Stiegermann schaltete sein Mikrofon ab und zeigte den anwesenden Journalisten im Saal damit deutlich, dass die Show für ihn jetzt vorbei ist. Egal, was die TV-Sender heute Abend dazu zeigten oder süffisant kommentierten. Die PK ist einzigartig schlecht gelaufen; das wird ein Nachspiel der besonderen Sorte haben.
Dietering und Ulrich folgten ihm und ließen die Journalisten mit ihren unbeantworteten Fragen im Presseraum zurück.
Jutta Kundoban ließ es sich nicht zweimal sagen und verplante den unverhofft freien Abend schnell. Jetzt saß sie bei ihrer Freundin Claudia. Während beide auf das Eintreffen ihrer bestellten Pizzen warteten, zappten sie durch die Programme.
Was soll an einem Sonntagabend vor dem Tatort schon Interessantes zu sehen sein? Als Jutta bei Claudia angerufen und sich angekündigte, erklärte diese ihr, dass Bit auch noch kommen würde. Wenn sie, Jutta nichts dagegen hätte, wäre sie willkommen.
Da Bit noch nicht da war, musste der Fernseher herhalten. Denn Jutta verspürte nach der kurzen und herzlichen Begrüßung plötzlich nur noch das Gefühl, erschöpft zu sein. Sie wollte sich einfach nur noch dahintreiben lassen. Jede Erklärung, jede Diskussion erschienen ihr mit einem Mal zu viel. Inzwischen bereute sie es, überhaupt hierhergekommen zu sein. Andererseits war sie auf der Suche nach Nähe, nach der Nähe zu ihrer Freundin, ohne sich gleich erklären zu müssen.
Jutta stibitzte sich die Fernbedienung und hangelte sich durch die Sender. Sie blieb bei einem lokalen Sender hängen, denn was da gezeigt wurde, fesselte sofort ihre Aufmerksamkeit. Unschwer konnte sie erkennen, dass es eine nahezu unkommentierte Übertragung der Pressekonferenz war, der sie entfliehen konnte. Dietering musste wohl schon seine Eingangserklärung vorgelesen haben, übrigens ein Ritual was er aus dem tiefsten Bayern mitbrachte. Sie wartete nun darauf, dass die Kamera auf Remsen schwenkte, denn der wird ja wohl der meist gefragteste auf dem Podium sein.
Dachte sie sich zumindest so!
Einigermaßen erstaunt stellte sie mit der Zeit fest, dass neben Dietering nur der Staatsanwalt und Hanns-Peter anwesend waren. Wo war Jan Remsen geblieben? Jutta suchte nach ihrem Handy und wählte die Nummer von Jans mobilem Telefon an. Nach einiger Zeit sprang seine Mailbox an; von ihm war nichts zu hören. Mist, die anderen Telefone bringen ganz sicher nichts, da Jan ohne sein Smartphone keine Sekunde mehr lebensfähig war.
Das kann doch nicht sein? Jan ist der Leiter der Mordkommission und nicht bei der PK dabei? Hat der alte Sepp; Jan hatte eine Vorliebe für schräge Spitznamen, ihn abkommandiert oder eine Spezialaufgabe verpasst? Dann wäre er doch an das Telefon gegangen; ihre Nummer hätte Jan bestimmt nicht ignoriert. Mit Hanns-Peter kann es nichts zu tun haben, die beiden mögen sich zwar nicht sonderlich, respektieren sich dennoch. Kann also nur Stiegermann dahinter stecken. Wenn Remsen ab- und bei der PK nicht wiederauftauchte, werden beide Krach miteinander haben.
Jutta war so angespannt, dass sie überhaupt nicht mitbekam, wie einer der Reporter ihre Kollegen in die Enge trieb. Ihre Freundin Claudia stand schon einige Zeit hinter ihr und massierte ihr den Nacken. Sie musste dringend ins Bett und mal so richtig ausschlafen.
„Den kenne ich“, meinte sie und deutete mit dem Kopf auf den Fernseher, „das ist einer vom Vesberger Tageblatt. Die müssen verdammt gute Drähte zu Informanten haben oder stellen es einfach geschickter als andere an. Die Zeitung liegt bei uns im Warteraum für Kunden, ich lese mir immer die regionalen Seiten durch. Da schreibt der Typ, Gutmann oder so, ziemlich viel.“
Jutta fand inzwischen den Faden und ihre Aufmerksamkeit wieder und korrigierte ihre Freundin ungern: „Guther heißt der Mann, meine Liebe.“
„Ach ja, Kai-Uwe Guther. Der schreibt aber nur Dinge, die er selbst recherchiert hat. Woher weiß der eigentlich, was ihr bei der Polizei so macht?“
Gute Frage, dachte sich Jutta. Von den wenigen Fetzen, die sie mitbekommen hat, gewann sie mittlerweile auch den Eindruck, dass der Mann wirklich gut Bescheid wusste. Daraus folgte nur die eine Frage: Wer ist das Leck bei uns?
