Daneben stand ein Sekretär. Auf der anderen Seite befand sich eine Frisierkommode und ein großer Spiegel. Engels Blick wanderte automatisch zur Lüftungsöffnung.
„Bitte warten sie einen Augenblick.“
Max Engels schloss die Tür hinter sich. Die Anstrengung setzte ihm zu. Alles drehte sich. Der fehlende Schlaf, dachte er, und zwang sich gleichmäßig zu atmen. Nach einigen Minuten kam er wieder auf den Flur.
„Bei ihnen alles in Ordnung?“
Der Uniformierte schwieg für einen Moment, dann nickte er und gemeinsam gingen sie sie die Treppe hinunter.
„Und, wie sieht`s aus?“
Kemmer kam gerade durch die Terrassentür wieder zurück ins Wohnzimmer. Mit einem Seitenblick fragte er: „Mögen sie Eishockey?“
„Manchmal…“
Engels zog die Handschuhe aus und warf sie in den Müllsack der Spurensicherer.
„Da hinten befindet sich noch ein Schlafzimmer“, sagte Kemmer und zeigte mit seinem langen Lineal den Flur entlang. Sie machten einen Bogen nach rechts. Direkt neben der Küche lag der Essbereich, der war im Landhausstil möbliert, und dann kam noch ein kleinerer Flur. An der ersten Tür hing ein Zeichenblatt. „Hier wohnt Susanna“, stand in großen Blockbuchstaben darauf.
„Wo ist das Mädchen?“, fragte Engels. „Sie war ja wohl nicht im Haus als es passiert ist, oder?“
Der Streifenbeamte sah ihn forschend an, streckte dann seinen Arm aus und öffnete die Tür. Nebeneinander blickten sie in ein ordentliches Jugendzimmer. Das schmale Bett war gemacht und die Tagesdecke ordentlich darübergebreitet. Ein Laptop, der so aussah wie der von Sandy, stand ausgeschaltet, aber aufgeklappt auf dem Schreibtisch. Ein verblichenes Poster von Britney Spears hing neben der Tür.
„Reicht das jetzt?“
Widerstrebend nickte Engels.
Zusammen kamen sie aus dem Haus und gingen weiter durch den Vorgarten.
„Diese Susanna, wer ist das?“
„Vielleicht eines der Hausmädchen, oder?“ Kemmer rollte mit den Schultern. Neben dem Straßenrand blieb er stehen.
„Wäre möglich.“
Einige Stunden später saß Engels bereits im Alten Bahnhof. Die Kneipe neben der Kurpfalzbrücke war immer noch ein beliebter Treffpunkt, und proppenvoll, wie fast jeden Abend.
An der riesigen Theke fanden sich immer interessierte Gesprächspartner. Viele Cops, auch Ehemalige verkehrten hier, Uniformen sah man allerdings selten.
Die Rückfahrt von der Insel war recht einsilbig verlaufen. Nur Max hatte gesprochen, aber leise und Till Keller hatte ihm aufmerksam zugehört. An der Eingangspforte zum Klinikum war Engels mit einem knappen Gruß ausgestiegen.
„Lass dir was einfallen, Max“, hatte Keller halblaut hinter ihm hergerufen. „Wir brauchen ein schnelles Ergebnis.“
„Den Spruch kenne ich.“
Dann war der Wagen weitergefahren. Engels sah sich nicht um und blieb auch nicht stehen.
Nach einem kurzen Abstecher auf seinem Zimmer, hatte er sich noch einmal aufgerafft und war zu Fuß losgelaufen.
Aber der Fußmarsch war arg anstrengend geworden. Engels musste mehrmals anhalten und einige Male auch länger stehen bleiben Bei jedem Auftreten drückten die Schrauben stärker, und er spürte jeden Schritt von innen. Kein angenehmes Gefühl. Als er es endlich in die alte Wartehalle geschafft hatte, war sein Gesicht schweißnass gewesen.
Schwer atmend setzte er sich an einem der eckigen Holztische und tastete mit der Hand vorsichtig über die Hüfte und den Oberschenkel. Jeden Zentimeter fuhr er so ab. Die Schmerzen fühlte er bis in den Unterschenkel.
Er war immer noch heftig am Pumpen, und er hatte auch Durst. Der bittere Geschmack in seinem Mund musste endlich weg.
Als die Schmerzen erträglicher wurden, bestellte er sich eine Neckarpfanne. Die Spezialität des Hauses, wie es in der Speisekarte hieß. Dann kam das erste Bier.
