„Und du gibst natürlich brav nach?“
Keller überhörte das und fuhr fort: „Ein ganz wichtiger Fall ist das, verstehst du?“
Vorsichtig sah er sich um ehe er antwortete, als befürchtete er beobachtet zu werden.
„Hör auf damit“, brummte Engels. „Das mieft ja bis hierher.“
„Ich mein`s ernst, Max.“
Keller sah noch ernster aus. „Ich habe viel zu wenig Beamte und es brennt an allen Ecken.“
„Es ist überall das Gleiche“, sagte Engels mit schmalen Lippen, „aber deinen Tatort kann ich mir ja mal ansehen.“ Er begann sich etwas aufzurichten. „Kriegst du mich hier raus?“
Keller nickte sofort. „Mit dem Innenministerium ist das schon geklärt, und dein Chef ist auch einverstanden.
„Das überrascht mich jetzt doch.“ Engels grinste. „Hat der Personalrat tatsächlich nichts einzuwenden?“
Keller winkt mit einer Hand ab. „Auch der ISIM nicht. Das ist alles geklärt“, sagte er schleppend. „Glaub mir, du hast bis auf weiteres Sonderurlaub.“
„Dann kann`s von mir aus auch sofort losgehen.“
Engels erhob sich und verstaute die Pistole etwas umständlich in seinem Hosenbund hinten unter der Jacke. Mit einer höflichen Handbewegung hatte er Kellers Angebot, ihm beim Aufstehen zu helfen, abgelehnt.
Till Keller übersah die Bewegung und stapfte missmutig los. Der Kies knirschte unter seinen Sohlen.
Max Engels warf noch einen schnellen Blick auf den Fluss. Griff nach seiner Metallkrücke und folgte dem Oberstaatsanwalt etwas mühsam.
Kellers Dienstwagen war ein silberfarbener Mercedes und parkte auf dem vorderen Parkplatz zwischen allen möglichen anderen Karossen.
Der Chauffeur, ein rundlicher Polizeimeister war offensichtlich ausgedehnte Verweilzeiten gewohnt. Mit verschränkten Armen saß der Mann auf dem behaglichen Vordersitz der S-Klasse, hatte den Kopf gesenkt und versuchte nicht einzuschlafen.
Als die beiden Männer neben dem Wagen ankamen, klopfte Keller einmal sachte an das Seitenfenster. Der Fahrer zuckte hoch, und schlagartig erstarb das Radiokonzert im Innenraum. Keller schob sich auf die Rückbank und Engels kletterte neben ihn.
„Wir können gleich fahren, Hans.“
Wenig später rollten sie vom Parkplatz und der Fahrer fädelte die große Limousine geschickt in den fließenden Verkehr.
Während sie die Straße entlangschwebten lehnte sich Engels zurück in die Polster und ließ den Blick durch die Seitenscheibe wandern.
„Mit K.o.-Gas hatte ich schon mal zu tun“, sagte er als sie an der Ampel standen. „Fentanyl!“
Mit der flachen Hand fuhr er dabei, wie suchend über das Lederpolster neben sich. „In Russland war das. Das Zeug wurde damals von Spezialeinheiten eingesetzt.“
„Tatsächlich?“
Keller drehte sich zu ihm.
„Ich war bei der Erstürmung des Dubrovka-Theaters mit dabei“, erklärte Engels knapp. Für einen Moment schloss er die Augen. „Terroristen und Geiseln waren damals auszuschalten.“
„Ich erinnere mich“, sagte Keller gedämpft. „Bei dem Einsatz sind doch massig Leute ums Leben gekommen.“ Noch etwas leiser fügte er hinzu. „Natürlich habe Ich davon gelesen.“
Engels nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. „In dem Theater sind damals tatsächlich mehr als hundert Geiseln gestorben“, brummte er. „Manche Quellen behaupten sogar noch viel mehr, aber siebenhundert Menschen haben überlebt.“
Till Keller starrte nur geradeaus.
„Fentanyl ist ein übles Zeug.“
Engels streckte seine Beine und fixierte seinen Nebenmann. „Wenn du Pech hast und zu viel davon abkriegst, kotzt du dir die Lunge aus dem Hals, zumindest, wenn du wieder aufwachst.“
„Wie wird das Gas eingesetzt?“
„Soweit ich mich erinnern kann, haben die damals gesprüht!“
Kellers Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. „Dann weißt du ja wovor wir alle Angst haben…“, sagte er matt.
