Trotzdem knabberten sie an der Causa Freyman, die ja offiziell eigentlich noch gar keine war, nun schon seit über zehn Jahren. Gerüchte, Verdächtigungen, Spekulationen, viel mehr war bisher nicht bekannt.
Theorien dazu hatten sie mittlerweile einige, aber keine einzige davon war so richtig belastbar. Und noch viel weniger, beziehungsweise gar nichts, konnte bisher von ihnen eindeutig nachgewiesen werden.
Schon in den Anfangsjahren der politischen Karriere des Dorian Freyman war die Unstimmigkeit über seine Geburt zum ersten Mal publik geworden. Damals konnte sie vor regionalen Wahlen noch immer so leidlich unter den Teppich gekehrt werden, da er als nicht sehr bedeutender Lokalpolitiker entsprechend weniger im direkten Rampenlicht stand. Und nach den jeweiligen Abstimmungen verlor sich jeder Verdacht ohnehin schon sehr bald wieder im politischen Alltagsgeschäft.
Jetzt aber, da Freyman allerbeste Chancen dazu hatte, der neununddreißigste Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, da war die Sachlage eine ganz andere.
Vor zehn Jahren noch hatte Dorian Freymans Mutter gelebt. Ihr zweiter Sohn erfüllte schon als Heranwachsender all ihre Wünsche, die ihr älterer Sohn John nicht einzulösen bereit war. Sie hatte es von diesem allerdings auch nie explizit verlangt. Wohlgemeinte Ratschläge hat sie ihm gegeben, die ihn auf die von ihr gewünschte Spur bringen sollte.
Sie alle hatten nichts genutzt.
Er ging seinen eigenen Weg. Sie nahm daher die Schuld daran auch ganz alleine auf sich. John war eben zum Sunnyboy geboren, man konnte nie böse mit ihm sein. Am allerwenigsten konnte sie es selbst.
Aber John war John, und Dorian war eben einfach anders. Sie musste dem Jüngeren nicht einmal vorschlagen, was er tun sollte. Er tat es schon aus purem Eigeninteresse. Dass es seiner Mutter gefiel, war für ihn eine schöne Zugabe.
Da standen unter anderem zu Buche das Jurastudium im elitären Harvard - statt Ökonomie an der weniger renommierten Columbia University;
eine zurückhaltende Lebensführung, die ihrer gehobenen Stellung in der Gesellschaft bestens angepasst war - statt sich wiederholender erotischer Eskapaden;
zukunftsorientierte Karriereplanung - statt die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen.
Das alles gefiel ihr.
Und dann, last not least, der politische Höhenflug.
Die Freymans waren mit den Kennedys sehr gut befreundet. Nie ließ sich Dorians Mutter auf deren Partys anmerken, wie sie die glamouröse Familie darum beneidete, dass sie bereits einen Präsidenten im Stammbaum führte.
Dass aber Dorian eines Tages auch einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein wird, das war für Mrs. Freyman so sicher wie das Amen in der Kirche. Zur Feier seiner Promotion ließ sie ein rauschendes Fest arrangieren, als wäre er es gerade geworden.
Und es gab auch später noch Anlässe genug, ihren Sohn ausgiebig feiern zu lassen. Zum Beispiel als er hochdekoriert aus dem Krieg in Korea nach Hause kam.
Er war bekannt als einer der besten Piloten der Air Force. Mehrfach hatte er durch seinen heldenhaften Einsatz Kameraden aus Lebensgefahr gerettet.
Vor seiner endgültigen Rückkehr in die Vereinigten Staaten wurde der First Lieutenant Dorian Freyman noch für ein halbes Jahr nach Deutschland, in die oberbayerische Stadt Erding, abkommandiert.
Es war im Sommer 1946, da hielt der Bürgermeister dieser Stadt die Laudatio, als die dort gerade in Gründung befindliche Wasserwacht Dorian Freyman zu ihrem Ehrenmitglied ernannte und er von der Stadt noch zusätzlich eine schmucke Ehrenmedaille überreicht bekam.
Zugesprochen wurde ihm beides, weil er, ohne Rücksicht auf die eigene große Gefahr, eine Gruppe von vier zwölf- bis dreizehnjährigen Schülern im Stadtpark aus dem Fluss gerettet hatte, ehe sie von dem heimtückischen Strudel vor einem Wehr in die Tiefe gezogen werden konnten.
