Nach mehrmaligen Klingeln wurde ihm geöffnet. „Frau Weilham?“ Die Frau in der Tür trat zur Seite und deutete auf eine zweite Frau, die weiter hinten im Haus stand. „Ich bin Kriminalhauptkommissar Remsen, darf ich kurz reinkommen?“ Noch während er die Frage formulierte, stand er bereits im Flur, zückte seinen Ausweis und ließ die zweite Frau an der Eingangstür stehen.
„Frau Weilham, ich würde gerne Ihren Mann sprechen.“
Eva Weilham machte nicht gerade den allerbesten Eindruck. Ihr Gesicht war gerötet, wahrscheinlich stressbedingt; sie hatte verweinte Augen. Auch jetzt war sie wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Remsen war durchaus irritiert. Es kann nicht sein, dass sie mehr weiß, als bisher in den Medien zu hören und im Internet zu lesen war. Wir haben keine PK abgehalten, kein Journalist kann bisher mehr wissen.
Ausgeschlossen!
„Der ist gestern nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich liegt er in den Armen einer Schnepfe und macht sich ein schönes Wochenende. So ein Schwein, ich will die Scheidung!“
Das Geld dafür kann sie sich wahrscheinlich sparen, dachte sich Remsen, während er darüber nachdachte, ob er gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte. Zuvor wären ihm aber noch ein paar Informationen ganz lieb. Man muss immer abwägen, welche Taktik am besten greift.
„Gab es zwischen Ihnen beiden Streit? Schon länger? Intensiver? Hatte denn Ihr Mann einen Grund, offen für neue Freundinnen zu sein? Sie haben doch einen gemeinsamen Sohn?“
„Wissen Sie, Liebe ist eine Illusion für Schwächlinge. Ich spüre es, dass er mit mir und mit anderen Frauen seinen Spaß hat. Außerdem, was geht Ihnen das an? Das ist Privatsache.“
Die Frau kann ja richtig giftig werden. Trotzdem legte Remsen nach: „Frau Weilham, wo war ihr Mann genau. Mit wem hat er sich getroffen. Bitte helfen Sie mir, vielleicht finden wir ihn.“
„Warum hat eigentlich die Polizei Interesse an der Dienstreise meines Mannes? Können Sie mich mal bitte aufklären? Um was geht es hier eigentlich?“ Jetzt ging Eva Weilham in die Offensive; die letzte Frage schleudert sie fast aus sich heraus.
„Haben Sie noch nichts in den Nachrichten gehört?“
„Lieber Inspektor…“
„Hauptkommissar bitte.“ Remsen lächelte sie an.
„Wenn Ihre Frau die ganze Nacht nicht nach Hause kommt, dann hören Sie aufmerksam die Nachrichten, ja?“
Sie kämpft, das war augenscheinlich.
„Wahrscheinlich nicht, glaube ich zumindest.“ Bei mir kann keiner wegbleiben, kleiner Vorteil Lady.
„Gestern Abend gab es so gegen 22:00 Uhr einen Unfall mit Todesfolge. Da…“
„Ja, habe ich gehört. Und? Was hat das mit meinem Mann zu tun?“
„Das wollen wir rausfinden. Das Unfallauto war auf eine Firma CodeWriter zugelassen. Ein schwarzer Audi.“
„Wollen Sie sagen, dass mein Mann…?“ Das blanke Entsetzen stand ihr ins Gesicht. Jetzt war sie bleich und nicht mehr so rot; in Ihrer Haut möchte Remsen jetzt nicht stecken.
„Nein, wir haben eine Tote.“ Erstmal die halbe Wahrheit. „Und wer sind Sie denn?“ Remsen wandte sich an die Frau, die ihn ins Haus gelassen hat.
Sie nannte ihren Namen und konnte sich ausweisen. Eva rief nach einer durchweinten Nacht ihre beste Freundin heute Morgen an. Sie war sofort zu ihr gefahren, um bei ihr zu sein. Als beste Freundin von Eva Weilham stand sie im engen Vertrauensverhältnis zu ihr und wusste nur zu gut, dass Carsten Weilham nichts anbrennen ließ, wenn sich die Gelegenheit ergab. Das führte in den letzten Monaten zu viel Streit in der Familie geführt. Aber eine ganze Nacht war Carsten noch nie weggeblieben. Bis Mittag warteten sie. Dann rief Eva bei ihren Schwiegereltern an, erreichte aber nur Cordula. Georg war wie sonnabends immer nicht da, auch telefonisch nicht erreichbar. Sie konnte Eva kaum beruhigen, kein Wunder, wenn sie von ihrem Mann so enttäuscht wird. Immer und immer wieder versuchte Eva, Carsten auf dem Handy zu erreichen – vergeblich. Am Nachmittag haben sie sich in der Stadt etwas abgelenkt, sofern das überhaupt möglich war. Den Paul konnten sie dann bei einem Freund aus der Kita über Nacht unterbringen; der hat sich gefreut und die Eltern waren ganz unkompliziert. Wie es weitergeht, weiß sie auch nicht.
