Frau Weilham griff in eine Schublade und reichte ihm einen Kugelschreiber. Ein Werbegeschenk, wie Remsen erkannte.
„Ja, besten Dank. Name?“ Remsen konzentrierte sich auf seine Befragung.
„Das weiß ich nicht. CodeWriter gibt es jetzt schon seit 1995. Mein Mann kennt viele Leute, Geschäftspartner und solche, die es werden wollen. Außerdem sagt er immer, dass Kontakte das A und O für Geschäfte sind. Bis zu seinem Zusammenbruch war er abends fast immer irgendwie verabredet.“
„Was war das für ein Zusammenbruch? Zu viel Arbeit? Druck? Konflikte? Oder was anderes?“
„Heute sagt man glaube ich Burnout dazu. Besser passt: schlicht und einfach überarbeitet. Das passiert vielen in der Branche, die sich nicht einschätzen können. Georg geht in seiner Arbeit voll auf. Er denkt wohl, dass CodeWriter seine letzte Chance ist, zu einigermaßen Wohlstand, auch für später im Alter zu kommen. Aber was ist schon Geld, Haus und viel Schein gegenüber Gesundheit? Wissen Sie es?“
Remsen beachtete die Frage lieber nicht, denn der Zustand vom Weilham könnte ohne Probleme auf ihn übertragbar sein. Auch wenn er als Beamter auf eine einigermaßen gute Pension hoffen kann, gehen ihm viele Fälle oft sehr nahe. Privatleben und Gesundheit kommen dann bei ihm nicht mehr vor. Manchmal spielt er neben seinen Ermittlungen auch noch Weltverbesserer und hofft, dass seine Arbeit, seine Aufklärungsrate dazu beitragen kann.
„Burnout. Ihr Mann ist also ein Workaholic? Seine Droge die Firma?“
„Kann man so sagen. Ich habe ihm schon vor seinem Zusammenbruch immer wieder in den Ohren gelegen, kürzer zu treten und mehr an sich zu denken. Er hat einen Enkel, mit dem er gerne was unternimmt. Regelrecht gefreut hat er sich, als Carsten und Eva die Nachricht überbracht haben, dass er Opa wird.“
„Carsten und Eva?“ Wenn Carsten sein Sohn ist, äh war, der da draußen heute Morgen am Baum hing, dann bleibt ihm wirklich nur noch der Enkel.
„Carsten ist unser Sohn. Paul, sein Enkel, schon fast in der Schule. Die beste Zeit für Opas, da sind die Kinder noch frei, unbelastet und erfreuen sich ihrer Kindheit. Wenn dann erst mal die Schule anfängt, ändert sich auch das.“
„Frau Weilham, Ihr Sohn Carsten arbeitet doch bei CodeWriter?“
„Ja, ja, das tut er. Georg und Carsten hatten viel Streit miteinander. Georg wollte unbedingt, dass Carsten zu ihm in die Firma kommt, was von Nachfolgeregelung gesprochen, schleichender Übergang und so. Carsten wollte nicht. Der war schon immer ein schlaues Kerlchen, ein Einser-Abi hingelegt und ist danach nach München gegangen, um Bioinformatik zu studieren. Das Zeug dazu hatte er und für Molekularbiologie interessierte er sich schon früh. Mir schien, er besaß den Ehrgeiz, seinem Vater Konkurrenz zu machen und wollte sich mit biologischer Informatik profilieren. Junghirsch gegen Platzhirsch, ein völlig unsinniger Machtkampf.“
Frau Weilham trank von ihrem Kaffee und ließ sich nicht aufhalten, auch von Remsen nicht. Der schielte auf den Kaffee und entschied für sich, dass er dringend einen davon bräuchte. Schon wollte er danach fragen, da legte Frau Weilham nach.
„Carsten verfolgte die fixe Idee, die theoretische und die bisherige praktische Informatik zu verknüpfen und mit neu entwickelten Technologien im Bereich der Bioinformatik Fuß zu fassen. Georg verstand das alles nicht und blockierte Carsten, wo immer es ging. Sie redeten nicht viel miteinander, geistige Funkstille zwischen beiden. Viele Jahre.“
Remsen war inzwischen ausgestiegen. Für sich nahm er wahr, dass seine Gesprächspartnerin mal eben die Sprache gewechselt haben muss. Davon, was sie gerade sagte, verstand er nichts. Andersherum verstand die Frau sehr viel davon, zumindest tat sie so.