Besucher des Parks hatten ihm in buchstäblich letzter Minute ein Seil zugeworfen, kurz bevor der Sog ihn zusammen mit dem einzig noch nicht geretteten Schüler beinahe noch selber bis zum Grund hinabgezogen hätte.
„Mister Freyman, es ist eine große Ehre für mich, Ihnen diese Medaille zu überreichen. Möge sie Ihnen als Erinnerung dienen für unseren Dank, so wie wir uns auch immer an Sie erinnern werden wegen Ihres tapferen und selbstlosen Handelns. Und wir bedanken uns darüber hinaus auch dafür, dass Sie die Ehrenmitgliedschaft unserer zukünftigen Wasserwacht angenommen haben.
Ihre Mitgliedschaft wird deren Aufbau vorantreiben, weil der Stolz auf ein solches Beispiel an Mut und Entschlossenheit viele unserer jungen Burschen dazu ermutigen wird, in Ihre Fußstapfen zu treten.”
Der Bürgermeister schüttelte dem Lebensretter unter dem Applaus der Bürger dankbar die Hand.
Dorian Freyman war nur First Lieutenant, weil er eine militärische Karriere nie angestrebt hatte. Er war auch in der Air Force längst schon mehr Politiker als Soldat. Seine Antwort geriet auch entsprechend der des Bürgermeisters: schöne Worte ohne jegliche Verbindlichkeit.
„Thank you so much for your warm words and the great honor. I will carry both of them to my country and hand them over to the people of the United States. God bless you, God bless my country, God bless America!”
Mrs. Freyman hatte durch ihren Einfluss dafür gesorgt, dass die Ehrung samt der emotionalen Rede durch fast alle Rundfunkstationen von der Ostküste bis hinüber zur Westküste übertragen wurde. Nur eine Woche später stiftete sie ihrerseits eine nationale Lebensrettungsmedaille.
Die sollte an verdiente Mitglieder der Bay Watch und der Fire Rescue für besondere Leistungen vergeben werden: die ‚Dorian Freyman Medal of Honor‘.
Bei allen weiteren finanziellen Stiftungen, bei denen sie selber im Rampenlicht stand, vergaß sie nie hervorzuheben, dass sie nur die Überbringerin sei, tatsächlich aber jetzt ihr Sohn Dorian Freyman hinter den Spenden stünde.
Alle Bemühungen, die Presse, das Volk, und vor allem den politischen Gegner, durch die Präsentation einer ehrenvollen und geradlinigen Vita davon abzubringen, sich weiter um die Widersprüchlichkeit bei Dorian Freymans Geburt zu kümmern, waren letztendlich vergebens.
Dass er Mitglied einer Freimaurerloge sein sollte, das war nicht gesichert. Aber das war George Washington auch gewesen. Und so machte man auch kein großes Aufheben um diese unbewiesene Tatsache, die er selber niemals bestritt. Was dem ersten Präsidenten der USA billig war, das konnte auch einem zukünftigen recht sein. Man nahm es eher respektvoll, fast ehrfürchtig, zur Kenntnis.
Es blieb die große Frage, ob er nun fünf Jahre jünger war oder älter. Ob er ein Freyman war - oder nicht. Ein Amerikaner - oder nicht.
Und das fragten sich neben den interessierten Wählern in der Bevölkerung namentlich auch immer wieder die beiden Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein, die bei der Washington Post schon einmal mit der Aufklärung eines brisanten Falles für Furore gesorgt hatten.
Eleonora Freyman, die sich nach dem unvermuteten Ableben ihres Mannes mit Gräfin ansprechen ließ, wurde von Woodward noch im Jahr ihres Todes mehrmals aufgesucht, zuletzt auf ihrem Alterssitz auf Long Island, um ihr das Geheimnis um die abweichenden Eintragungen zur Geburt ihres Sohnes zu entlocken.
Kurz vor Ende des letzten Gespräches mit ihr, wollte er sie mit einem Coup zu einer Aussage provozieren.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er mit dieser Taktik Erfolg gehabt hätte.
Er glaubte, er könne sie überrumpeln und sie damit zu einem Fehler verleiten während ihrer Antwort. Sie könnte dadurch unbeabsichtigt etwas preisgeben. Damit rechnete er, als er ihr frech ins Gesicht sagte:
„Wissen Sie was, verehrte Gräfin, Sie haben die amtlichen Daten in der Geburtsurkunde schlicht und einfach fälschen lassen. Mit Ihrer Autorität war Ihnen das leicht möglich. Ich weiß zwar noch nicht, warum Sie das getan haben, aber ich werde es noch herausfinden.“
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