In dem Moment machte ihm der Fahrer ein Zeichen. Er hob seine Hand und schwenkte etwas, das aussah wie eine schwarze Brieftasche. Keller reagierte, beugte sich vor und nahm das Smartphone entgegen.
„Einfach und wirkungsvoll.“
Till Keller drehte den Kopf weg und wischte mit dem Daumen über das Display. Er überflog den Text, der vor ihm aufleuchtete, und scrollte schnell weiter.
„Sieh dir das an“, unterbrach er das Schweigen. „Unsere Zielfahnder haben im Handelshafen einen Kokaintransport abgefangen.“
„Toll.“
Engels hob beide Hände und ließ sie gleich wieder sinken.
„Die Ermittlungsgruppe hat siebenhundert Kilo von dem Dreck aus dem Verkehr gezogen.“
„Glückwunsch an die Abteilung.“
„Das werde ich so weitergeben.“
Till Keller grinste etwas verkniffen.
Eine Pause entstand.
„Habt ihr die Dealer auch erwischt?“, fragte Engels.
„Bestimmt nicht alle“, antwortete Till Keller. „Aber einige von denen sitzen jetzt bestimmt schon in Durlach.“
„Dann wird`s demnächst in der Region etwas unruhiger werden“, gab Engels noch von sich.
„So ein Schlag gegen die Drogenszene war lange überfällig.“
„Die Einbruchsziffern werden auch ansteigen.“
Kellers Stimme klang leicht abwehrend. „Endlich haben wir etwas Zählbares.“
„Glaubst du bei der Gasaschlag handelt es sich um einen Einbruch?“
Kellers Kopf ruckte herum.
„Keine Ahnung“, knurrte er, „aber das werden wir herausfinden. Wir wissen noch nicht viel, aber wo sich Geld trifft, da treiben sich auch Kriminelle rum. Im letzten Herbst haben die Kollegen in Frankfurt eine Bande von Rumänen geschnappt, die hatten im Taunus hunderte Häuser ausgeplündert.“
„Aber eine ganze Familie umzubringen, das passt doch nicht zu einer Überfallserie.“
Keller schüttelte den Kopf, aber er sagte nichts mehr.
Der Verkehr wurde noch dichter, aber der Chauffeur steuerte den Wagen ruhig weiter die Straße entlang. Hie und da gab es Schaufenster und Geschäfte. In der Ferne hörte man die Sirenen von Polizeiautos oder Ambulanzen. Für ein paar Straßenbiegungen sagte keiner mehr ein Wort.
„Hat sich schon jemand zu der Tat bekannt?“ fragte Engels nach einer Weile. „Du vermutest doch auch einen Terroranschlag?“
„Hoffentlich ist es das nicht.“
Der Oberstaatsanwalt räusperte sich geräuschvoll. „Das heißt im Klartext, dass ich mir das gar nicht erst vorstellen will, verstehst du?“
„Was wisst ihr über die Opfer und die Hintergründe?“
„Nicht viel, nur, dass es sich um Ian Kaufmann und seine Familie handelt.“
„Meinst du den … äh…Eishockeyspieler?“
„Ja.“
„Ian Kaufmann …der soll tot sein?“
Engels Stimme wurde lauter. „Geht`s hier um durchgeknallte Stalker? Verdammt! Was willst du denn andeuten?“
„Blödsinn.“
Till Keller duckte sich leicht.
„Kaufmann war ein Idol. Als Sportler … war er ein Held, und für die Adler ein gigantischer Imageträger.“
„Ich habe immer gedacht der wäre deutscher.
„Kaufmann kam aus Québec und war Frankokanadier.“
„Ist das wichtig?“
„Ian Kaufmann lebte schon etliche Jahre in der Stadt, und besaß seit langem einen Tennisclub. Der war verheiratet und hatte zwei fast erwachsene Töchter.“
„Der Mann ist echt eine Legende“, sagte Engels nach einigen wenigen Augenblicken. „Bevor Ian Kaufmann zu den Adlern kam, war er jahrelang Profi in der NHL.“
Dann zählte er auf. „Zuerst bei den Minnesota Wild und dann bei Chicago Wolves. In den Neunzigern hat er sogar in der Kanadischen Nationalmannschaft gespielt, ich glaube, er hat 1991 in Finnland und `92 in der Tschechoslowakei WM-Gold geholt…“
„Sport ist nicht unbedingt meine starke Seite“, schnappte Keller dazwischen.
Engels lächelte etwas halbherzig.
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