„Ist das so?“
„Woher weißt du das alles?“
„Ian Kaufmann war Vossens Idol“, sagte Engels und knabberte dabei an seiner Unterlippe, und da fragte Keller nicht weiter.
Während sie die Straße entlangschwebten dachte Engels zurück an den Tag in Lüttich, und an Laurent Vossen, seinen Kollegen, der nicht so viel Glück gehabt hatte wie er, und der an dem Vormittag im Mai auf der Rue Saint-Remy im Kugelhagel verblutet war. Max Engels hatte immer noch ein schlechtes Gewissen deswegen.
„Ist schon seltsam mit diesen ehemaligen Sportsstars“, sagte Till
Keller nach einer kurzen Weile und folgte dabei Engels Blick nach draußen.
„Sie sind wie schwarze Löcher, die ziehen das Elend nur so an.“
„Stell dir vor, du hast deine große Zeit mit zweiundzwanzig“, sagte Max Engels nachdenklich. „Dann bist du für den Rest deines Lebens nur noch ehemalig.“
Der Oberstaatsanwalt starrte Engels an und wartete auf das erlösende Gelächter.
Es kam nicht.
Noch achthundert Meter. Vorbei an dem verlassenen Fußballplatz. Dann hatten sie die Brücke erreicht. Der Fahrer setzte Blinker und einen Augenblick später rollte die silbergraue Limousine langsam hinüber auf die Insel.
Max Engels betrachtete die schmale Brücke und für einen Augenblick verspürte er einen Anflug von Wehmut. Dann ging es nach links. Hohe Baumreihen und kiesbestreute Feldwege. Nur die Zufahrt zu den paar Häusern war geteert. Weiße Flatterbändern sperrten den Weg, aber der schwere Wagen wurde nicht einmal aufgehalten. Die Streifenpolizisten winkten nur zackig.
Der Weg zog noch eine Schleife und dann baute sich eine Hausgruppe vor ihnen auf. Steil wie ein Schiffsbug sah das aus. Gegenüber auf der schattigen Straßenseite war eine kleine Menschenmenge versammelt. Die Passanten reckten immer wieder die Hälse und starrten neugierig zu dem zartgelben Sandsteingebäude hinüber.
Mehrere Funkwagen der Schutzpolizei und zwei Zivilfahrzeuge parkten vor dem Grundstück und blockierten damit die Zufahrt. Etliche Polizisten in Uniform liefen suchend umher.
Außerdem parkte ein Übertragungswagen der RNF-Nachrichten auf der Straße und die Reporter unterhielten sich mit den aufgeregten Zuschauern und hielten jedem ein Mikrophon unter die Nase, der den Mund aufmachte.
Kellers Fahrer stoppte neben einem mit Unkraut überwucherten Grundstück und die beide Männer hinter ihm stiegen wortlos aus. Keller ging voraus. Engels hatte seine Krücke im Wagen liegenlassen. Er bewegte sich vorsichtig und biss einige Male die Zähne aufeinander. Auf die Passanten achteten sie nicht.
In der geteerten Grundstückseinfahrt stand der Transporter der Spurensicherung. Daneben ein uniformierter Polizeibeamter mit einem Klemmbrett in der Hand. Oberstaatsanwalt Keller winkte dem Mann zu und blieb wartend neben dem offenen Torflügel stehen.
Engels ging einfach den Weg weiter, bis zum Carport. Unter dem Dach standen zwei Autos, ein Stadtjeep und ein kleiner Wagen mit Faltverdeck.
Er hob das Absperrband hoch und bog sich darunter durch. So gelange er in den Garten. Der Duft von den Obstbäumen mischte sich mit dem von frischem Gras, und es war angenehm schattig.
Stimmen drangen aus dem Haus, aber er konnte nur ein paar undeutliche Wortfetzen auffangen. Sofort fiel sein Blick auf die uniformierten Beamten vor ihm.
Die große Terrasse lag etwas erhöht und war überdacht mit einem schrägen Glasdach. Vorsichtig kam Engels die wenigen Stufen hoch und ging direkt auf die breite Schiebetür zum Wohnzimmer zu.
An der schmalen Hausseite richtete sich eine junge Frau auf und schüttelte gerade noch den blonden Kopf. Als sie Engels bemerkte unterbrach sie das Gespräch und kam ihm geschmeidig entgegen.
Sie kamen zu zweit, und Engels erkannte die Frau sofort.
„Back! Also doch.“
Alles kam wieder. Sabine Back, und die alten Geschichten mit ihr. Als Back an der Polizeischule angefangen hatte, war sie für zwei Semester Engels Schülerin gewesen, und bereits zu der Zeit hatte sie es problemlos geschafft, ab und an seinen Puls zu beschleunigen.
