Weilham änderte nach dem Kurzschluss auch privat viele Dinge. Seine ohnehin langweilige Ehe interessierte ihn schon lange nicht mehr. Warum also weitere Energie für etwas zu verwenden, um zu kitten, was nicht mehr hält? Einfach laufen lassen, tut ja nicht weh so eine Beziehung.
Das Zusammensein mit seiner Cordula funktionierte anfangs ganz gut. Mit der Zeit entwickelte sie sich aber zur Spießerin und verfiel immer mehr dem Kaufrausch. Überall wo sie beide waren, kaufte sie förmlich die Geschäfte leer. So was nannte sich mal Wissenschaftlerin. Was aus Menschen so alles werden kann…
So verfiel er immer mehr darauf, egoistisch seinen Interessen nachzugehen. Es kamen sogar Neue hinzu. Sport machte er schon lange nicht mehr; dass konnte er leicht ändern. Weilham kaufte sich ein tolles neues Fahrrad, ein ultraleichtes Trekkingrad, mit dem er regelmäßig unterwegs ist. Alleine natürlich. Die beste Medizin für sein Herz; davon war er erstaunlicherweise selbst und vor allem sehr schnell überzeugt. Sein Arzt freute sich, dass die Werte für Blutdruck und Kreislauf sich verbesserten und vor allem sein Fettgehalt immer weniger wurde.
Sonnabend wurde zu seinem Tag. Den Freiraum nahm er sich.
Als personifizierter Frühaufsteher war er meistens schon um fünf Uhr auf den Beinen. Besonders in den Sommermonaten verfrachtete er schon am Abend zuvor sein Fahrrad ins Auto, legte sich seine Sportsachen zurecht und freute sich auf eine großartige Radtour. Er war nicht wetterfühlig; ihn störten weder Regen noch die oft gegen mittags aufkommende Hitze. Mindestens 100 km sollten es am Tag werden, dann fühlte er sich richtig gut. Das zog er durch. Immer sonnabends…
Seine Touren verlegte er immer weiter in die Hügellandschaft rund um Vesberg. Es machte schlicht Spaß, sich nach einer Woche mit endlosen Meetings, mit viel zu viel Kaffee, Telefonaten und Entscheidungen, mal so richtig auszutoben. Vor allem war es für seinen Körper eine Wohltat. Im Laufe der Monate wuchs die Lust auf noch mehr Wohltaten. Ihm war im Laufe der Monate klar geworden: Wenn es schlecht für ihn lief, kann sein Leben viel zu schnell vorbei sein.
Was soll’s?
Auf der anderen Seite der Grenze war die Verlockung in Form wunderhübscher Frauen unübersehbar. Warum sollte er sich nicht was Gutes tun, bevor gar nichts mehr geht?
Wie in den letzten Wochen immer öfter, war er auch heute auf dem Rad unterwegs und ließ sich dann in einem Club, inzwischen seine regelmäßige Anlaufstelle, massieren. Auch heute wieder blieb es natürlich nicht nur dabei. Köstlich, wenn er in Gedanken an die Stunden dachte, die er sich vorhin dort gönnte.
An diesem grauen Sonnabendnachmittag saß Georg Weilham gedankenverloren in seinem Auto und auf dem Weg zurück in Deutschland. Er sollte sein Handy anmachen und seine Frau anrufen. Sein Sohn wusste ja, dass er sonnabends nicht zu erreichen war. Ihn müsste er dringend sprechen. Vor allem wegen den Verhandlungen in der vergangenen Woche, in Lemberg. Hoffentlich konnte er den Deal gut vorbereiten; CodeWriter brauchte das Geschäft. Die Telefonverbindung gestern in die Ukraine war mal wieder unbrauchbar. Ach, die Vertriebslady war mit dabei; vielleicht ist sie hübsch. Sicher warten ein paar angenehme Pflichten die nächsten Tage auf ihm. Aber wie er seinen Carsten kennt, hatte er die, wie hieß sie doch gleich … Larissa, ja Larissa, bestimmt schon flachgelegt, wenn sie hübsch war. Sein Sohn, das wusste er nur zu gut, ist keiner, der eine schöne Frau unberührt stehen lässt. Seine Gene…
Er grinste in sich rein.
Ja, den Carsten wird er gleich mal anrufen. Plötzlich hörte er genauer hin. Die Nachrichten brachten gerade eine kuriose Unfallmeldung von letzter Nacht. Den Anfang der Meldung nahm er nur halb wahr; jetzt sagte ihm eine Stimme aus dem Unterbewusstsein: Hinhören!
Einordnen konnte er das nicht, vielleicht ist das alles nicht so tragisch. Ein schwarzer Audi war zu Schaden gekommen. Ja, sie haben im Firmenpool einige davon, auch ein solches Auto, mit dem Carsten gestern aus Lemberg zurückgekommen war. Audis gibt es jede Menge und die Tote ist eine Frau; kein Mann; keine zwei Personen.
