„Blau“, sage ich immer wieder und streiche Sophie über den Kopf, versuche ihr immer wieder Brei einzuflößen, alles vergeblich. Draußen ist es schon dunkel.
„Blau, Mama, blau“, sagt Sophie mit dünner, ermatteter Stimme und wird auf einmal ganz ruhig in meinen Armen.
„Sie schläft, Franzl, sie schläft“, flüstere ich unter Tränen, die bittere Wahrheit ahnend.
Franzl schüttelt mit zusammengebissenem Mund den Kopf und fährt mir unbeholfen über die Haare.
„Sie ist tot, Sisi“, sagt er schlicht.
„Majestät, sie ist tot“, wiederholt Seeburger überflüssigerweise die Worte des Kaisers. „Sie atmet nicht mehr. Geben Sie mir bitte die kleine Erzherzogin.“
Ich drücke tränenüberströmt der Kleinen ihre Äuglein zu und reiche ihm widerwillig mein Kind.
Ich hasse ihn!
„Unsere Kleine ist nun ein Engel im Himmel. Nach langem Kampf ist sie ruhig um halb 10 Uhr verschieden“, wird der Kaiser an diesem Abend an seine Mutter telegraphieren.
Wir sind vernichtet!
Vernichtet und trostlos bin ich!
Absolut trostlos!
10. Juni 1857
Die Kleine ist beigesetzt. Tante Sophie hat mir keine Vorhaltungen gemacht, sie war wie ich am Boden zerstört, sie hat die Kleine sehr liebgehabt. Dennoch spüre die Vorwürfe in jedem ihrer Blicke. Die Beerdigung war furchtbar, das eigene Kind zu verlieren und ich bin doch selber erst 19 Jahre alt. Fast noch selber ein Kind.
Ich bitte Gott um Vergebung für meinen Starrsinn, immer und immer wieder!
15. Juni 1857
Ich bin in Laxenburg. Draußen regnet es. Der Kaiser wird noch einmal nach Ungarn fahren. Ich kann es noch nicht. Ich liebe Ungarn, ich werde es immer lieben, aber es geht einfach noch nicht. Ungarn ist Melancholie und tiefe Trauer. Sophie ist tot und der liebe, arme Herr Majlath hat sich schon vor zwei Jahren im Starnberger See gemeinsam mit seiner Tochter Henriette ertränkt, weil er kein Geld mehr besaß. Ich bin so in Kummer, dass ich fast nichts mehr essen kann. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke und ich ekele mich sogar ein wenig. Am liebsten würde ich der Sophie in den Tod folgen, so hoffnungslos fühle ich mich.
Warum lebt Tante Sophie und die Kleine ist tot? Überhaupt dieser Name, dieser schreckliche Name! Der Tod war sicher vorbestimmt, weil ich Tante Sophie hasse und auch diesen Namen immer gehasst habe.
Ich weine den ganzen Tag und ich kann auch die kleine Gisela nicht ansehen, ohne an Sophie denken und weinen zu müssen.
Und ich grüble über Dr. Seeburger nach, am liebsten würde ich den Hofrat entfernen lassen. Der Kaiser lehnt das strikt ab, da die Erzherzogin ihm Vertrauen schenkt. Aber wer nicht einmal Zahnen von Typhus zu unterscheiden im Stande ist? Dieser Mann ist unerträglich auf diesem Posten. Er muss weg.
25. Juni 1857
Heute habe ich in den Spiegel geschaut und bin richtig erschrocken. Ich sehe aus wie ein Gespenst, dunkle Augenringe, eingefallene Wangen, scharfe Gesichtszüge. Ich müsste essen. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke. Ich verkrieche mich einsam im Laxenburger Park unter den Bäumen, nur meine Tiere leisten mir Gesellschaft.
Franz meint, ich müsste endlich zur Vernunft kommen. In der Hofburg werde ich umziehen, da mich in den alten Räumen alles an die Sophie erinnert. Vielleicht wird es dann besser mit meinem Kummer.
13. Juli 1857
„Du wirst wirklich heiraten“, sage ich lächelnd, obwohl mir gar nicht nach Lachen zumute ist, nicht mal ansatzweise, nicht einmal nach lächeln, nicht einmal einsatzweise. Mein Maxi, mein Seelenverwandter, mein Verbündeter hier an diesem Hof, wird heiraten.
„Ja, das werde ich.“ Maximilian strahlt mich an.
