„Du hattest einen Schlüssel zu der Tür, hinter der er gefunden wurde“, erklärte sie und versuchte, ihre Emotionen herauszuhalten.
Walter nickte, schob seine Hände in die Taschen seiner Shorts und holte sie verwundert wieder heraus – sie waren leer.
„Und was soll das beweisen?“
„Erst einmal nichts“, lenkte Franziska ein. „Aber nur, wenn du ein Alibi hast!“
„Dich.“ Walter lächelte unsicher.
„Hast du vielleicht noch ein besseres?“ Franziska fand das alles überhaupt nicht spaßig.
„Ein besseres als dich? Die Oberkommissarin?“Walter grinste anzüglich, gerade so, als habe sie nur einen Spaß gemacht. Dennoch lehnte er sich unsicher an der Werkbank an.
„Ganze zwei Stunden nach der Tat“, fuhr sie ihn genervt an, weil jetzt einfach nicht die richtige Zeit für seine Spielchen war.
„Du hast mich in der Hand.“ Er lächelte bitter, und als sie noch immer nichts sagte, fragte er: „Macht dir das wenigstens Spaß?“
„Nein, es macht mir überhaupt keinen Spaß!“, rief Franziska enttäuscht. „Aber vielleicht machst du das ja mit Absicht! Vielleicht ist es dir gar nicht ernst, und du bist heilfroh, wenn du dich nicht auf mich einlassen musst!“
Walter löste sich von der Werkbank und kam auf Franziska zu. Er nahm ihre Hände in die seinen und schaute sie ruhig an. „Also gut. Ja, ich habe ein Alibi. Ich war hier.“
Er schenkte ihr eines seiner bezaubernden Lächeln und wartete darauf, dass sie sich damit zufriedengab.
„Kann das jemand bezeugen?“ Franziska schluckte schwer an ihren Gefühlen für ihn.
„Carlos, Katharina, Nina … Ich weiß nicht, wer noch alles bei der Probe war.“
„Und haben die dich auch alle gesehen?“
„Das musst du sie schon selber fragen.“ Er ließ ihre Hände so plötzlich los, dass sie wie bei einer Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte, nach unten fielen. „Aber sag mir eines: Warum hätte ich so etwas tun sollen? Warum sollte ich jemanden erstechen? Und womit überhaupt – mit meinem Langhaarpinsel?!“
„Mit einer Partisane!“
„Mit einer was?“
„Er wurde mit einer Art Stoßlanze getötet.“ Franziska wusste, dass sie Walter mit Informationen versorgte, die sie ihm in dieser Situation nie hätte geben dürfen.
„Das ist doch vollkommen absurd“, begehrte Walter auf.
„Sie lag in dem Raum, in dem du die Skizze gemacht hast. Vielleicht hat dich das Opfer bei deiner Arbeit gestört? Du bist erschrocken, hast die Waffe ergriffen und ihn aus Versehen getötet.“
„Aus Versehen?“, fragte Walter höhnisch.
„Ja“, bestätigte Franziska und hoffte inbrünstig, dass alles nur ein Missverständnis war, dass der Mann, der sie noch vor ein paar Stunden auf so wunderbare Weise verführt hatte, nichts, aber auch gar nichts mit dem Mord an Xaver Mautzenbacher zu tun hatte.
„Nein!“, schrie Walter so laut in ihre Gedanken hinein, dass Franziska zusammenzuckte. Für einen Moment fürchtete sie, die ganze Sängerschar würde zur Tür herein kommen, um nachzusehen, was hier los war.
„Schrei doch bitte nicht so“, bat sie flüsternd und schaute ihn hilflos an. „Ich kann doch auch nichts dafür. Warum musst auch ausgerechnet du einen der beiden Schlüssel haben? Und warum hast du ihn überhaupt stecken lassen? Es ist doch deiner, oder?“
Sie dachte an die leeren Hosentaschen, die Walter ihr vor wenigen Minuten noch gezeigt hatte.
„Ja, es ist meiner. Ich habe ihn stecken lassen, weil ich es eilig hatte, ob du es glaubst oder nicht! Ich habe mich auf den Nachmittag mit dir gefreut. Da kann man schon mal vergessen, einen Schlüssel abzuziehen!“
Franziska wollte ihn sanft am Arm streicheln, aber Walter schüttelte ihre Hand ab.