Jetzt war Sabine Back die jüngste Ermittlungsgruppenleiterin in der Region, und ein echter Star der Badischen Kripo. Immer wieder stand sie im Rampenlicht. Nicht nur wegen Ihrer beachtlichen Erfolge, sondern vor allem auch wegen ihres Lebensstils als männerfressender Vamp.
Ruckartig blieb Engels stehen und starrte der Frau entgegen. Bis er sah wie es in ihren Augen leicht aufblitzte.
Sabine Back überragte alle Anwesenden um mindestens eine Kopflänge. Die Frau war Mitte Dreißig, und hatte kein Gramm zu viel am Leib. Sie hatte ein fein geschnittenes Gesicht mit einem angriffslustigen Kinn. In ihren dunklen Augen schien ständig ein Gewitter aufzuziehen.
Es ist lange her“, sagte Max Engels als erster. „Aber eigentlich hätte ich mir denken können, dass wir uns ausgerechnet an einem Tatort, in der Stadt hier über den Weg laufen.“
Die große Frau mit den raspelkurzen Haaren kam näher und grinste.
„Ich geb`s zu“, sagte sie. „Manchmal hat man es mir sogar genauso prophezeit, Max Engels.“
Ihr Lächeln wurde breiter. Es wirkte fast deplatziert, aber die Frau hatte für einen Moment das Gesicht eines fröhlichen Mädchens, nicht das einer rabiaten Kommissarin der Mordkommission.
Sie musterten sich gegenseitig und ließen sich auch dabei etwas Zeit dabei. Back trug einen engen dunkelblauen Hosenanzug mit weißer Bluse, und modische Springerstiefel. In jedem Ohr von ihr steckten eine Menge Ohrringe und das kurze Haar war maisgelb gefärbt. Sie kaute ihren Kaugummi und starrte Engels an.
„Was ist jetzt?“
„Ich soll hier arbeiten“, sagte Engels.
„Hat sie der Oberstaatsanwalt schon eingewiesen?“
Engels zwinkerte ihr zu. „Tatsächlich hat er nur zu mir gesagt: Das macht zwar die Lange, aber...“
„Habe ich etwa dafür meinen Termin sausen lassen?“
„Schade…“
Mechanisch erwiderte Engels ihr Lächeln. „Bestimmt kann man was Neues ausmachen.“
„Kein Problem.“
„Ich weiß, dass das hier eigentlich ihr Spielplatz ist.“ Engels wurde wieder ernsthaft. „Aber ich freue mich sie zu sehen, und dass sie noch auf uns gewartet haben, finde ich, ehrlich gesagt, … taff.“
„Was?“
„Was?“
Engels gab ihr die Hand.
„Gleichfalls.“
Unwillig winkte Back ab, aber ihre Augen flackerten.
„Außerdem wollte ich halt unbedingt rausfinden, ob sie sich noch an ihr Fußvolk von damals erinnern.“
„Sie haben sich überhaupt nicht verändert, Verehrteste“, sagte Engels geduldig, „aber ich vergesse nie ein Gesicht. Das wissen sie doch hoffentlich noch.“
Dann begrüßte Max Engels auch den Kollegen von der Spurensicherung. Arthur Kemmer, klein, gepflegter Ziegenbart, wache Augen.
„Erst mal so was wie Entwarnung“, sagte Kemmer launisch. „Es war kein VX, oder ein anderes Giftgas, aber ähnlich gemein.“
Der Mann steckte in einen weißen Kunststoffoverall, und war zugeknöpft bis zum Kinn.
Engels betrachtete seinen Gegenüber einen Augenblick länger.
„Das hört sich doch gut an.“
„Vor allem ist es verbindlich“, erwiderte der Techniker trocken, „und darum ist es die gute Nachricht.“
Danach war eine Zeitlang nur das Rauschen des Windes zwischen den Bäumen zu hören.
„Keine Gefahr mehr. Wir haben jedes Zimmer im Haus gecheckt.“.
„Was war es für ein Zeug?“
„So schnell können wir noch nicht “, knurrte Kemmer säuerlich in Engels Richtung. „Das Labor kümmert sich um die Bestimmung, aber geben sie mir noch ein paar Stunden.“
„Was wissen wir schon?“
Sabine Back und der Kriminaltechniker sahen sich schnell an.
„Den Kollegen muss ich jetzt wohl nicht weiter vorstellen, oder?“ Oberstaatsanwalt Keller, der inzwischen herangekommen war, machte den Umstehenden ein Zeichen mit der Hand. „Max Engels hilft bei uns aus und führt ab sofort die Ermittlungen.“
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