Er nutzte gleich nach dem Abitur die Chance, um nach dem Pflichtdienst bei der [...], nee, das Kürzel von damals hatte er aus seinem Wortschatz gestrichen, also beim Bund wie man heute sagt, Technische Informatik zu studieren. Das bekam er ganz gut hin, denn er interessierte sich vor allem für die Entwicklungsseminare und verstand die Infrastruktur von Rechnern eher als viele seiner Mitstudenten. Gleich danach fand er damals im einzigen EDV-Konzern hier in Vesberg eine Anstellung. Er hing sich rein, forschte, programmierte, konstruierte und wurde für viele seiner Kollegen schnell zum gefragten Kollegen.
Weilham fühlte sich in seiner kleinen Werkstatt, die eigentlich ein großes Büro für viele EDV’ler war, richtig wohl. Wäre da nicht die Staatsmacht gewesen, die vor höheren Aufgaben eine Bedingung gesetzt hat: Eintritt in die Partei. Das kam für ihn niemals in Frage. Wie hasste er die Gleichmachung, die Unterordnung seiner Informatik gegenüber der Politik, seiner Entwicklung dem des Wohlergehens einer Diktatur. Für ihn war sie menschenfeindlich, hemmend, abstoßend. Ja, er eckte laufend an, ließ sich nicht disziplinieren und anketten. Er, ein Weilham vom Schlag eines Vesbergers, die wievielte Generation auch immer, war von seinen Vorstellungen vom Leben überzeugt und blieb stur.
Basta!
Zum Glück für ihn fegte die Revolution hier in Ostdeutschland die Diktatoren weg; wahrscheinlich nach Russland, Nordkorea oder auf dem Mond. Es war ihm egal, denn es begann seine Zeit der Entfaltung.
Die sollte nur kurz anhalten.
Denn eines Tages saß er vor einem Personalchef, der von so komischen Sachen wie Entlassung sprach. Und dazu in einem Dialekt sprach, mit dem er sich überhaupt nicht anfreunden konnte. Wahrscheinlich mal wieder so ein Westimport; typischer Klugscheißer. Davon gab es damals in Vesberg viele, zu viele, wie er überzeugt war.
Weilham fühlte sich getroffen, schwer beleidigt und wäre zum Terroristen geworden; hätte man ihn gefragt. Es war aber keiner da, der ihn entsprechende Angebote gemacht hätte, sondern nur die gelangweilten Mitarbeiter vom Arbeitsamt, die ihm Hoffnung machten, an die sie selbst nicht glaubten. Er bekam von ihnen immer wieder Geschenke in Form von Qualifizierungen. Diesen Unsinn sich anzuhören nahm er als Folter wahr. Die Schlaumeier meinten, uns was erzählen zu müssen. Nur weil sie ausgestattet mit einer Buschzulage extra die weite Reise bis hier nach Vesberg gemacht haben.
Dünnbrettbohrer!
So langsam begann er, seine Sinne neu zu schärfen. Zu justieren, redete er sich immer ein. In ihm wuchs eine Idee heran, eine Geschäftsidee, mit der er Geld verdienen könnte. Vom Arbeitsamt und sonst wo her holte er sich Informationen und studierte den Hürdenlauf einer Firmengründung. Für ihn war das eine komplett fremde Welt, in der er sich einfach nicht reindenken konnte.
So musste mal wieder der Zufall nachhelfen und er traf auf einer Party einen Bekannten. Nein, eigentlich war es kein richtiger Bekannter – oder? Karl Hausmann, wer war er? Jedenfalls hatten beide das Gefühl, dass sie sich kannten: Wir haben uns doch schon irgendwann mal gesehen? So kamen sie ins Gespräch. Klar, dass das waren zwei gemeinsame Semester Systemtechnologie mit Schwerpunkt Mainframe-Infrastruktur. Stimmt, das waren doch die IBM-kompatiblen Maschinen, nichts anderes als geklonte Originale. Nur mit kyrillischer Schrift versehen. Das Betriebssystem war ein unerträgliches Kauderwelsch aus schlecht verstandenem übertragenem Englisch und viel Russisch.
Weit nach Mitternacht sprudelte es aus Weilham heraus. Sein Bauch sagte ihm: Es ist die Chance.
Zugreifen!
Weilham erläuterte Hausmann seine Geschäftsidee, schmückte alles überdimensioniert aus und infizierte ihn dann in der letzten Kneipe, die im Morgengrauen noch offen hatte. Das muss der Zeugungszeitpunkt für die CodeWriter gewesen sein. Zumindest erzählen seitdem beide überall die Geschichte herum.
