Kurz nachdem die Pferde von Timono und seinem Onkel gesattelt, und an den Zügeln herum geführt wurden waren, kamen die zwei Könige aus dem großen Tor heraus. Sie trugen beide ihre Jagdanzüge und hatten Armbrüste dabei. Timono hielt das Pferd seines Königs an dem Zügel fest und ließ den König aufsitzen. Dabei hörte er, wie er zu dem anderen König sagte: „Morgen Abend nach den Festspielen findet die Verlobungsfeier zwischen meiner Tochter und eurem ältestem Sohn statt. Dafür werden wir gleich einen stattlichen Hirsch erlegen.“ Der andere König nickte zufrieden und sie ritten mit ihrem Jagdgefolge aus dem Schlosshof heraus.
Mit einem stechenden Schmerz in seinem Herzen blieb Timono auf dem leeren Platz alleine zurück. Sein Onkel war schon in das Gasthaus zurückgegangen. Traurig sah er den Pferden hinterher und dachte an Joanna. Der Gedanke daran, dass sie am nächsten Tag mit einem älteren Prinzen verlobt wird, ließ Timono innerlich erstarren. Er hatte ein Gefühl in seiner Brust, als würde man sein Herz herausreißen. Ihm wurde klar, dass er etwas unternehmen musste. Er konnte dies nicht so einfach hinnehmen. Verärgert ging er in den Stall zu den restlichen Pferden um diese zu versorgen und überlegte, was er machen könnte.
Noch am selben Tage kam ein Ritter in den Pferdestall und erblickte Timono. „Was machst du hier?“ wollte der Ritter wissen. Timono zuckte bei diesem Anblick zusammen und antwortete: „Ich versorge die Pferde, mein Herr. Ich bin der Stallbursche.“ „Na dann ist ja gut. Kennst du einen Knappen, der noch keinen Ritter hat?“ fragte der stattliche und junge Ritter nach. Timono verneigte sich ein wenig und meinte: „Nein, mein Herr. Ich kenne keine Knappen.“ Timono sah ihn sich an. Der Ritter war groß, mit etwas längeren, gewellten, blonden Haaren und einem Schnurrbart. Irgendwie sah er anders aus, als die anderen Ritter die er jemals gesehen hatte. Irgendwas hatte er an sich, was verriet, dass er sehr gütig war. Prüfend ging der Ritter um den Stallburschen herum und musterte ihn. „Du könntest mein Knappe werden. Meiner ist leider erkrankt und morgen ist das Turnier. Da brauche ich deine Hilfe. Hättest du Lust?“ „Ja mein Herr, Sir. Ich möchte gerne euer Knappe sein. Wann soll ich anfangen?“ wollte Timono aufgeregt wissen. Der Ritter lachte etwas und antwortete ihm: „Morgen früh wartest du hier auf mich. Ich werde dich dann holen kommen und dir alles sagen. Übrigens, mein Name ist Clarence.“ Danach verschwand er wieder durch das Tor.
Jubelnd lief Timono ins Gasthaus zu seinem Onkel und rief: „Onkel! Onkel! Morgen werde ich ein Knappe für einen der Ritter sein. Endlich kann ich dann beweisen, was wirklich in mir steckt.“ „Das ist ja schön für dich. Vernachlässige aber nicht deine Hauptaufgabe.“ meinte sein Onkel etwas strenger. „Keine Sorge. Ich werde mich bemühen alle Aufgaben mit höchster Sorgfalt zu erledigen.“ strotze er voller Stolz.
In der Nacht konnte Timono kaum schlafen. Er war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Er überlegte laut: „Es könnte ja sein, dass bei dem Turnier auch die Prinzessin anwesend ist. Dann kann ich ihr zeigen, dass ich besser bin als sämtliche Prinzen der Welt.“
Am nächsten Morgen eilte Timono sehr früh zu den Pferden in den Stall und versorgte sie. Er wollte ziemlich schnell mit seiner Hauptaufgabe als Stallbursche fertig werden, um sich danach voll und ganz seinen Aufgaben als Knappe zu widmen.