„Am 27. Juli werde ich meine Charlotte endlich in Brüssel zur Frau nehmen können. Du wirst sie bald kennenlernen, hier sieh sie dir auf diesem Portrait an, ich trage es immer in meinem Amulett. Ist sie nicht reizend? Du wirst sie lieben, Sisi.“
„Sie ist reizend“, sage ich tonlos. Sophie wird sie vergöttern, ihre Linie aus dem Hause Sachsen – Coburg ist so viel edler als die meine. Und sie ist steinreich, viel reicher als meine unbedeutende Nebenlinie. Irgendwie hat Mama als einzige der Schwestern unter Stand geheiratet. Ihr Papa, mein Großvater, war König Maximilian I. von Bayern. Ihre Schwester Sophie heiratete an den österreichischen Kaiserhof, meine Tante Elise, meine Lieblingstante, den König von Preußen und meine Tante Maria Anna den König von Sachsen. Nur Mama musste mit einem unbedeutenden Vetter aus der Nebenlinie vorliebnehmen, meinem Vater.
Auch wenn ich meinen Papa von ganzem Herzen liebe, hätte ich meiner Mama einen anderen Gatten gewünscht, denn die beiden lieben sich nicht, was wir Kinder ganz deutlich spüren, Papa lässt die Mama auch ziemlich oft alleine und führt sein eigenes Leben, zudem wohl auch fremde Frauen und fremde Kinder gehören. Alle Angelegenheiten, welche die Vermählung der Kinder betreffen, überlässt er der Mama alleine.
Mama verliebte sich nämlich 1824 in Wienanlässlich der Hochzeit ihrer Schwester Sophie in Dom Miguel, einen portugiesischen Prinzen aus dem Hause Braganca. Dom Miguel war so angetan von ihr, dass er noch in Wien um ihre Hand anhielt. Großpapa allerdings lehnte seinen Antrag ab, weil Dom Miguel in Portugal einen Umsturz gegen seinen eigenen Vater angezettelt hatte und sich daher in Wien im Exilbefand. Großmama, Königin Karoline von Bayern, bedauerte diese Entwicklung, da es selten sei, bei jungen Leuten eine so ausgesprochen natürliche Neigung zu finden wie in diesem Fall.
Als Miguel im Jahre 1828 doch noch König von Portugalwurde, hielt er umgehend nochmals um Mamas Hand an. Der Bote mit dem Brief, der an Ludovikas mittlerweile verwitwete Mutter gerichtet war, traf im September 1828 in Tegernseeein.
Fünf Tage zuvor war Mama dort jedoch bereits mit Herzog Maximilian in Bayernverheiratet worden.
Ich kann Charlotte auf jeden Fall nicht leiden.
10. August 1857
Es ist furchtbar.
Ich hasse Charlotte!
Alleine der Galaempfang nach ihrer Hochzeit in Brüssel mit Maxi hier in Wien. Ich, die um mein Kind trauerte, musste teilnehmen, weil es sich so gehört, obwohl ich keine Feste feiern wollte.
Sie ist schön diese Charlotte, elegant, wohlerzogen, künstlerisch begabt, intelligent, plaudert in mehreren Sprachen und hat mir den Maximilian so entfremdet, dass er kaum noch Augen für mich hat. Nur kurz murmelte er ein paar tröstende Worte zu Sophies Tod. Das war nicht mehr mein Gefährte aus Italien, mit dem ich über Bücher und Kunst, über Poesie und Theater reden und so viel lachen konnte.
Der Hof liebt sie bei weitem mehr als mich. Alle Welt hat etwas an mir auszusetzen und ich kann mich nicht einmal zur Wehr setzen. Der Kummer hat mich richtig hässlich gemacht.
Sophie ist natürlich hin und weg von Charlotte, der sie nach der Hochzeit in Brüssel entgegengereist war. Sie lobt ihre Schönheit, Klugheit und wie zärtlich sie zu ihrem Maxi und auch zu ihr ist. Sie sei so zärtlich, dass sie glaube, Charlotte hätte sie schon immer geliebt und sie dankt Gott von Herzen für die charmante Frau, die er dem Maxi geschenkt hat.
Sophie ist so freundlich zu Charlotte, kein Wort der Kritik, alles an ihr ist so viel besser als bei mir.
Charlotte ist liebenswürdig, klug und benimmt sich tadellos!
Schön, wenn du das täglich hörst, dich wie der letzte Trampel vorkommst und am Trauern bist!
Und speziell von Sophie hätte ich etwas mehr Feingefühl erwartet. Denkt sie gar nicht mehr an ihre Fehlgeburten und an die kleine Maria Anna Karolina, ihr heiß geliebtes Ännchen, Franzls kleine Schwester, die sie 1835 gebar und die ihr vierjährig unter schlimmen Krämpfen genommen wurde. Sophie war damals untröstlich, die ganze Familie trauerte um das kleine Mädchen. Hat sie das alles vergessen? Sie hat doch auch ihr kleines Mädchen verloren und angeblich war auch damals der Leibarzt, ein gewisser Dr. Johann Malfatti, unfähig. Er erkannte weder die Krankheit, noch die Gefahr und behandelte die schweren Fieberschübe mit den üblichen Hausmitteln. Hat sie all das vergessen?
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