„Kennen? Den Mautzenbacher? Na ja. Ich war mal oben. Auf ein Bier halt. Weiß gar nicht mehr, warum.“
Geiler hatte den jungen Kommissar in seine Wohnung gebeten, sich aufs Sofa gesetzt und es Hannes überlassen, sich ebenfalls einen Platz zu suchen. Jetzt kratzte er sich nachdenklich an der Stelle auf seiner Brust, wo die langen grauen Haare aus dem Unterhemd hervorlugten. Ohne etwas zu sagen, nahm er einen tiefen Schluck aus seiner Flasche, den Kommissar schien er vergessen zu haben.
„Wann waren Sie denn bei ihm oben?“
Obwohl die Balkontür weit offen stand, war es im Zimmer ziemlich warm. Abgestanden, geradezu ekelhaft, wie Hannes fand. Bierdunst mischte sich mit Schweiß und altem Bratenfett, und er überlegte, ob er dem Nachbarn nicht lieber die Bierflasche wegnehmen sollte. Immerhin stand auf dem Tisch schon eine ganze Reihe geleerter Flaschen, und man wusste ja nie, wann der eine Schluck zu viel jede Aussage unmöglich machte.
Schließlich verkündete Geiler, der noch immer seine Brust bearbeitete: „Der Xaver war ‘ne richtig arme Sau. Der hatte ja gar nix mehr. Der hatte noch nicht mal ’ne Alte, die was von ihm wollte.“
Hannes konnte nicht sagen, ob der Blick des Mannes ausdruckslos war oder einfach durch ihn hindurchging.
„Der Xaver, der war dauernd auf Jobsuche. Aber der hat ja nichts gekriegt! Den wollte einfach keiner“, fügte der Nachbar hinzu und hob erneut seine Flasche. „Unqualifiziert war der Xaver! Ja, das hat der gesagt.“
„Was war er denn eigentlich von Beruf?“, fragte Hannes schnell, und tatsächlich ließ Geiler die Flasche im letzten Moment sinken. Dann sah er ihn überrascht an.
„Keine Ahnung!“ Geiler schüttelte den Kopf. „Aber der Xaver, der hatte so’n Auto, rot und rostig.“ Geiler lachte kurz auf. „Wir haben uns mal darüber gekabbelt, weil ich sagte: Ist das deine Firma, Rot & Rostig? Das war lustig.“ Geiler trank und stellte nach zwei Schlucken fest, dass seine Flasche leer war.
„Wollen Sie auch eins?“, fragte er Hannes, der tatsächlich Lust auf ein Bier hatte. Vor allem auf ein kaltes.
„Danke“, antwortete er und schüttelte höflich den Kopf. „Wir haben es ohnehin gleich, vielleicht könnten Sie so lange …“
„Na klar, Herr Kommissar. Sie müssen ja weiter, stimmt’s? Immer im Einsatz!“ Seine Sprache wurde zunehmend schleppender.
„Ja, genau. Aber vorher müsste ich noch wissen, was das für ein Auto war?“
„Na, so ein kleiner Flitzer halt. Ein Fiat? Keine Ahnung. Irgendwas Billiges.“
„Kein BMW?“
Geiler wieherte vor Lachen. „Naa, wo denken Sie hin? Wie soll sich denn unsereins einen BMW leisten, Herr Kommissar?“
Er griff wieder nach der Bierflasche und merkte, dass sie noch immer leer war. Dann tippte er sich auf einmal an die Stirn. Er beugte sich so weit nach vorn, dass Hannes schon fürchtete, mit ihm und einem der Kaffeeflecken auf seinem Unterhemd zusammenzustoßen.
„Ich weiß schon, was Sie meinen. Sie haben den Schlüssel gefunden.“ Den letzten Satz flüsterte Geiler mit verschwörerischer Stimme. „Und haben Sie auch die Uhr gefunden? Eine echte Rolex. Oder? Sie haben es geglaubt, stimmt’s?“ Er lehnte sich wieder zurück, stellte die Bierflasche auf den Tisch zu den anderen und kratzte sich weiter sein Brusthaar. „Der Xaver, der wusste, wie es geht. Meinte: Mehr Sein als Schein, darauf käme es an. Oder war das jetzt anders herum? Ach, egal! Ich hab mich ja nur gefragt, warum der keinen Job kriegt, wo der doch so schlau ist.“ Geiler klang nachdenklich.
„Und was sollte das mit dem Schlüssel?“ Hannes wurde aus dem ganzen Gefasel nicht schlau, vielleicht fehlte ihm einfach der Alkoholpegel von Geiler, um das alles zu verstehen.