Oh doch. Remsen legte sich seinen Plan zurecht und arbeitete ihn jetzt genauso ab. Er entschied sich für einen Frontalangriff.
„Könnten Sie bitte uns kurz alleine lassen?“ Diese Bitte ging an Evas Freundin. Ihre Augen suchten etwas verzweifelt Eva, die aber nur kurz nickte und zu verstehen gab, dass es für sie okay ist.
Wieder allein nahm Remsen sich Eva vor. „Bitte antworten Sie genau: Wo war Ihr Mann? Wen hat er getroffen? Wer waren auf der Dienstreise seine Gesprächspartner?“
Eva beschlich ein ganz komisches Gefühl. So unsicher, so kotzelend fühlte sie sich noch nie. Hoffentlich war Carsten nicht in dem Unfall verwickelt. Trunkenheit am Steuer, Fahrerflucht. Oh Gott, wie schnell kann man in so etwas verwickelt sein. Sie hatte ganz tief im Inneren die leise Vorahnung, dass ihr Leben kurz davorstand, eine unselige Wendung zu nehmen. Jetzt durchhalten, Eva! Sie machte sich selbst Mut, soweit das in dieser Situation noch möglich war.
„Er ist am Dienstag zu einer Dienstreise nach Lemberg aufgebrochen. CodeWriter waren wohl schon länger dort in Kontakt zu neuen potenziellen Kunden. Carsten, Georg und ein, zwei andere der Firma waren im Laufe des Jahres auf einige Messen und Kongresse in Russland, Polen und der Ukraine. In anderen Ländern wohl auch; weiß aber nicht genau wo überall. Mit einem Interessenten aus der Sicherheitsbranche waren sie sich handelseinig; soweit ich das mitbekommen habe. Das ist eine Firma aus der Ukraine, aus Lemberg oder der Umgebung. Genaueres, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Die Firma kenne ich nicht.“
„Aber Sie haben doch mit Sicherheit im Laufe der Woche mit Ihrem Mann telefoniert. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie so gar nichts wissen wollen. Wer bei CodeWriter wusste was von dem geplanten Deal?“
„Vor allem Karl Hausmann. Der muss das eingefädelt haben. Hausmann war schon seit längerer Zeit drauf und dran, die Geschäfte in Richtung Osteuropa auszuweiten. Georg, mein Schwiegervater, stand deswegen dauernd mit ihm im Clinch. Ich gehe auch davon aus, dass der Herzinfarkt Anfang des Jahres auf den Dauerstreit zurückzuführen ist.“
Remsen wurde nun doch langsam ungeduldig. „Wer wusste noch was? Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor so einem wichtigen Auftrag nicht die halbe Firma mitgefiebert hat, ob der Vertrag auch tatsächlich zustande kommt.“
„Das müssen Sie Georg fragen, wenn er von seinen Wochenendeskapaden zurück ist. Aber was hat das alles mit Carsten zu tun?“
„Sie gehen davon aus, dass er eine Bekannte hat, bei der er sich gerade vergnügt, richtig?“ Gegenfrage, das beliebte Rezept von Remsen, seine Gesprächspartner unsicher zu machen.
Eva war wieder kurz davor, die verlassene Ehefrau zu geben und loszuheulen: „Was glauben Sie denn? Gestern noch telefonierte er auf der Rückfahrt mit mir und erzählte etwas vom Stau auf der Autobahn. Als wenn in Polen alle genau am Freitagnachmittag dort unterwegs sind, wo mein Carsten gerade langfährt. Geglaubt habe ich ihm das sowieso nicht.“
„Wissen Sie, mit dieser Art von Glauben kann ich nichts anfangen. Wo ist Ihr Mann?“ Die Frage formulierte Remsen so, dass selbst Frau Eva Weilham aufwachen musste. Ein letzter Versuch, dann wird es ernst. Er musste noch mehr von ihr herausbekommen; allerdings erschien ihm das immer mehr aussichtslos.
Remsen ließ nicht locker. „Was ist mit Ihrem Mann, Frau Weilham? Sie wissen, wo er ist. Falsche Scham bringt uns hier nicht weiter. Wir ermitteln in einem Unfall mit Todesfolge und Sie geben hier die verlassene Ehefrau.“ Das kam jetzt nicht mehr so angsteinflüsternd rüber, da Remsen es auf die ruhige und sanfte Tour versuchte.
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