„Auf was wollen wir uns denn jetzt einigen?“, fragte sie und unterbrach damit das eisige Schweigen.
„Einigen?“, fragte Walter mit ausdruckslosem Blick, bis sich sein Gesicht plötzlich erhellte. „Ach, ich verstehe. Du willst nicht, dass dein Kollege weiß, dass du hier warst!“ Sein gequältes Lächeln klang bitter. „Du fürchtest dich vor seiner Eifersucht.“
„Hannes ist doch nicht eifersüchtig!“
Überrascht lachte Walter auf. „Ach, Franziska, ich hab doch gesehen, wie er dich anschaut!“
„So ein Quatsch!“ Franziska schüttelte kurz den Kopf. „Hannes ist mein Kollege, mehr nicht.“
Walter nickte resigniert. „Franziska, du würdest es doch gar nicht merken, wenn sich ein Mann nach dir verzehrt.“
In diesem Moment kam Franziska ihr ehemaliger Chef in den Sinn. Der war von einer schönen Frau angebaggert worden, weil sie von ihm wissen wollte, wie seine Ermittlungen liefen.
Was, wenn Walter sie auch nur benutzte?
Was, wenn ihr das Gleiche passierte, wie Berthold Brauser?
„Willst du unsere Freundschaft beenden?“, fragte Walter in die Stille hinein.
Franziska schloss die Augen. Es fiel ihr sehr schwer zu sagen, was sie sagen musste. Aber Walter hatte ein Recht darauf, dass sie ehrlich zu ihm war.
„Nein, natürlich nicht. Aber wir sollten uns nicht mehr treffen, bis ich weiß …“ Sie brach mitten im Satz ab, um die richtigen Worte zu finden.
„Bis meine Unschuld erwiesen ist?“
„Ja. Nein. So ein Blödsinn. Aber versteh mich doch!“
„Ich versteh schon. Du willst deine Karriere nicht ruinieren.“ Walter nickte. Und sah dabei unheimlich traurig aus.
Franziska gab sich einen Ruck und wandte sich zur Tür. Kurz davor blieb sie noch einmal stehen und sah sich um.
„Ich will das alles nicht. Aber ich muss es einfach tun. Verstehst du das?“
Dann ging sie, ohne Walter Gelegenheit zu geben, sich noch irgendwie von ihr zu verabschieden.
Das Gespräch mit Walter setzte Franziska schwer zu. Wie hatte sie ihm nur sagen können, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte? Wo sie doch schon jetzt unter dieser übereilten Entscheidung litt … Wütend schlug sie auf ihr Lenkrad ein und kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder. Sie hatte einen Fall zu klären, den Tod eines Menschen, und sie war es Hannes schuldig, ganz bei der Sache zu sein. Sie musste ihre Gefühle in den Griff bekommen! Doch die kurze Fahrt von der Künstlerwerkstatt bis zur Böhmerwaldsiedlung reichte dafür kaum aus.
Als sie den Kollegen vor der Eingangstür entdeckte, das aufgeschlagene Notizbuch in der Hand und hoch konzentriert am Lesen, überkam sie eine Welle der Zuneigung. Sie mochte Hannes, er hatte immer zu ihr gestanden und ihr bei einer Schießerei sogar einmal das Leben gerettet. Aber sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob er vielleicht mehr in ihr sah, als nur eine Kollegin. Ob Walter am Ende doch recht hatte?
„Und, hat es sich gelohnt?“, fragte sie und schob alle Bedenken beiseite, kaum dass Hannes auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
Er verstaute sein Notizbuch und schaute sie prüfend an. Dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht. „Erzähl mir lieber, was mit Froschhammer ist!“
Franziska verschluckte sich beinahe an ihrem künstlichen Getue. „Wie kommst du jetzt auf den?“
„Ich weiß ja nicht, was zwischen dir und dem Typ läuft. Und das geht mich auch nichts an. Aber ich weiß, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat, und deshalb will ich wissen, was er gesagt hat. Sonst frag ich ihn nämlich selbst!“
Auf einmal fand Franziska sein Grinsen widerlich.
„Nichts“, erwiderte sie daher scharf.
„Wie, nichts?“ Nur mühsam beherrscht stöhnte Hannes auf. „Er war in dem Raum, das weiß ich zufällig, also erzähl mir nichts von Nichts!“
Franziska räusperte sich. „Woher weißt du das?“
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