Die Zeit war hart. Beide hängten sich überaus in die Aufbauarbeit rein. Sie kamen gut voran, der Schuldenberg war immer noch überschaubar, ließ sich sogar mit der Zeit drücken. Spätestens als die Astrophysiker ihnen den Auftrag zur Auswertung und Analyse von unendlichen Messreihen gaben, war das Gröbste erstmal geschafft.
Aber nach vielen Jahren des Erfolgs ging es einfach nicht mehr weiter. Weilham, der sich nie schonte und gerne auch mal unangenehm mit seinen Mitarbeitern umsprang, wurde anfälliger, unruhiger, sensibler. Immer öfter geriet er mit Karl Hausmann aneinander, auch wenn sie sich beim Guinness immer wieder aussprachen. Der Wurm war drin. Seit wann etwa? Weilham dachte nach und machte nach einigen Überlegungen den verlorenen Prozess vor knapp zwei Jahren aus. Ein Kunde fing gegen CodeWriter einen Rechtsstreit an, obwohl der aus seiner Sicht im Unrecht war. Trotz allem: Der Kunde hat gewonnen und CodeWriter Image und viel Geld verloren.
Zum letzten Jahreswechsel nahm er sich vor, mit Karl zu sprechen, um auszusteigen. Karl hatte ihm im Jahr davor immer wieder dazu angestiftet, mehr ins Ausland zu gehen. Besonders im Osten Europas herrscht Goldgräberstimmung; da muss doch für CodeWriter auch was zu holen sein. Weilham ist prinzipiell vielen neuen Überlegungen gegenüber offen eingestellt, aber der Osten Europas wehte für ihn immer noch den Hauch des Staatskommunismus. Und dort wo er definitiv nicht mehr zu finden ist, regiert die Mafia. Not oder Elend – was ist die bessere Alternative? Hausmann sah das alles nicht so eng. Schutzgeld, Erpressung, Korruption lassen sich umgehen. Reichlich naiv der Karl, dessen war sich Weilham sicher.
An einem dieser Tage, schon im neuen Jahr muss das gewesen sein, war es mal wieder recht laut zwischen Ihnen geworden. Irgendwann mal war Weilham soweit und sprach Karl auf einen Ausstieg seinerseits an. Der explodierte förmlich, denn faktisch war ohne Weilham die Firma am Ende. Wenn er jetzt Kasse machen will, kann die Firma gleich ganz aufgegeben werden. Ohne wirkliches Verständnis hat sich Weilham dann irgendwann spätabends auf den Weg nach Hause aufgemacht.
Innerlich aufgewühlt, richtig sauer auf Karl, stapfte er zum Auto. Mit der Zentralverriegelung öffnete er das Auto, legte die Tasche auf dem Rücksitz hinterm Fahrer und war gerade im Begriff, selbst einzusteigen. Ein stechender Schmerz im Brustkorb verhinderte zunächst weitere Bewegungen. Weilham zuckte und sackte zusammen. Vor Schmerz krümmend versuchte er sein Handy zu greifen. Die Kräfte verließen ihn.
Der Retter war Hausmann, wie er später erfuhr. Lange, sehr lange brauchte Weilham, um wieder fit zu werden. Karl besuchte ihn, er kümmerte sich um Weilham, wie der es nie vermutet hätte. Wie auf Verabredung vermieden beide, auf die Probleme in der Firma einzugehen. Karl gab ihm das Gefühl, dass mit CodeWriter alles in Ordnung sei und er das Geschäft im Griff hatte. Auch, dass er ihn, Georg Weilham, im Geschäft vermessen würde. Weilham‘s Sohn, der auch bei CodeWriter arbeitet, war und ist noch immer für Hausmann ein mäßiger Ersatz.
Das tat Weilham gut. Er erholte sich wieder und begann zunächst mit allgemeiner Routinearbeit, zeitweise. Nur nicht aufregen, schön langsam. Stück für Stück fand er wieder zurück und wurde immer mehr belastbar. In der Firma hatte jetzt Hausmann allein das Sagen. Karl war der ungekrönte König und bestimmte, wo es lang ging, welche neuen Funktionen die Produkte bekommen sollten und wie insgesamt die Softwareentwicklung künftig aussehen sollte. Vor allem trieb Hausmann den Aufbau neuer Kundenstrukturen voran, machte Kontakte, führte Gespräche.
Ein halbes Jahr nur und schon ist alles anders? Weilham fand sich nur schwer mit der neuen Situation ab, konnte aber nichts dagegen machen. Vorerst. Karl intensivierte in die Ausweitung des Geschäfts nach Osteuropa; eine Entwicklung, die Weilham nicht behagte. Er fand einfach keine Mittel, sich dagegen zu wehren und um Hausmann zu stoppen. Weilham hatte gelernt: Sein zum Glück leichter Herzinfarkt erinnerte ihn daran, dass er künftig nicht mehr grenzenlos belastbar sein wird und dass er sich Zeit nehmen muss.
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