Weghören.
Er wählte die Handynummer seines Sohnes an und wartete auf das Rufzeichen. Recht schnell kam die Meldung, die er noch mehr hasste als … egal: "The person you have called is temporarily not available"!
Wo treibt der sich rum? Warum ist sein Handy aus? Das war nicht seine Art. Er suchte nach dem Eintrag mit dem Festnetzanschluss von Carstens Wohnung und drückte auf „Wählen“. Nach einigem Klingeln kam der Anrufbeantworter zu Wort: „Wahrscheinlich sind wir beim Entenfüttern oder machen gerade bei Aldi die neuesten Schnäppchen. Deshalb sprechen Sie bitte mit unserem Anrufbeantworter. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir Zeit dazu haben.“
Eine innere Unruhe beschlich ihn. Handy vom Sohnemann aus; zu Hause keiner erreichbar. Der letzte Versuch galt der Büronummer seines Sohnes. Vielleicht war Carsten mit Larissa in der Firma und zeigte ihr die Räumlichkeiten. So richtig glaubte er nicht dran; trotzdem wählte er die Durchwahl von ihm an. Niemand erreichbar. Schon komisch, denn normalerweise sind Eva, Carstens Frau, und Paul sein einziger Enkel um diese Zeit zu Hause. Das Wetter heute lädt nicht ja gerade zum Rausgehen ein.
Warum machte er sich solche Gedanken? Wo kam bloß diese Unruhe her? Es gefiel ihm überhaupt nicht. Er musste schnellstens nach Hause.
„Frau Weilham, ich kann nicht richtig glauben, dass Sie von den Geschäften der Ihres Mannes so gar nichts wissen.“ Remsen mochte die Art der Frau durchaus; sie war nicht unsympathisch. Dafür war sie überhaupt nicht auskunftsfreudig. Sein Instinkt sagte ihm, dass die Frau mehr weiß, also mehr verschweigt, als sie sagt und zugibt.
Remsen und Ulrich waren recht schweigsam zum Anwesen der Weilham‘s gefahren. Schon der konzertähnliche Hall der Thin Lizzy CD verhinderte jede Konversation. Besonders ‚ Soldier Of Fortune ‘ gefiel Remsen so gut, dass dieser Titel nicht nur einmal, sondern auch besonders intensiv im Buick zu hören war.
Der Mann wird nie mehr erwachsen; Hanns-Peter Ulrich war auf seinen Partner richtig sauer. So musste Ulrich auf das warten, was der Besuch bei Weilham bringt und Kriminalassistent Nöthe was ihm erzählen wird.
Das Haus der Weilham‘s war nicht allzu groß, recht nett für die Gegend und offensichtlich kürzlich umfassend modernisiert worden. Nicht schlecht, dachte sich noch Remsen, aber aufregend monströs war das Anwesen nun auch wieder nicht. In Blankenese…
Die Tür ging auf und Frau Weilham, wahrscheinlich war sie es, trat heraus.
„Ich bin Kriminaloberkommissar Ulrich, das neben mir ist Kriminalhauptkommissar Remsen.“ Parallel zur förmlichen Begrüßung seines Kollegen, Remsen machte es immer kürzer, nickte andeutungsweise mit dem Kopf, zeitgleich zuckten beide ihre Legitimationen. Das war es auch schon für Remsen. Frau Weilham bekam gerade noch Zeit, den Weg freizumachen, denn Remsen suchte seinen Assistenten. „Nöthe, draußen wartet Ulrich auf Sie, geben Sie ihm bitte ausführlichen Bericht und dann ab auf die W36. Ihre Kollegin wartet schon sehnsüchtig auf Sie.“
Die üblichen Formalitäten: „Frau Weilham, gestern Abend ist ein Auto der CodeWriter verunglückt. Wir haben eine Tote und ermitteln in der Sache. Wissen Sie wer mit dem Audi unterwegs war?“
„Nein, wirklich nicht. Mein Mann war die letzten Tage in Vesberg, ist mit seinem Wagen, kein Audi, gefahren und war gestern Abend so ab 22 Uhr etwa zu Hause. Er war nach der Arbeit bei einem Geschäftsessen in der Stadt und fuhr anschließend hierher.“
„Mit wem war er essen?“ Remsens zuckte sein Notizbuch. „Äh, haben Sie bitte mal was zu schreiben, irgendwie habe ich meinen Stift verloren.“ Hatte er nicht, denn er hatte die Vorliebe, seine Bleistifte, mit Vorliebe abzukauen. Den Stummel in der Jackentasche konnte selbst er nicht mehr als Stift bezeichnen.
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