„Na, ist doch klar“, setzte der prompt zu einer Erklärung an. „Der Xaver, der gab damit an. Der tat so, als könne der sich eine echte Rolex und einen echten BMW leisten. Vielleicht haben ihm die Weiber das ja sogar geglaubt!“ Wieder beugte er sich bedenklich weit nach vorn, sodass Hannes seinen abgestandenen Bieratem roch. „Die glauben nämlich viel, wenn du es ihnen erzählst. Ich würd so was allerdings nicht machen. Weil dann wollen die nämlich immer, dass du bezahlst. Und wenn sie nicht selber zahlen müssen, dann saufen die Weiber wie die Löcher!“ Geiler schlug sich mit der flachen Hand auf den nackten Oberschenkel und freute sich wie ein kleines Kind über seinen Witz.
Hannes stand auf. Er wusste noch nicht, ob ihn das alles wirklich weiter gebracht hatte, auf jeden Fall verstand er jetzt die Sache mit den Anzügen und der Wohnung. Xaver Mautzenbacher war ein Blender gewesen. Das erklärte allerdings noch nicht, woher er zwanzigtausend Euro hatte und warum die Handtücher fehlten.
„Kennen Sie zufällig das Kennzeichen von dem roten Flitzer?“
„Nee! Tut mir leid, Herr Kommissar. Das müssen Sie schon selber herausfinden. Ha, haha!“ Wieder schlug sich der Nachbar auf den nackten Oberschenkel, dann stand er auf und ging zur Küche. Als er die Tür erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und zwinkerte Hannes verschwörerisch zu. „Sie entschuldigen mich, aber ich habe eine Verabredung! Mit einer kühlen Blonden“, erklärte er mit schwerer Zunge und zwinkerte Hannes zu, bevor er in der Küche verschwand.
„Ist Walter noch da?“, fragte Franziska und hoffte dass Carlos sie auch zum zweiten Mal an diesem Tag kommentarlos einlassen würde. Doch die Proben waren beendet, und Carlos war in Plauderstimmung.
„Schon wieder Walter! Warum besuchst du nicht mal mich?“
Er nahm eine Pose ein, die Franziska beeindrucken sollte, und bedachte sie dann mit einem zweideutigen Blick.
Franziska verkniff sich zu sagen: Es ist nicht so, wie du denkst. Denn dieser Satz war absolut verbraucht. Sie selbst konnte sich an Dutzende Situationen erinnern, in denen ein Zeuge zu ihr gesagt hatte: „Es war nicht so, wie Sie denken, Frau Kommissarin!“
„Ich muss ihn sprechen. Es ist wichtig“, gab Franziska patziger als beabsichtigt zurück.
„Na klar, war ja auch nur ein Versuch. Komm rein!“ Carlos schenkte ihr ein beschwichtigendes Lächeln und gab die Tür frei. Mit dem Kopf zeigte er nach nebenan. „Er ist in der Werkstatt, zumindest hab ich ihn dort noch vor ein paar Minuten gesehen.“
Franziska ging den kurzen Gang entlang, blieb vor den beiden Türen stehen und lauschte. Hinter der rechten glaubte sie den Mezzosopran der Katharina Eschenbacher zu hören, war sich aber nicht ganz sicher. Die linke Tür stand einen Spalt offen. Ohne zu zögern, drückte sie die Tür zur Werkstatt auf, schlüpfte hinein und schloss sie sorgfältig hinter sich.
„Das ging aber schnell.“
Walter kam auf sie zu, lächelte erfreut und wollte sie gerade umarmen, als Franziska ihn anfauchte: „Warum hast du mir nichts davon gesagt?“
Verwirrt zog er seine Hände zurück und schaute sie fragend an. „Von was hab ich dir nichts gesagt?“
„Dass du im Oberhausmuseum arbeitest!“
„Hätte es dich interessiert?“Walter wich einen Schritt zurück. Er lächelte unsicher.
„Ja!“
„Warum?“ Der Bühnenkünstler schüttelte verwirrt den Kopf.
„Weil dort heute ein Mann erstochen wurde und du in den Fall verwickelt bist!“
„Spinnst du?“, keuchte Walter und sah Franziska ungläubig an.
Dann drehte er sich weg und begann, einige Dinge auf der Werkbank hin und her zu rücken. Franziska beobachtete ihn bei dieser nutzlosen Tätigkeit, wartete aber, bis er sich wieder zu ihr umdrehte.
„Ein Toter im Oberhaus. Und du glaubst, dass ich etwas damit zu tun habe?“, fragte er schließlich.
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