Marie hatte einen dicken Kloß im Hals und sie schüttelte den Kopf. Ein paar Tränen lösten sich aus ihren Augen und rollten über ihre Wangen:
»Nein … natürlich nicht. Du hast ja Recht, ich hatte Angst vor dir. Aber dass du ein schöner Mann bist, das habe ich mir doch ein paarmal gedacht. Dass du auch noch ein so guter und anständiger Mensch bist, das hätte ich nie zu träumen gewagt.«
In der Tat hatte es sie überrascht, dass sie ihn nach so kurzer Zeit schon so liebte. Und dass der Henker, der auf dem Schafott so unnahbar und stark schien, der ohne eine Miene zu verziehen die Strafen vollstreckte, die der Vogt verhängt hatte, eine so verletzliche Seele hatte. Eine Seele, die er ihr gezeigt hatte. Sie holte Luft und fuhr fort.
»Und trotzdem … hältst du mich für dumm, wenn ich sage, dass ich gerne deine freie Wahl gewesen wäre und nicht nur ein Zufall? Dass es zumindest ein wenig Egoismus von dir war, als du mir die Hochzeit angeboten hast?«
Zum ersten Mal lächelte Matthias an diesem Tag.
»Egoismus? Marie, ich bin auch kein Heiliger. Ich habe mir immer gewünscht, eine Frau neben mir zu haben, die mich liebt. Eine Frau, die ich lieben kann. Und die dazu noch hübsch ist. Die klug ist.«
Er sah ihr in die Augen, griff nach ihrer Hand.
»Und auf einmal, von einer Sekunde auf die andere, wurden meine Wünsche wahr. Ich habe die Frau, die ich liebe. Die Frau, die hübsch und klug ist. Das Leben hat oft Überraschungen für einen. Mit jeder Sekunde, die du bei mir warst, habe ich dich mehr geachtet, mehr geliebt. Und es hätte mich zerstört, wärest du wieder gegangen. Ich liebe dich, Marie. Dich alleine. Und mir ist es scheißegal, ob du die Herzogin von irgendwo bist oder die Königin der Waldameisen oder von mir aus die Schwester des Papstes. Oder ob du nichts hast außer deinen schönen blauen Augen, deiner Seele und deiner Sanftmut.«
Er seufzte.
»Und eines verspreche ich dir: Ich werde beweisen, dass du unschuldig bist. Ich weiß jetzt, wo ich anfangen muss zu suchen. Ich werde dafür sorgen, dass du das bekommst, was dir zusteht, und niemand wird dir auch nur ein Haar krümmen. Wenn du mich danach noch willst, wirst du das bekommen, was du dir wünschst.«
Er schloss erschöpft die Augen. Wenn sie ihn jetzt nicht verstand, wenn sie ihn jetzt zurückwies, dann würde er sie nie mehr öffnen. Dann spürte er ihre Lippen am Ohr, und sie wisperte hinein.
»Du bist ein Holzkopf. Ich werde niemals einen anderen Mann haben wollen als dich. Und das Einzige, was ich mir wünsche, ist in Frieden irgendwo mit dir zu leben, wo mich niemand umbringen will. Mir ist es egal, ob es ein Schloss ist oder eine eiskalte Höhle, solange nur du mit mir darin lebst, um mich zu wärmen!«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände und strich sanft mit den Lippen über seine, hielt den Atem an, ob er ihren Kuss erwidern würde.
Er öffnete seinen Mund, tastete vorsichtig mit der Zunge. Er versuchte, seine Arme zu heben, sie zu umfassen, aber der Schmerz durchzuckte ihn. Also konnte er nichts anderes tun, als ihren Kuss mit aller Liebe zu erwidern, zu der er fähig war.
Sie konnte nicht verhindern, dass noch mehr Tränen kamen, seine Wangen nässten. Fast hätte er sich durch ihre Dummheit von Wölfen zerreißen lassen. Sie wollte gar nicht mehr aufhören, ihn zu küssen, kroch schließlich zu ihm ins Bett, um ihm nah zu sein, hielt ihn fest umschlungen.
»Ich werde dich nie verlassen, hörst du mich?«, flüsterte sie ihm zu.
»Und ich werde nie ohne dich irgendwo hingehen«, raunte er ihr ins Ohr.
4. Kapitel
In Rothenburg war die Aufregung riesengroß. Es gab nur ein Gesprächsthema, das die Menschen bewegte und sie in Atem hielt. Am Morgen hatte man den Schreiber Popolius tot aufgefunden.
Als der Vogt zur Leiche kam, wurde ihm übel. Nicht nur der Fundort war makaber, auch die Art, wie er zu Tode gekommen war. Man hatte ihn gepfählt.