Es dauerte nicht mehr lange, bis der junge Ritter Clarence den Pferdestall betrat. „Komm mit. Es wird Zeit. Du musst mir noch in meine Rüstung helfen.“ befahl er seinem Knappen. Voller Stolz folgte Timono ihm als neuer Knappe. Zusammen gingen sie zu einem großen Zelt neben dem Festplatz. Staunend sah sich Timono alles genauestens an. „Wird der König und seine Familie nachher auch da sein?“ fragte er leise. Der junge Ritter war erstaunt über die Neugierde des neuen Knappen, antwortete ihm aber: „Ja! Beide Königsfamilien werden später da hinten unter dem Dach sitzen und die Spiele eröffnen. Auf die Prinzessin Joanna bin ich mal gespannt. Sie soll so schön sein wie eine Rose, die gerade ihre Knospen öffnet. Der Gewinner des Turniers tritt in die Dienste der Prinzessin, wenn sie mit dem Prinzen verheiratet wurde. Und es gibt einen Wettkampf mit einem Wildpferd. Derjenige, der es schafft am längsten auf dem Pferd zu bleiben und es vielleicht sogar zähmt, der wird von der Prinzessin geküsst. Ich hoffe ja, dass ich derjenige bin.“ Erstaunt über diese Informationen konnte Timono seinen Mund zunächst einmal nicht mehr schließen. „Was passiert denn mit dem Wildpferd? Und warum sollte die Prinzessin einen Mann küssen, wenn sie doch so gut wie verlobt ist?“ fragte Timono vorlaut. Ritter Clarence lachte und erklärte ihm: „Na du bist mir ja ein Neugieriger. Aber du gefällst mir. Das Pferd wird der Prinzessin als Verlobungsgeschenk überreicht. Das Wildpferd, welches gezähmt wird, symbolisiert eine Frau, die verheiratet wird. Nach der Hochzeit muss sie ihrem Mann hörig und treu sein. Und sie küsst den Mann, der das Pferd zähmt dafür, dass er ihr dabei geholfen hat, eine gute Frau zu werden und dafür, dass sie später auch mal selbst auf diesem Pferd reiten kann.“ So viel Unterwürfigkeit widerte Timono an. Er konnte nicht verstehen, dass sich eine Frau einem Mann so einfach hingeben konnte. Er würde die Prinzessin auf Händen tragen und nicht in einen Käfig sperren, um sie zu zähmen. Er liebte die Prinzessin so wie sie wahr. Und ein wildes Pferd ist ein edles Tier, dachte er bei sich im Stillen.
Im Zelt des jungen Ritters angekommen zeigte ihm dieser, wie man eine Rüstung anlegt und welche Waffen für welche Disziplin benutzt werden. „Also, die Lanze ist für den Kampf zu Pferde um den Gegner von seinem Gaul zu stoßen. Dieses also reichst du mir bitte für den ersten Kampf an. Sobald einer auf dem Boden ist, kommt der Kampf der Schwerter oder man kann auch dafür die Streitaxt benutzen oder den Schlegel mit Kette. Gut ist auch manchmal der Streitkolben. Wenn es so weit ist, werde ich dir schon sagen, welche Waffe du mir bringen sollst. Vergiss aber niemals mein Schild. Und für den Wettbewerb des Zielschusses bringst du mir für die Zielscheiben die Armbrust und für die Strohtiere die Wurfaxt. Wenn du noch Fragen hast, dann stelle sie mir, während du mir jetzt in die Rüstung hilfst.“ erklärte Clarence ruhig und gelassen. Timono schaute ihn beeindruckt an und antwortete leise: „Nein mein Herr, Ihr habt mir alles wirklich gut erklärt und teilweise habe ich die Benutzung dieser Waffen schon einmal gesehen. Es sollte für sie heute nichts schief gehen.“
Das Turnier fing an. Die Menge jubelte dem Herold zu, der gerade in die Arena schritt. Die Fanfaren ertönten und der Herold sprach danach zu dem jubelnden Volk: „Höret her und vernehmt meine Worte. Heute findet ein ganz besonderes Turnier statt. Der Beste der Besten wird heute als Gewinner hervorgehen und unserer zukünftigen Königin als königlicher Ritter zur Seite stehen. Darüber hinaus findet als krönender Abschluss des Turniers etwas statt, was man nur zu königlichen Hochzeiten macht. Die Ritter dürfen alle am Ende des Tages versuchen ein Wildpferd als Hochzeitsgeschenk für die Prinzessin Joanna zu zähmen. Demjenigen, dem dieses gelingt, wird einen Kuss von der Prinzessin als Dank für seine Dienste erhalten. Die Regeln für den heutigen Tag lauten: Die meisten und besten Treffer geben die meisten Punkte. Sobald ein Ritter das Visier hochklappt, heißt es für ihn Aufgabe, und das Turnier ist für ihn vorbei, und er hat verloren. Wer beim Ringstechen die meisten Ringe auf seiner Lanze zählt, gewinnt diesen Abschnitt. Beim Roland zählen die Drehungen, die das Schild, welches von der Lanze getroffen wird, macht. Der Tjost findet in alter Tradition statt. Die Lanze muss beim Aufprall brechen. Es gibt zwei Punkte bei einem Treffer auf den gepanzerten Kopf, einen Punkt bei einem Treffer auf die gepolsterte Brust und sogar drei Punkte, wenn der Gegner aus dem Sattel gehoben wird. Sollte es bei dem Tjosten am Ende unentschieden stehen, dann wird am Boden mit dem Zweikampf weitergemacht, bis einer zu Boden geht und sich geschlagen gibt.“ Dann stellte sich der Herold auf ein Podest am Rande der Arena und rief der jubelnden Menge zu: „Und hier meine sehr verehrten Gäste lasset uns die Ritter begrüßen, wenn sie in die Arena einreiten.“
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