„Frau Weilham, bei allen Respekt: Ich verstehe nur Bahnhof davon. Wie es kann es sein, dass Sie sich so gut auskennen?“
„Ich habe bis vor einigen Jahren als Mikrobiologin hier an der Universität in Vesberg gearbeitet. Damals während der DDR-Diktatur haben die Kommunisten viel Wert daraufgelegt, dass alle eine gute Ausbildung erhielten. Mit der Datenverarbeitung, sagt man glaube ich heute nicht mehr, oder? … Mit den Rechnern hatte ich schon früh zu tun. Wir haben mit den Leuten vom Rechenzentrum viele Laborauswertungen gemacht. Etwas versteh ich schon noch davon.“
Remsen war beeindruckt. Doch, das passte zum Bild, was er von Anfang an von ihr hatte: Stil, Haltung und so etwas von feiner Dame, dabei aber nicht dumm und nicht nur bloß die Frau an der Seite eines Geschäftsmannes. Mit dieser Frau wird er noch einmal intensiver auseinandersetzen müssen, geschäftlich natürlich. Wieder ein Eintrag in seiner imaginären Taskliste.
Frau Weilham entwickelte offensichtlich ein überbordendes Mitteilungsbedürfnis: „Carsten lernte dann in München eine Freundin kennen. Ich habe die einmal, zweimal gesehen. Sie war nicht gut für ihn, nur Partys, nächtelang. Wahrscheinlich viel Alkohol, vielleicht auch Drogen, keine Ahnung. Irgendwann schmiss er das Studium; seine Freundin verließ ihn. Georg bekam Oberwasser und trieb Carsten förmlich vor sich her. Ja, man kann sagen er zwang ihn im Schwäbischen, in Furtwangen war das, Marketing und Vertrieb zu studieren.“
„Und das kann man so einfach, jemanden zwingen?“
„Georg hatte die Argumente auf seiner Seite und setzte Carsten unter Druck.“
Bevor Remsen mit einer vertiefenden Frage nachlegen konnte, ging sie selbst in die Offensive: „Georg machte ihm unmissverständlich klar, dass Carsten nicht einen Cent von ihm erben werde. Er hatte sogar entsprechende Dokumente von seinem Anwalt anfertigen lassen, die er Carsten vorlegte. Es fehlte nur noch seine Unterschrift.“
Vaterliebe grenzenlos … ‚ Father and Son, Cat Stevens ‘, als Cat Stevens noch Cat Stevens war. Den letzten Teil murmelte er fast vor sich hin. Ist doch schön, wenn es immer wieder Analogien zur Realität gibt.
„Was meinten Sie bitte?“ Frau Weilham schaute etwas irritiert drein.
„Nichts weiter. Mein Kollege ist ein ausgesprochener Kenner der Musikszene und sucht dort immer wieder Verbindungen mit der Wirklichkeit.“ Hanns-Peter Ulrich war inzwischen zum Gespräch hinzugekommen. Von Kriminalassistent Nöthe ließ er sich dessen Erkenntnisse kurz zusammenfassen; diese jedoch abgebrochen, weil er die Zeit dafür als Verschwendung betrachtete.
„Nach dem Studium, vor etwa drei Jahren, ist Carsten dann als Account Manager zu CodeWriter gegangen. Anfangs haben beide den Streit von damals weiter ausgetragen. Karl Hausmann, Georgs Partner, spielte den Vermittler, um zu schlichten. Als das nichts brachte und das Klima bei CodeWriter nicht besser wurde, fing er mit Georg an, über einen Verkauf der Firma zu sprechen und drohte dabei, dass das für beide ein schlimmes Verlustgeschäft werden würde. Irgendwie haben sie sich dann doch arrangiert; einige Abende im Red Rooster und jede Menge Guinness und Malts gingen wohl dafür drauf.“
Oh ha, mal lernt noch was bei der Arbeit. Remsen notierte sich eifrig den Namen des Pubs notiert. Gehört hatte er schon davon, er sollte in nächster Zeit den Laden mal testen. Klang auf jeden Fall verlockend.
„Gibt es denn zwischen Ihrem Mann und dem Karl Hausmann Konflikte?“
„Ich denke ja. Nicht offen, aber so latent, unterschwellig wie sagt man: Ein kalter Krieg mit freundlicher Maske? Spätestens seit dem Herzinfarkt hatte Georg auch nicht mehr die Lust, wahrscheinlich auch die Kraft nicht mehr, um sich gegen Hausmann zu stellen. Beide beschäftigten sich schon länger mit anderen Ideen, um die Firma weiterzuentwickeln. So richtig haben beide sich nicht mehr verstanden. Sagen wir mal so: Als Georg so nach und nach im Sommer mit der Arbeit wieder anfing, ließ sich Hausmann die Rolle des Tonangebers nicht mehr streitig machen.“
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