Immer wieder ging sein Blick hoch zu einem der großen Fernseher. Daneben kreisten mächtige Ventilatoren, aber er nahm keine Notiz davon.
Matchday! Auf dem Sportkanal lief Fußball. Gleich spielte Schalke gegen die großen Bayern aus München.
Endlich erschien die Gusspfanne vor ihm, und Engels begann zu kauen. Wie immer hielt er mit der einen Hand den Teller fest und schaufelte mit der anderen das Essen in sich hinein.
Mehrmals sagte er zu sich selbst: „Verflucht nochmal“, und versuchte sich auf das Spiel zu konzentrieren, aber immer wieder schweiften seine Gedanken ab auf die Insel, seinen Bratkartoffeln und dem Hintern der rothaarigen Bedienung.
Zunehmend wurde es um ihn herum lauter. Der Laden war bereits brechend voll, aber immer noch drängten etliche Leute herein. Männer wie Frauen, alle waren in toller Stimmung, nicht betrunken, aber aufgekratzt. Gelächter brauste auf, denn die Fans aus beiden Lagern lieferten sich auch zotige Wortgefechte.
Aber es gab noch einen anderen Grund für das aufgeregte Gemurmel. Sabine Back war aufgetaucht und auch das blieb nicht ohne Wertung. Gelassen, wie es nur sehr souveräne Frauen schaffen, schob sich die großgewachsene Frau hüftschwingend zwischen den engstehenden Tischreihen hindurch. Sie sah dabei aus, als würde sie es ohne Probleme schaffen auch über die Tische steigen. Etliche Augenpaare folgten jeder Bewegung von ihr.
Ohne auf die Blicke zu achten zwängte sich Back dicht an Engels Tisch und setzte sich ihm flegelhaft direkt gegenüber. Herausfordernd starrte sie ihn an, und deponierte ihre Jacke achtlos auf dem Stuhl neben sich.
„Ist hier noch frei?“
Max Engels reagierte nicht gleich. Erst als Back sich räusperte, sah er sie an und konterte mit rollenden Pupillen.
„Aha, und?“
„Manche Dinge ändern sich wohl nie.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen schielte sie auf sein leeres Glas. „Da sie nicht in ihrem Zimmer waren, habe ich mir gedacht, dass ich sie hier finde“, sagte sie, produzierte eine Kaugummiblase und ließ die geschickt vor seinem Gesicht zerplatzen.
„Interessieren sie sich denn für Fußball?“
Engels lächelte. Ihm gefiel die Vorstellung.
„Nicht so sehr.“ Back blieb locker, aber dann zögerte sie kurz. „Ehrlich gesagt gehe ich lieber zum Eishockey.“
„Kommen sie oft hierher?“
„Schon möglich“, gab sie zu. „Aber nur, wenn die Adler gewonnen haben.“
„Haben sie Ian Kaufmann eigentlich noch selbst spielen sehen?“, fragte Max Engels amüsiert weiter.
„Was glauben sie denn?“, kam es schnippisch zurück. „Für den habe ich früher sogar mal echt geschwärmt.“
„Sagen sie bloß?“
„Mit Kicker-Starschnitt und allem was dazugehört“, sagte Sabine Back wie verträumt. „Ian Kaufmann war doch einer der ganz, ganz Großen. Der hat uns `97 und `02 quasi die Meisterschaft geholt. Damit ist er bei uns Fans unsterblich geworden.“
„Hm…“ Engels wartete.
„Solche Spieler vergisst man nie.“ Sabine Back holte einmal Luft, hielt dann jedoch inne, und sagte: „Nach Kaufmanns Karriereende wurde seine Rückennummer, die Vierzehn nie mehr vergeben.“
Max Engels zog nur die Brauen hoch, kaute aber seelenruhig weiter.
„Kaufmann trug immer die Vierzehn , verstehen sie?“
„Das wusste ich nicht.“
„Jetzt hängt das Trikot unter dem Hallendach der SAP-Arena.“
„An was denken sie gerade?“
Back musste nicht antworten. Die Kellnerin kam heran und fragte ob sie einen Wunsch hätten. Sabine Back schob Engels ihr Gesicht entgegen.
„Trinken sie ein Glas mit?“ fragte sie unverwandt und bestellte mit ausgestreckten Fingern zwei Bier. „Die gehen aber auf ihren Deckel.“ Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Eine Art Einstand, das kennen sie doch noch?“
Engels schluckte den letzten Bissen unzerkaut hinunter „Wollen sie sich jetzt echt über den Fall unterhalten?“ fragte er, legte sein Besteck ab und schob den leeren Teller zur Seite.
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