An der Wohnungstür klingelte es; könnte nur die Pizza sein. Claudia ließ von Juttas verspanntem Nacken ab und drückte auf den Türöffner. Es war aber nicht der Pizzabote, sondern ihr gemeinsamer Freund, eher ein Bekannter aus alten Kinderzeiten und Schultagen: Edwin Bittling. Er stürmte in die Wohnung, umarmte Claudia mit einem Küsschen und bahnte sich den Weg in Richtung Fernseher.
Mann, ist der fett geworden, entfuhr es beinahe Jutta. Sie hatte Bittling schon eine geraume Zeit nicht gesehen. Sie konnte aber ihre Entrüstung gut verbergen und heuchelte ein freundliches Hallo.
„Habe ich schon im Autoradio gehört, spannende Geschichte. Bist du nicht mit dabei Jutta?“ Das obligatorische Küsschen bekam auch sie ab.
„Oh doch, seit Freitagabend fast durchgängig. Habe aber einige Stunden frei bekommen, um mich zu entspannen. Die nächsten Tage werden richtig anstrengend.“ Jutta brachte wirklich keine Lust auf, Bit vom Ermittlungsverlauf zu berichten. Abgesehen davon, dass sie eh nichts berichten durfte.
Rettender weise klingelte es erneut und jetzt war es der Mann mit der Pizza. Claudia bezahlte für alle und brachte strahlend neben den drei Kartons noch ein Präsent in Form einer Flasche Rotwein mit an den Tisch.
„Abendbrot meine Lieben. Kalte Pizza schmeckt scheußlich.“ Wie auf Kommando stürmten Bit und Jutta an den Tisch. Bit erbot sich als Mann, die Flasche Wein zu öffnen, während Jutta Besteck und Gläser aus der Küche holte.
Beide Freundinnen mochten Bit, der sich in den letzten Jahren als IT-Mann einen Namen gemacht macht. Davon verstanden sie aber nichts, sodass sie mit ihm darüber nie sprachen. Wobei, eigentlich hatte Claudia mehr Kontakt zu ihm. Sie war es auch, die ihren Edwin dabei half, mit der Frauenwelt zurechtzukommen. Zugegeben, ein hoffnungsloser Fall. IT-Freaks halten von Frauen wohl überhaupt nichts oder sie sind schwul. In etwa in dieser Gegend ist auch das Gefühlsleben von Bit angesiedelt.
Und sie stehen auf Kriegsfuß mit Weinflaschen, wie beide Freundinnen amüsiert mit ansahen. Offensichtlich war Bit gerade dabei, die erste Weinflasche seines Lebens zu öffnen. Entsprechend fielen die Kommentare aus. Jutta, die es genoss, mit Remsen bei sich oder bei ihm in der Wohnung einen guten Wein zu trinken und fast schon nebenbei die Fälle zu lösen, erlangte inzwischen Übung beim Öffnen von Weinflaschen. Sie half Bit nach einigen belehrenden Hinweisen aus der Bredouille und entkorkte gekonnt die Flasche. Das Einschenken übernahm sie gleich selbst. Die Pizza wurde kalt und Bit inzwischen dunkelrot, im Gesicht.
„Ich habe gehört, CodeWriter steckt da mit drin? Soll ich das mal checken? Die machen doch Sicherheitssoftware; wer weiß, was die da alles mit eingebaut haben.“ Edwin war froh, dass Jutta ihm aus dieser Peinlichkeit erlöst und mit jetzt Werbung plärrenden Fernseher gleich das richtige Thema geliefert zu haben.
„Wieso eingebaut? Software ist Software oder nicht?“ Jutta schüttelte verständnislos den Kopf und schob sich das erste Stück Pizza in den Mund. Sie kaute und wartete auf Erklärungen.
Bit war schon beim zweiten Stück Pizza, wobei bei ihm die Stücke etwa doppelt so groß waren.
So wartete er, bis er einigermaßen Luft zum Atmen und Sprechen bekam: „Wie naiv von dir. Die Entwickler stöpseln Funktionen an, die nicht dokumentiert werden. Keiner weiß, was die Software noch alles kann. Die Hersteller selbst können nur hoffen, dass die Entwickler keinen Scheiß machen. So ist das.“
„Und bei CodeWriter ist das so?“ Jutta kam aus dem Staunen nicht mehr raus und vergaß ihre Pizza. Claudias Gesten nach zu urteilen, konnte sie nicht einmal erahnen, wovon die beiden sprachen.
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