zwölf Wochen Intensivstation, vollgepackt mit unzähligen lebenserhaltenen Maßnahmen und etlichen Operationen, wurde er auf Anraten der Therapeuten nach Mannheim verlegt. In der alten Heimat sollte er sich wieder völlig aufpäppeln.
Die Geräusche wurden lauter und die Schritte kamen schnell näher. Engels veränderte seine Sitzposition und drehte den Kopf.
„Wollen sie zu mir?“
Es blendete und seine Augen flackerten, er konnte nur undeutliche Umrisse erkennen. Die beiden Ankömmlinge vor ihm, hatten die Sonne im Rücken und warfen lange Schatten.
„Nach was sieht`s denn aus?“
Engels horchte auf, und dann erkannte er die massige Gestalt. Till Keller, der Staatsanwalt von Mannheim kam neben einer Krankenschwester den Weg entlang und geradewegs auf ihn zu.
Keller war gebaut wie ein Berserker, und vollkommen haarlos. Der kahle Schädel, sein Erkennungsmerkmal glänzte wie eine polierte Bowlingkugel.
Die bedrohliche Aura verschwand, und Max Engels spürte plötzlich sogar eine freudige Empfindung. Seit der Schulzeit kannten sich die Beiden, und scheinbar mochten sie sich. Alle paar Jahre kreuzten sich ihre Wege, immer mal wieder. Mit der freien Hand winkte er den großen Mann näher heran.
„Was führt dich denn hierher?“, grüßte er rau, aber er entspannte sich augenblicklich und zog seine Hand rasch aus dem Handtuch wieder zurück.
„Oh … Max. Erstmal will ich sehen wie es dir geht.“
„Ich sehe keine Blumen Herr Staatsanwalt“, knurrte Engels. „Du machst doch jetzt nicht gerade ernsthaft einen Krankenbesuch, oder?“
„Doch alter Freund, du hast richtig geraten.“
Till Keller trug wie immer einen blauen Anzug und ein weißes Hemd mit Krawatte. Die schwülwarme Luft schien ihm nicht viel anhaben zu können, aber er hatte dunkle Schatten unter den Augen.
„Aber es heißt jetzt Oberstaatsanwalt, soviel Zeit muss sein.“
Als sie sich die Hände schüttelten spürte Engels wie angespannt Keller war. Die Krankenschwester machte kehrt und der Hühne griff sich einen der rumstehenden Korbstühle.
„Ich habe einen Mord am Hals, und der Olymp kocht“, sagte Keller als die Frau außer Hörweite war. „Hast du mitgekriegt was hier los ist?“
Das Gestell unter ihm ächzte bedrohlich als er sich setzte.
„Meinst du den …Gasanschlag von dem alle sprechen?“
„Darum geht`s.“
Beschwichtigend hob der Oberstaatsanwalt eine Hand. „Aber ich würde eine andere Sprachregelung bevorzugen.“
„Wie du meinst.“
Keller nickte fahrig und griff sich mit zwei Fingern in den Hemdkragen. „Wie ich sehe bist du ja wieder einsatzfähig, und das freut mich jetzt sogar doppelt.“
„Verbindlichen Dank.“
Max Engels war sich nicht so sicher. Seine Hüfte war ein einziges Drahtgeflecht, und er brauchte zum Laufen immer noch eine der Krücken. Die Schmerzen konnte er zwar meistens ausschalten, aber in seinen Albträumen erlebte er immer noch die grausamen Augenblicke auf dem Straßenbelag in der Rue Saint-Remy, als er zusehen musste wie sein eigenes Blut aus ihm herauslief und in den grauen Gully sickerte.
Für einen Moment war Funkstille.
„Also wie fühlst du dich heute, Max?“
„Richtig gut.“
Die beiden Männer sahen sich an.
„Ich sitz in der Klemme“, erklärte Keller und verzog das Gesicht. „Ich brauche einen erfahrenen Ermittler“, sagte er dann noch leise. „Einen Pragmatiker, der uns schnell hilft, und auf den ich mich rückhaltlos verlassen kann, verstehst du?“
„Wie kommst du auf mich“, brummte Engels.
„Max, …nicht so bescheiden. Hier weiß doch jeder Kollege wer du bist.“
„Amen.“
Engels blickte hastig auf und begegnete dem Blick des Oberstaatsanwalts.
„Sag schon was du von mir willst.“
Till Keller erwiderte den Blick ohne einmal zu blinzeln.
„Hast du Interesse an etwas anspruchsvoller Ablenkung?“, fragte er in einem anderen Tonfall weiter. „Wie gesagt, wir haben einige gute Leute hier, aber ich brauche jemand mit deiner Erfahrung.“
Max Engels nahm Witterung auf, aber er spürte auch wieder das Gefühl, als alles um ihn kalt wurde, und wie sie seine Jacke aufrissen.
„Denk ruhig darüber nach, aber es eilt, mein Freund.“
„Ach ja?“
„Die Schockwellen kommen verflucht nahe.“
„Und wieso?“
„Wie gesagt, ich habe gerade einen furchtbaren Fall geerbt und dazu muss noch einen Engpass überbrücken.“ Till Keller räusperte sich. „Du kennst doch das Theater mit den Personalzuweisungen.“
„Ich lese immer noch Zeitung, Till. Was ist dran an der Geschichte mit dem Anschlag?“
„Das steht so noch nicht fest“, versuchte Keller die Nachricht noch einmal abzuschwächen, „Es war wohl eher ein Raubüberfall, aber tatsächlich wurde eine ganze Familie dabei ausgelöscht.“
„Gibt es schon Erkenntnisse?“
„Meine Leute haben doch gerade erst angefangen.“
Till Keller schüttelte den Kopf. „Und gerade jetzt wird meine erfahrenste Ermittlerin auch noch abgezogen.“
„Wie das?“
„Das glaubst du eh nicht, also versuch ich erst gar nicht dir eine Erklärung zu basteln.“
„Und warum lässt du dir das so diktieren?“
„Mir sind die Hände gebunden“, grunzte Keller. „Du kennst das doch.“
Noch einmal bohrten sich die Augen der beiden Männer ineinander.
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