Eine Frau, die am Morgen die Kirche putzen sollte, hatte ihn unter dem Glockenturm gefunden. Ein Holzpfahl war ihm von hinten durch den After in den Leib getrieben worden. Man hatte den Schreiber auf den Pfahl, der senkrecht auf dem Boden stand, gesetzt. An den Knöcheln hatte der Mörder zwei Körbe mit Steinen angebracht, um den Vorgang zu beschleunigen. Dies war augenscheinlich deshalb geschehen, weil der Körper extrem leicht war. Popolius war ein magerer, kleiner Mann gewesen und man wollte auf Nummer sicher gehen, dass der Pfahl ihn auch durchbohrte.
Hauptmann Meisner nahm Bernhard Steiner zur Seite.
»Euer Gnaden, Ihr wisst, was das bedeutet?«, fragte er den Vogt.
»Wir haben einen Mörder in der Stadt«, brummte der Vogt.
»Nicht nur das. Diese Todesart«, er zeigte auf den toten Schreiber, »ist ein deutliches Zeichen.«
»Wofür?«
»Ich habe nur davon gehört. Aber es gibt Städte, in denen werden Männer, die es mit anderen Männern treiben, so hingerichtet.«
Der Vogt wurde bleich.
»Popolius war … ?«
Der Hauptmann nickte.
»Entweder das, oder jemand treibt einen blutigen Scherz mit uns.«
Der Pfarrer kam angerannt. Man hatte ihn bei einem Kranken gefunden, der ihn zur Beichte gerufen hatte. Als er sah, was in seiner Kirche los war, bekreuzigte er sich.
»Ein Sodomit!«, rief er aus und fiel gleich auf die Knie, stammelte Gebete.
Der Vogt fuhr ihn an.
»Haltet den Schnabel! Das fehlt mir noch! Erst diese verfluchte Hexengeschichte, dann der zurückgekehrte Tote und jetzt das! Wenn das bekannt wird, dann haben wir wirklich bald die Inquisition am Hals.«
Er wandte sich an den Hauptmann.
»Schafft ihn hier raus. So schnell es geht.«
Er eilte davon.
Inzwischen hatte es sich herumgesprochen, dass etwas Schreckliches in der Kirche passiert war. Auf dem Platz hatte sich eine Menschenmenge eingefunden. Auch Thomas stand da und beobachtete aufmerksam das Geschehen. Er musste grinsen. Es war leicht gewesen, den Schreiber in die Falle zu locken. Er hatte ihn beobachtet und genau im richtigen Moment abgepasst. Schnell hatte er durchblicken lassen, dass er, gegen einen gewissen Lohn, dem Schreiber sein spezielles Vergnügen ermöglichen würde.
Popolius hatte sein Glück kaum fassen können. Doch als er sich in seinem Haus dem jungen Mann hingeben wollte, hatte dieser ihn mit einer dünnen Schnur erwürgt. Popolius war viel zu überrascht und auch zu schwach gewesen, um sich zu wehren. Der Tod kam schnell über den schmächtigen Schreiber des Vogts.
Der Rest war dann etwas kniffliger.
Im Schutze der Nacht schaffte Thomas die Leiche zur Kirche. Seit Tagen lag der Pfahl bereit, den er über einige Wochen hinweg vorbereitet hatte. Oben spitz zulaufend, unten auf einem alten Karrenrad fixiert, damit er nicht umkippte. Dazu die Körbe mit Steinen, damit er auch wirklich runterrutschen konnte.
Er hatte den Holzpfahl eingefettet und den Schreiber mit Leichtigkeit darauf gesetzt. Der Rest passierte dank des zusätzlichen Gewichtes von alleine, der Pfahl trat am Hals des Ermordeten aus, so wie geplant.
Thomas war zufrieden mit sich. Der Erste war erledigt. Er sah sich schon als Gutsherr. Fehlten noch Marie und der Henker. Doch dabei würde ihm Greta helfen. Und die Inquisition, denn die würde kommen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Es mussten mittlerweile genug Gerüchte im Umlauf sein.
Er verließ langsam den Platz, ging zurück zu seinem Versteck. Heute Nacht würde er Greta erneut in seinen Armen halten. Sie war ihm inzwischen hoffnungslos verfallen.
Markus rannte vom Kirchplatz zum ›Goldenen Schwan‹. Er musste unbedingt mit Magdalena reden und fand sie in der Küche, wo sie gerade das Gemüse putzte.
»Was ist denn mit dir los, Junge?«, fragte sie ihn, als er atemlos hereinstürzte.
Er erzählte ihr, dass man den Schreiber gepfählt in der Kirche gefunden hatte. Magdalena wurde bleich.
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